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    Censored Voices
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Censored Voices
    Von Michael Meyns

    Kaum eine Nation hat in den letzten Jahrzehnten so viele Kriege erlebt wie Israel, mal als Angreifer, mal in Selbstverteidigung. Der Sechstagekrieg zwischen dem 5. und 10. Juni 1967 war beides zugleich: Um dem unmittelbaren Angriff seiner arabischen Nachbarstaaten zuvorzukommen, begannen israelische Truppen mit einem Präventivschlag, der so erfolgreich war, dass Israel sein Staatsgebiet um den Gaza-Streifen, das Westjordanland, die Golanhöhen und vor allem um Ostjerusalem erweitern konnte. Anders gesagt: Israel wurde zur Besatzungsmacht und verabschiedete sich endgültig davon, ewiges Opfer zu sein. Die Folgen dieser sechs Tage sind bis heute zu spüren, die fortwährende Besatzung macht einen Ausgleich mit den Palästinensern fast unmöglich. Das ahnten schon damals israelische Soldaten, die in den Tagen nach Ende der Kampfhandlungen vom damals 28-jährigen Amos Oz, der später als Schriftsteller berühmt werden sollte, interviewt wurden. Lange waren die Aufnahmen zensiert, nun nutzt die israelische Regisseurin Mor Loushy sie für ihre überaus sehenswerte Dokumentation „Censored Voices“.

    „Nun weiß ich, was Holocaust bedeutet“, „Wir wurden alle zu Mördern“, „Wir haben nicht Jerusalem befreit, wir haben es besetzt.“: Diese und andere Aussagen hört man auf den alten Tonbändern, die in den Tagen nach dem Sechstagekrieg aufgenommen wurden. Unterlegt werden die erstaunlich hellsichtigen, selbstkritischen Äußerungen israelischer Soldaten mit Dokumentaraufnahmen, die den kurzen, aber historisch so einschneidenden Krieg nachzeichnen. Besonders die Eroberung Jerusalems und damit eines der wichtigsten Heiligtümer des Judaismus, der westlichen Mauer (auch Klagemauer genannt), nimmt viel Raum ein und damit ging nun einmal die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung einher. Solche Wahrheiten, die in Israel gern negiert werden, lässt die junge Regisseurin Mor Loushy hier aussprechen. Und indem sie nicht einfach etwa linke Politiker zu Wort kommen lässt, von denen sowieso nichts anderes als Kritik zu erwarten ist, sondern für Israel kämpfende Soldaten, bekommt ihre engagierte Dokumentation eine besondere Prägnanz. Der aktuelle Premierminister Benjamin Netanjahu spricht von den israelischen Streitkräften gerne als der „moralischsten Armee der Welt“: Genau diese Überzeugung hinterfragt die Regisseurin mit ihrem Film.

    Fazit: In ihrem hervorragenden Dokumentarfilm „Censored Voices“ zeichnet Mor Loushy anhand von alten Tonbandaufnahmen und historischem Filmmaterial den Sechstagekrieg von 1967 nach und stellt das Selbstverständnis des offiziellen Israels in Frage.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2015. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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