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    Dumbo, der fliegende Elefant
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Dumbo, der fliegende Elefant
    Von René Malgo

    Schenkt man der Disney Company Glauben, ist jeder ihrer Zeichentrickfilme ein zeitloser Klassiker. So zumindest werden die auf Video oder DVD erscheinende Filme aus den legendären Zeichentrickstudios beworben. Darüber kann sicherlich gestritten werden - zuweilen trifft diese unbescheidene Selbsteinschätzung aber tatsächlich zu. So wie beispielsweise im Falle von „Dumbo“.

    In einem Zirkus kommt Jumbo Jr. zur Welt. Seine überdimensional großen Ohren machen ihn aber alsbald zum Gespött unter den anderen Tieren und Außenseiter unter den Elefanten. Er wird von da an Dumbo genannt. Mutter Jumbo versucht ihn vor Hänseleien - auch der Besucher - zu beschützen. Das geht ins Auge. Das ganze Zirkuszelt bricht bei ihrem Eifer um ihren Sohn auseinander und sie wird als gemeingefährlich weggesperrt. Nun ist Dumbo auf sich alleine gestellt und nur die kleine Maus Timothy freundet sich mit ihm an. Als er unabsichtlich Champagner trinkt, beginnt Dumbo bunte Elefanten zu sehen und wacht später zusammen mit Timothy hoch oben in einem Baum auf. Da weiß Timothy, dass Dumbo fliegen kann und etwas ganz Besonderes ist. Doch ihn wieder zum Runterfliegen zu bringen, stellt sich als schwieriger Akt dar. Timothy und Dumbo bekommen Hilfe von einer Gruppe Krähen, die sie zwar erst verspotten, sich dann später aber als gute Freunde erweisen. Timothy beschließt, Dumbo zur Sensation des Zirkus zu machen.

    „Dumbo“ war nach „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, „Pinocchio“ und „Fantasia“ der vierte abendfüllende Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney. Eigentlich sollte es nur eine kleine Zwischenproduktion werden. Durch die teuren Vorgänger „Pinocchio“ und „Fantasia“ (beide aus dem Jahr 1940) war das Budget beschränkt und „Dumbo“ wurde für nur 813.000,00 Dollar realisiert. Damit ist der Film die Billigste aller Disney-Produktionen. Vollkommen unerwartet wurde „Dumbo“ ein riesiger Erfolg und spielte über 2,5 Millionen Dollar ein. Das sind mehr, als die Erlöse der Großproduktionen „Pinocchio“ und „Fantasia“ zusammen. Dabei war Walt Disney anfangs überhaupt nicht daran interessiert, den Film zu machen. Um ihn doch zur Realisierung zu überreden, hinterließen die Storyschreiber Joe Grant und Dick Huemer jeden Morgen ein Fragment aus der Geschichte auf seinem Schreibtisch. Schließlich stürmte Disney in ihr Büro und sagte: „This is great! What happens next?“ Damit hatten sie Disney am Haken. Um die Kosten niedrig zu halten, wurden mit Wasserfarbe gemalte Hintergründe benutzt. Etwas, das außer „Dumbo“ nur in „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ vorkam, bis diese Technik in „Fantasia 2000“ wieder Verwendung fand. Der Rest ist Geschichte. Verschiedene Stimmen behaupten, dass dieser Film schließlich zu Walt Disneys Favorit aus eigenen Studios avancierte.

    1942 gewann „Dumbo“ den Oscar für die beste Musik und wurde für den besten Titelsong „Baby Mine“ nominiert. Zu Recht, denn neben „Mary Poppins“ und Das Dschungelbuch kann wohl kaum ein älterer Disney-Film von sich behaupten, dass nahezu alle Songs zu Evergreens geworden sind. Die beschwingenden, klassischen Melodien wechseln zwischen romantischer Melancholie und fröhlichen Ohrwürmern. Jung und Alt können sich gleichermaßen von Songs wie „Look Out For Mister Stork“, „Pink Elephants On Parade“ oder „When I See Sn Elephant Fly“ mitreißen und begeistern lassen. Zu Tränen rührend dagegen die Szene, als der einsame Dumbo seine eingesperrte Mutter besucht und jener oscarnominierte Song „Baby Mine“ das Geschehen untermalt. Wer von dieser Szene unberührt bleibt, der sollte nie wieder Zeichentrickfilme anschauen.

