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    Paterson
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Paterson
    Von Carsten Baumgardt

    Ohio Blue Tip Matches sind die besten der Welt! Das mag mancher für eine Banalität halten, weil es schließlich nur um Streichhölzer geht. Aber die stille Passion, mit der Paterson, der von Adam Driver („Star Wars 7“) brillant minimalistisch gespielte Busfahrer aus Paterson, New Jersey, solche auf den ersten Blick simplen Zeilen zusammenträgt, gibt ihnen eine ganz neue Dimensionen und schließlich bekommen sie in Jim Jarmuschs betörender Tragikomödie „Paterson“ fast schon etwas Mystisches. Nach seiner Vampir-Liebesgeschichte „Only Lovers Left Alive“ spielt die Indie-Ikone erneut mit verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung, ergründet, was das Leben lebenswert macht und stößt unter der Oberfläche auf einen reichen Quell von Gefühlen und Träumen.

    Paterson (Adam Driver) ist ein einfacher Busfahrer in der 145.000-Einwohnerstadt Paterson. Eine immer gleiche Routine bestimmt seinen tristen Alltag: Jeden Tag fährt er die Strecke der Linie 23 wie ein Uhrwerk ab, erhascht hier und da Gesprächsfetzen seiner Fahrgäste und kehrt anschließend zu seiner geliebten, schwangeren Frau Laura (Golshifteh Farahani) und ihrem störrischen Mops Marvin zurück. Abends führt er den Hund aus, trinkt in seiner Stammkneipe exakt ein Bier, bevor er den Heimweg antritt und am nächsten Tag von vorne beginnt. Aus diesem Trott bricht Paterson nur in seinen Arbeitspausen aus, in denen er Gedichte schreibt.

    An der Oberfläche ist die getragen-langsame Erzählung eintönig, in den acht Tagen der Handlung passiert kaum etwas. Eine Handvoll nicht gerade dramatischer Konflikte, die sich meist in der Bar von Doc (gut: Barry Shabaka Henley) abspielen, muss reichen. Denn das Wesentliche ist in Jarmuschs poetischer Ode im scheinbar Nebensächlichen zu finden. Zum Beispiel in Lauras Obsession für Schwarz-Weiß-Muster, die alle Lebensbereiche erfasst, oder auch in der besonderen Hingabe, mit der sie sich um ihren Hund Marvin kümmert. Laura ist nicht umsonst die größte Träumerin in einem insgesamt sehr träumerischen Film, beinahe täglich hat sie neue Ideen für die Zukunft: einen Laden mit ihren köstlichen Cupcakes eröffnen und reich werden, Gitarre spielen lernen und zum umjubelten Countrystar aufsteigen (und reich werden) – mit ihrem grenzenlosen Enthusiasmus, auch für Patersons Kunst, wirkt Laura wie eine Schwester der Französin Fabienne aus Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“, die Boxer Butch das Leben mit leidenschaftlicher Zuneigung versüßt hat. Sie glaubt bedingungslos an die Chancen des Lebens und an ihren Mann, der sich bisher nicht getraut hat, seine poetischen Texte auch nur einer Seele zu zeigen.

    Die Iranerin Golshifteh Farahani („Body Of Lies“, „Exodus“) gibt Laura ein großes Herz und viel Energie, während Adam Driver („Star Wars: Das Erwachen der Macht“, „Girls“) den Titelhelden mit unterkühltem Charme versieht, aber vor allem die Zurückhaltung des Titelhelden betont. Paterson strahlt eine faszinierende, geradezu unerschütterlich wirkende Güte und Ruhe aus, doch zwischen den Zeilen verbirgt sich die Geschichte eines Mannes, der so sehr in der Routine steckt, dass man ihn in einer Murmeltiertag-Zeitschleife wähnt. Er braucht ein für sein kleines Universum radikales Ereignis, um zu begreifen, was seine Träume wirklich sind, um die unerfüllte Sehnsucht des Künstlers, gehört zu werden, als seine eigene zu erkennen. So wirken Patersons Gedichte am Anfang noch holprig und simpel, doch je länger der Film fortschreitet, desto mehr gewinnen sie an Kraft – ein Effekt, den Jarmusch mit seiner ausdrucksstarken Bildsprache noch unterstreicht. Die minimalistischen Reime selbst sind übrigens inspiriert vom Werk des Dichters William Carlos Williams (1868-1963), der einst fünf Gedichtbände über die Stadt Paterson schrieb – beileibe kein schlechtes Vorbild.

    Poetisch ist auch Jim Jarmuschs Inszenierung: Während Adam Driver die Verse in ein Notizbuch schreibt und schwerfällig vorliest, erscheinen sie parallel dazu in Handschrift auf der Leinwand, von stimmungsvoll-soghafter Musik untermalt. Der langsame und sanfte Erzählrhythmus entfaltet einen ganz eigenen, bald unwiderstehlichen Reiz, Kameramann Frederick Elmes („Blue Velvet“, „Broken Flowers“) erschafft dazu die passenden Bilder. Besonders die Aufnahmen von den in das triste Stadtbild eingebetteten berühmten Wasserfällen des Passaic River sind eine malerisch schöne Augenweide. Die Stimmung von „Paterson“ ist eine ganz eigene und doch ist natürlich auch der entspannt-lakonische Jarmusch-Touch wiederzuerkennen, nebenbei schafft der Regisseur auch noch schnell eine Verbindung zu seinem Doku-Film „Gimme Danger“, der wie „Paterson“ bei den Filmfestspielen von Cannes 2016 läuft: Die Figuren reden in der Bar reden nicht zufällig über Iggy Pop und The Stooges…

    Fazit: Jim Jarmuschs bewegendes Außenseiter-Porträt „Paterson“ ist von überbordender Schönheit, eine stille, lebensnahe Charakterstudie über einen heimlichen Poeten, die einen unwiderstehlichen Sog entwickelt.   

    Wir haben „Paterson“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wurde.

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