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    My First Lady
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    My First Lady
    Von Michael Meyns

    Man stelle sich mal vor, ein deutscher Regisseur würde einen Film darüber drehen, wie die junge Angela Kasner während ihres Chemiestudiums Mitte der 70er Jahre ihren ersten Mann Ulrich Merkel kennengelernt hat. Eine geradezu undenkbare Vorstellung! Auch ein Film über das Liebesleben etwa von Willy Brandt würde in Deutschland wohl kaum umgesetzt werden. Amerika tickt diesbezüglich zwar anders, dennoch ist die bloße Existenz der Romanze „My First Lady“ verblüffend – in dieser wird nämlich das erste Date des noch bis Januar 2017 amtierenden US-Präsidenten Barack Obama und seiner (damals noch zukünftigen) Frau Michelle Robinson geschildert. Als süße Liebesgeschichte ist der Film des Regisseurs Richard Tanne zwar nett anzusehen, aber wenig aufregend. Umso aufschlussreicher ist dagegen, was in „My First Lady“ zwischen den Zeilen über die Bedeutung der Obamas für das liberale und vor allem für das schwarze Amerika erzählt wird.

    Sommer 1989. Es ist heiß in Chicago, als der angehende Anwalt Barack Obama (Parker Sawyers) seine Kollegin Michelle Robinson (Tika Sumpter) abholt. Diese Verabredung sei kein Date, betont Michelle immer wieder, denn sie ist um ihren Ruf in der Kanzlei besorgt, in der sie sich nicht nur als Frau, sondern auch als Schwarze durchzusetzen versucht. Solche Sorgen macht sich Barack nicht, er ist lässig und cool und redet schon wie ein zukünftiger Politiker. Im Laufe des Tages besuchen die beiden eine Ausstellung, essen gemeinsam, nehmen an der Versammlung einer schwarzen Bewegung teil und besuchen am Abend noch den gerade startenden neuen Spike-Lee-Film…

    „Fight the Power“, singen Public Enemy und fassen dabei die Essenz von Spike Lees zornigem Meisterwerk „Do The Right Thing“ in Reime - und wenn in „My First Lady“ eine Szene aus Lees Film gezeigt wird, in der ein bulliger Schwarzer von weißen Polizisten gewürgt und zu Boden gerissen wird, muss man unweigerlich an die unzähligen Bilder und Fälle von Polizeigewalt der vergangenen Monate denken. Als Barack Obama 2009 der erste schwarze Präsident Amerikas wurde, haben viele an ihn geradezu messianische Erwartungen geknüpft. Für viele liberale Weiße verkörperte der junge, lässige Schwarze die Hoffnung auf eine andere, eine menschlichere Politik - aber was seine Wahl für große Teile der schwarzen Amerikaner tatsächlich bedeutete, kann man als Weißer kaum ermessen. Dennoch ist es mit Richard Tanne ein weißer Autor und Regisseur, der „My First Lady“ gedreht hat, und es ist auf ganz eigene Art ein filmisches Loblied auf Barack Obama (und seine Frau) geworden.

    Erstaunlicherweise ist in „My First Lady“ wenig frei erfunden, denn die Obamas haben immer wieder gerne von ihrem ersten Date gesprochen, bei dem sie - wohl nicht ganz so pointiert wie im Film, an dessen Dialogen natürlich monatelang gefeilt wurde - über die afro-amerikanische Geschichte und die Rolle von Schwarzen und Frauen in einer von weißen Männern dominierten Welt diskutiert haben. Bevor sie am Abend im Kino mit dem Problem von Polizeigewalt konfrontiert werden, besuchen Barack und Michelle eine Ausstellung, in der unter anderem die Bilder des schwarzen Künstlers Ernie Barnes hängen. Dessen Kunst ist geprägt von satten Farben und schwarzen Figuren mit langen Gliedmaßen – eben typische Hipster-Figuren der schwarzen Kultur, bevor der Begriff „Hipster“ von Weißen geborgt wurde.

    Barnes Bilder sind oft in Spelunken, Poolhallen oder schummrigen Bars angesiedelt – und es stellt sich bei ihnen wie auch bei „My First Lady“ sofort die Frage, wie authentisch das nun alles ist oder ob hier nicht doch eher ein weißen Blick auf das schwarze Amerika bedient wird? Letztendlich ist Tannes Blick auf seinen Protagonisten und seine Präsidentschaft zumindest soweit verklärt, dass Obamas Defizite und seine vielen unerfüllten Wahlversprechen im Film ganz gezielt entschuldigt und als natürliche Folge des demokratischen Systems beschrieben werden. Wirklich gut gelungen ist hingegen, Obamas geballtes Charisma (seit John F. Kennedy hat schließlich kein Präsidenten die Massen so sehr begeistert) auf die Leinwand zu schmeißen. Indem er nicht einfach nur imitiert, sondern sich der Figur auf seine eigene einfühlsame Art annähert, reißt Newcomer Parker Sawyers („Jack Ryan: Shadow Recruit“) nicht nur Michelle Obama, sondern auch das Publikum sofort von den Beinen.

    Fazit: Als Film über ein völlig harmonisches erstes Date ist Richard Tannes Debütfilm kaum der Rede wert – doch für das Verständnis der Bedeutung von Barack Obama und seiner Frau Michelle für die schwarze Bevölkerung Amerikas könnte „My First Date“ zu einem Schlüsselfilm werden.

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