Mein Konto
    Eleanor & Colette
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Eleanor & Colette
    Von Manuel Berger

    Von Marla Singer in „Fight Club“ über Mrs. Lovett in „Sweeney Todd“ bis zu Bellatrix Lestrange in den „Harry Potter“-Filmen – Helena Bonham Carter hat schon mit einer ganzen Reihe von Figuren Kinogeschichte geschrieben, die man gemeinhin als „verrückt“ oder gar „wahnsinnig“ bezeichnen würde. Und auch wenn es der immensen Bandbreite der für „Die Flügel der Taube“ und „The King’s Speech“ schon zwei Mal für einen Oscar nominierten Schauspielerin absolut nicht gerecht werden würde, sie nur auf ihre Exzentrik zu reduzieren, fühlt man sich unweigerlich an eben diese Rollen erinnert, wenn die Britin in der Eröffnungssequenz von „Eleanor & Colette“ nun kreischend und strampelnd durch den Psychiatrieflur geschleift wird. Bonham Carter reißt den Film von der ersten Sekunde voll an sich – so wird sie zum eigentlichen und letztlich auch einzigen Grund, sich das auf einem wahren Fall basierende Gerichts- und Medizin-Drama anzusehen, denn die übrigen Figuren und Elemente des Films sind von vorneherein dazu verurteilt, im Hintergrund zu verharren.

    Eleanor Riese (Helena Bonham Carter) ist davon überzeugt, dass die ihr in der Psychiatrie verabreichten Medikamente ihren Zustand eher verschlechtern als verbessern. Aber anstatt ihr zuzuhören und auf ihre Bedenken einzugehen, stellen die Ärzte die Schizophrenie-Patientin lieber gewaltsam ruhig und verabreichen ihr die Tabletten auch gegen ihren Willen weiter. Um dieses Gefühl der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins nicht länger ertragen zu müssen, beauftragt Eleanor die Anwältin Colette Hughes (Hilary Swank) damit, juristisch gegen das Hospital vorzugehen. Hughes wittert einen Fall von nationaler Bedeutung. Ihr Plan ist es, Eleanor zur Stimme für Hunderttausende psychisch Kranke in ähnlicher Situation zu machen – der Beginn eines scheinbar aussichtslosen Kampfes gegen die übermächtige Krankenhausindustrie…

    Wenn Colette ihrer Mandantin bescheinigt, dass „sie nicht schwerbehindert, sondern schwer zu ertragen“ sei, dann kann man diese Aussage auch als Zuschauer vor allem zu Beginn des Films nur allzu gut nachvollziehen: Bonham Carter spielt mit ihrer exponierten Performance konsequent gegen den zurückhaltenden Inszenierungsstil von Bille August an. Während der „Nachtzug nach Lissabon“-Regisseur das juristische Drama betont kühl, strikt chronologisch und faktenbasiert erzählt, wobei er auch mit medizinischen Fachbegriffen nicht hinter dem Berg hält, lässt er seiner Hauptdarstellerin völlig freie Hand, aufbrausend und unberechenbar zu agieren. Diese Eleanor Riese mischt die steril-geordneten Gerichtssäle und Behandlungsräume dieser Welt allein schon durch ihre bloße Präsenz gehörig auf. Bonham Carter wandert dabei stets auf dem schmalen Grat zum Overacting, weshalb ihr Auftreten gerade in den Anfangsminuten ziemlich vor den Kopf stößt – ob sich Eleanor nun gerade über medizinische Nebenwirkungen oder in der Kunsttherapie zu bastelnde Woll-Oktopoden beschwert, es dauert einfach eine ganze Weile, bis man unter der ausgestellten Widerborstigkeit auch eine unbändige Wärme entdeckt.

    Daran hat neben Kameramann Filip Zumbrunn („Höllentour“), der mit seiner Handkamera ebenfalls gegen die Akkuratesse in den Krankenhäusern und Gerichtsgebäuden anwackelt, auch die Kostümabteilung einen erwähnenswerten Anteil: Ihren ersten Tag außerhalb der Psychiatrie feiert Eleanor demonstrativ im bunten Kleid und gelber Sonnenbrille beim Picknick, während sie Stunden damit verbringt, im Geschäft nach einem passenden (unbedingt dunkelblauen) Kleid für ihren ersten Gerichtstermin zu suchen – ein betont harscher Kontrast zum Weiß der Ärzte- und Patientenkittel. Allerdings ist Eleanor die einzige Figur, der August solche Freiheiten gönnt und die im Laufe der Handlung eine echte Tiefe entwickelt. Für die restlichen Rollen ergeben sich daraus deutliche Limitierungen. Abgesehen von Hilary Swanks Colette, die sich zumindest durch ihre stressbedingte Krankheit und ihre unbestimmte Beziehung zu ihrem Freund Robert (Johan Heldenbergh) gewisse eigene Facetten erarbeitet, bleibt das übliche Figurenarsenal starr und schablonenhaft. Besonders die Gegenseite erwischt es hart: Viel mehr als den Stempel „Feindbild“ und schadenfroh grinsende Karriereanwälte gesteht August der Krankenhausindustrie nicht zu (das ist in der Rückschau sicherlich mehr als gerechtfertigt, aber mehr Ambivalenz wäre trotzdem spannender gewesen).

    Auch deshalb gelingt es dem Regisseur auch kaum einmal, den juristischen und medizinischen Seiten des bedeutenden Falls „Riese v. St. Mary's Hospital“ aus dem Jahr 1989 zumindest ein wenig von ihrer Trockenheit zu nehmen. Stattdessen muss die menschliche Seite der Geschichte den Film allein tragen: Drehbuchautor Mark Rosin (sein erstes Skript seit „Chatterbox!“ von 1977) hat der bekannten Konstellation aus arbeitsfixierter Anwältin und eigensinniger Mandantin zwar nichts wirklich Neues mehr hinzuzufügen, aber berührend umgesetzt ist sie in „Eleanor & Colette“ trotzdem allemal. Am Ende lebt der Film fast allein von einer entfesselten Helena Bonham Carter, die den Film zumindest abseits der austauschbaren Gerichtsszenen sehenswert macht.

    Fazit: Helena Bonham Carter reißt „Eleanor & Colette“ mit ihrer ganzen schauspielerischen Kraft an sich – das hat viele gute, aber auch einige schlechte Seiten.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top