    Im ganzen Film spricht Dumbo kein einziges Wort. Das bestärkt sein Außenseitertum und seine Machtlosigkeit gegenüber den großen, ihn verachtenden Mitelefanten. Damit ist er das einzige Tier in einem Disney-Film, das nicht redet. Doch auch seine Mutter öffnet nur ihren Mund, um seinen richtigen Namen Jumbo zu erwähnen und bleibt den ihnen widerfahrenden Ungerechtigkeiten gegenüber schweigsam.

    Mit 64 Minuten ist „Dumbo“ sehr kurz. In dieser Zeit geschieht vieles und nach jener guten Stunde hat der Zuschauer Dumbo schon so in sein Herz geschlossen, als würde er ihn bereits lange kennen. Bemerkenswert, unter Berücksichtigung der Kürze des Filmes und der Tatsache, dass Dumbo kein Wort spricht. Es liegt mit an der schnörkellos und ereignisreich erzählten Geschichte, dass von allen Zeichentrickfilmen Disneys „Dumbo“ dank kleiner und großer Gesten eine der besten Charakterisierungen bietet. Mehr als nur eine Szene gehen direkt ans Herz, ohne dass dabei der Humor zu kurz kommen würde. Die Geschichte vom stillen und duldsamen Außenseiter, der etwas ganz Besonderes ist und auch für andere wird, entfaltet natürlich viel Identifikationspotenzial und bleibt zeitlos. Wer hat sich nicht schon mal als Dumbo mit zu großen Ohren gefühlt? Missverstanden, machtlos und als Außenseiter in einer Gesellschaft, die Andersartigkeit selten toleriert.

    Dass aber die, die am lautesten Lachen, so viel anders nicht sind, zeigt „Dumbo“ auch. Als ein Junge mit sichtbar zu großen Ohren Dumbo von allen Zirkusbesuchern am meisten hänselt, wird dem Betrachter unmissverständlich klar, dass dieser an sich schon bemitleidenswerte Junge nur von seiner eigenen (vermeintlichen) Unzulänglichkeit ablenken möchte. Eine bewegende Szene, welche sicherlich den einen oder anderen Zuschauer peinlich berührt. „Dumbo“ ist trotz der Kürze der Zeit anspruchsvoller als hätte erwartet werden können. Am Ende hält er eine für Disney zwar typische, moralisierende Botschaft bereit, mit der allerdings alle Zuschauergruppen etwas anfangen können.

    Dumbo ist nicht der einzige Außenseiter im Film. Seine Mutter wird zur Außenseiterin, weil sie versucht ihn zu schützen. Die Krähen sind Außenseiter, weil sie anders als die anderen erscheinen. Deutlich sind sie Afro-Amerikanern nachempfunden. Anfangs beschwört der Film die Angst und das Misstrauen vor dem Fremden herauf, zeigt am Ende aber, dass die Krähen ebenso liebenswert wie hilfsbereit und normaler als die vermeintlich „Normalen“ sind. Eine mutige Position, in einer Zeit, wo gleiches Recht für Schwarze und Weiße in den USA noch eine Utopie war. Auch Timothy ist ein Außenseiter, doch er erkennt das Potenzial in Dumbo und glaubt bis zum Schluss sowohl an Dumbo, als auch in sich.

    Der erwähnte Humor sorgt dafür, dass „Dumbo“ in allem subtil bleibt und sein moralisches und dramatisches Potenzial nicht zu dick aufträgt. Der Witz gibt sich erstaunlich ironisch, für Erwachsene wie Kinder tauglich und überraschend schräg. Als sich Dumbo und sein loyaler Freund Timothy betrinken und lauter bunte (und vornehmlich rosa) Elefanten sehen, ist dies ein Bruch in der Geschichte, mit der ein unvoreingenommener Zuschauer kaum hätte rechnen können. Diese eigenwillige, aber auch einfallsreiche und komische Szenerie kann dem sehr kleinen Betrachter Angst einjagen und ist in Disney-Filmen unerreicht geblieben. Der Extravaganz jener Traumsequenz wird in Disney-Filmen höchstens noch von „Alice im Wunderland“ oder „Fantasia“ Paroli geboten.

    „Dumbo“ ist ein besonderer und vielseitiger Film. Die einfachen, niedlichen Animationen sind äußerst effektiv und sowohl der Geschichte als auch der Charakterisierung dienlich. Sie runden ein tadelloses Gesamtbild ab und machen aus diesem Film eines der besten Zeichentrickwerke überhaupt. Anfangs hätte keiner mit dem Siegeszug des kleinen Elefanten mit den zu großen Ohren gerechnet. Doch der Film „Dumbo“ erlebte die Geschichte, von der er erzählt: Vom Außenseiter zu etwas ganz Besonderem.

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