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    Die versunkene Stadt Z
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die versunkene Stadt Z
    Von Andreas Staben

    Mittlerweile ist es Raumfahrern und Science-Fiction-Helden vorbehalten, dorthin zu reisen, „wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist“ – auf unserem Planeten sind inzwischen auch die fernsten Winkel und die tiefsten Tiefen vermessen, erkundet und ausgebeutet. Das war vor etwa hundert Jahren noch anders, als der Brite Percy Fawcett in den Regenwäldern Südamerikas Spuren entdeckte, die auf die Existenz einer versunkenen Stadt hindeuteten. Er gab ihr den Namen Z - der letzte Buchstabe des Alphabets sollte für die letzte große geografische Entdeckung der Menschheit stehen. Trotz diverser Anfeindungen aus Wissenschaftskreisen gab Fawcett die Suche nach der mysteriösen Metropole nie auf. Die Geschichte dieser Obsession erzählte der Autor David Grann in seinem Sachbuch „Die versunkene Stadt Z“, das Regisseur James Gray („Helden der Nacht“, „The Immigrant“) in seinem gleichnamigen Historiendrama in ebenso bildgewaltiges wie feinfühliges Abenteuerkino verwandelt.

    1905: Der junge Offizier Percy Fawcett (Charlie Hunnam) hat aufgrund seiner einfachen Herkunft keine guten Aufstiegschancen in der britischen Armee und nimmt daher ein Angebot der Royal Geographic Society an, als Schiedsrichter in einem Grenzstreit zwischen Brasilien und Bolivien die betreffenden unerforschten Gebiete im Amazonasgebiet zu vermessen. Er begibt sich mit seinem Assistenten Henry Costin (Robert Pattinson) und einem kleinen, durch Einheimische verstärkten Team auf eine ausgedehnte  Expedition in den Dschungel, während seine Frau Nina (Sienna Miller) mit dem kleinen Sohn Jack in der Heimat bleibt. Percy ist besonders fasziniert von der Geschichte einer untergegangenen Zivilisation, einer versunkenen Stadt aus Gold, die ihm ein Indio-Häuptling erzählt. Als er mitten in bisher unbekanntem Regenwaldgebiet altes Tongeschirr findet, ist der Forschungsreisende überzeugt, dass es den geheimnisumwobenen Ort wirklich gibt…

    Als der von seiner Expedition zurückgekehrte Percy Fawcett bei einem Vortrag vor führenden Wissenschaftlern und Forschern seine Funde präsentiert und seine Überzeugung kundtut, dass es Z tatsächlich gibt, reagieren die Kollegen mit Spott, bis das ganze Auditorium voller honoriger älterer Herren skandiert „Töpfe und Pfannen!“. In solchen Szenen interessiert Regisseur und Drehbuchautor James Gray nicht so sehr die Stichhaltigkeit von Fawcetts Thesen, sondern vielmehr seine Position als Außenseiter und Sonderling. Charlie Hunnam („Sons Of Anarchy“, „Pacific Rim“) ist dabei als wohltemperierter, aber bestimmter Brite genauso weit von der fiebrigen Besessenheit von Klaus Kinskis Aguirre entfernt wie James Gray von Werner Herzogs mystisch aufgeladener Inszenierung des deutschen Abenteuerklassikers von 1972. Als stiller Held erinnert Fawcett eher an die zugeknöpften Hauptfiguren aus Grays früheren Werken wie sie etwa Joaquin Phoenix in „Two Lovers“ verkörpert hat.

    Einige seiner stärksten Momente hat der Film dann auch in den ruhigen Szenen mit Percy und seiner Familie, etwa beim Streit mit dem ältesten Sohn Jack („Spider-Man“ Tom Holland), der sich erst vernachlässigt fühlt und dann zum glühenden Bewunderer und Mitstreiter des Vaters wird. Die persönlichen Konflikte geben dem Drama Substanz, besonders schön ist dabei, wie das Ehepaar um die Rollenverteilung ringt – hier gibt es keine im Nachhinein aus heutiger Sicht übergestülpte Gleichberechtigung und dennoch wird Nina zu einer beeindruckenden starken Frauenfigur. Auch die Auseinandersetzung Percys mit dem opportunistischen Mit-Entdecker Murray (Angus Macfadyen) vor versammelter Kollegenschaft ist ein kleines Meisterstück in nuancierter Charakterzeichnung. Neben den sorgfältig modellierten Figuren (dazu zählt auch ein kaum erkennbarer Robert Pattinson mit Vollbart) bietet James Gray aber auch jede Menge schwungvolles Abenteuerkino von epischen Ausmaßen – und das nicht nur wegen der Handlungsspanne von mehr als 20 Jahren.

    „Die versunkene Stadt Z“ ist letztlich ein Genrefilm nach klassischem Muster. Wenn es der Klarheit der Erzählung dient, dann dürfen hier auch die Ureinwohner, die vorgeblich noch so gut wie keinen  Kontakt mit Europäern hatten, Spanisch sprechen.  Dafür präsentiert sich  James Gray schon bei der eröffnenden Hirschjagd als versierter Action-Regisseur. Mithilfe der lyrischen Bilder von Kameramann Darius Khondji („Sieben“) und der mitreißenden Musik von Christopher Spelman erschafft er eine ebenso aufregende wie vielsagende Sequenz: An ihrem Ende wissen wir so einiges über den Protagonisten. In der Folge wird meistens ein eher besonnener Rhythmus (passend zum Erzählton) angeschlagen, doch ähnlich intensiv und ausdrucksstark wie der Auftakt sind schließlich auch die Szenen der letzten Expedition des Films mit Fawcett zwischen den Indianer-Fronten und nahe dem Delirium. Und die erschütternde Erster-Weltkriegs-Schlachtszene mittendrin ist schlicht einer der absoluten Höhepunkte des gesamten Kinojahrs.

    Fazit: „Die versunkene Stadt Z“ ist einerseits ein klassischer Abenteuerfilm und andererseits ein besonnenes Charakterdrama – und überzeugt auf beiden Ebenen.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Die versunkene Stadt Z" als Berlinale Special gezeigt wird.

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