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    Dieses bescheuerte Herz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Dieses bescheuerte Herz
    Von Christoph Petersen

    Im August 2013 ist der Bestseller „Dieses bescheuerte Herz“ erschienen, in dem der damals 16-jährige todkranke Daniel Meyer von seinen Erlebnissen und Hoffnungen erzählt. Geschrieben hat er das Buch gemeinsam mit dem Journalisten, Schriftsteller und Motivationstrainer Lars Amend, der den Teenager mit nur einem halben Herzen und etlichen weiteren schweren gesundheitlichen Problemen durch eine Bekannte, Leiterin einer Hospizstation, kennengelernt hat. Im Buch geht es unter anderem um eine Liste mit Wünschen, die sich Daniel mit Hilfe seines neuen „großen Bruders“ Lars gerne noch erfüllen würde – überwiegend sind das ganz alltägliche Dinge, zum Beispiel „einfach mal Cola bestellen, wie man möchte“. Dass für die Verfilmung nun mit Elyas M’Barek („Fack ju Göhte“) der aktuell größte Superstar des deutschen Kinos gewonnen werden konnte, ist zum einen ein großer Segen, weil M’Barek einfach ein toller Schauspieler ist, der vor allem in den intimen Szenen mit dem kranken Jungen und seiner verzweifelten Mutter seine ganze einnehmende Natürlichkeit ausspielt. Aber es ist zugleich auch ein Fluch, denn plötzlich steht im Zentrum von Marc Rothemunds „Dieses bescheuerte Herz“ der mit einer leider ziemlich klischeehaften fiktiven Biografie versehene Lars (der im Film Lenny heißt) und gar nicht mehr so sehr Daniel (der im Film David heißt).

    Lenny (Elyas M’Barek) ist von Beruf Sohn – das Geld seines Chefarzt-Papas (Uwe Preuss) verprasst der verwöhnte Studienabbrecher regelmäßig im Münchner Schickimicki-Club P1, wo er in einer Nacht auch schon Mal eine vierstellige Summe für Champagner springen lässt. Aber als Lenny eines Abends seinen Sportwagen im Pool statt in der Garage parkt, platzt seinem Vater endgültig der Kragen: Wenn sich Lenny nicht um einen seiner todkranken jugendlichen Patienten kümmert, dann wird ihm ab sofort der Geldhahn abgedreht. So lernt Lenny den 15-jährigen David (Philip Noah Schwarz) kennen, der schon seit seiner Geburt an einer schweren Herzkrankheit leidet und praktisch jede Sekunde tot umfallen könnte. Nachdem die ersten Hemmnisse erst einmal überwunden sind, will Lenny seinem Schützling dabei helfen, eine von dem bisher vornehmlich in Krankenhäusern aufgewachsenen Teenager erstellte Wunschliste abzuarbeiten (inklusive „einen Song aufnehmen“ und „ein Mädchen küssen“), während sich Davids Mutter Betty (Nadine Wrietz) vor allem darum sorgt, dass sich ihr Sohn bei den gemeinsamen Unternehmungen mit Lenny überanstrengen könnte…

    Regisseur Marc Rothemund hat schon einmal einen autobiographischen Roman eines todkranken Autors verfilmt: „Heute bin ich blond“ über die niederschmetternde Krebsdiagnose einer 21-jährigen Studentin nennen wir im Fazit unserer 4,5-Sterne-Kritik ein „wahrhaftiges Meisterstück“. Und eben diese Wahrhaftigkeit erreicht Rothemund phasenweise auch in „Dieses bescheuerte Herz“ wieder: Vor allem die Momente, in denen Lenny plötzlich vor einem Dilemma steht, weil sich die Abenteuer-Wünsche von David und die durchaus berechtigten Ängste seiner Mutter scheinbar gegenseitig im Wege stehen, sind extrem stark – gerade weil sie nicht emotional ausgepresst werden, sondern sich der Komplexität der Situation öffnen (es gibt hier kein „richtig“ oder „falsch“, sondern nur den respekt- und liebevollen Umgang miteinander).

    Das Gelingen dieser intimeren Szenen hat neben der aufrichtigen Performance von Elyas M’Barek auch viel mit seinen beiden Co-Stars zu tun: Das Spiel von Philip Noah Schwarz ist nie nur darauf angelegt, die Sympathien des Publikums abzugreifen, ganz im Gegenteil – wenn er in einem Moment wie ein Vorschulkind mit seinen Puppen spielt, nur um dann plötzlich von „Titten“ zu schwärmen, dann setzen diese plötzlichen Wechsel auch beim Zuschauer solche Reizpunkte, dass man kaum darum herumkommt, sich über bloßes Mitleid hinaus mit ihm als widersprüchlichem, nicht immer nur angenehmem Charakter zu beschäftigen. Und die großartige Nadine Wrietz spielt die sich seit 15 Jahren aufopfernde, aber dabei auch selbst ein Stück weit kaputtgegangene Mutter ohne jedes Fünkchen Künstlichkeit – eine auszeichnungswürdige Leistung, gerade weil sie auf all die üblichen melodramatischen Manierismen verzichtet, die häufig so gerne als kurze Schnipsel bei Preisverleihungen eingespielt werden.

    Aber so wahrhaftig all diese Momente auch wirken, so platt wirkt die Hintergrundgeschichte, die die Macher für ihre Filmversion Lenny angedichtet haben: Der politisch inkorrekte Rebell, der auf die Regeln und Konventionen scheißt und seinen Audi A8 im Pool versenkt – das ist ein bisschen wie die Villenviertel-Variante von Zeki Müller, aber hier eben auch der denkbar einfachste (und uninteressanteste) Weg, um einen klassischen Lernprozess in den Plot hineinzubekommen. Ähnliches gilt auch für einige Holzhammer-Nebenfiguren wie Lennys noch viel oberflächlichere P1-Kumpane oder den höllischen Nachbarn, der absichtlich den Fahrstuhl blockiert, weil er David seine Krankheit nicht abkauft und ihm vorwirft, nur zu simulieren (Lenny zeigt ihm dann mal, was eine Harke ist, genauso wie sich Zeki Müller in „Fack ju Göhte 3“ die Hartz-4-Mutter von Chantal vorknöpft). Diese ganz dick aufgetragenen Charaktere dienen natürlich vor allem dazu, um Lenny möglichst gut dastehen zu lassen – aber solche leicht zu durchschauenden dramaturgischen Taschenspielertricks hätte weder der Film noch Elyas M’Barek nötig gehabt, der sichert sich seine Sympathien nämlich im Zweifelsfall schon ganz alleine.

    Fazit: „Dieses bescheuerte Herz“ ist immer dann ein ganz toller, berührender Film, wenn es um den Umgang mit und die Wünsche von einem todkranken Teenager geht. Zugleich verliert sich der Film aber auch immer wieder in moralinsauren Klischees, wenn die fiktive Geschichte des Leinwand-Lennys in den Vordergrund tritt – ein verzogenes Rich Kid, das erst durch seine Begegnung mit einem Todkranken den Wert des Lebens erkennt. Ne danke, das haben wir nun wirklich schon viel zu oft gesehen.

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