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    Das Leuchten der Erinnerung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das Leuchten der Erinnerung
    Von Markus Fiedler

    In Roadmovies geht es fast immer auch um eine innere Reise der Figuren zu sich selbst – beim Trip von A nach B gewinnen sie Klarheit für das weitere Leben. Eine etwas andere Perspektive nimmt der italienische Regisseur Paolo Virzi („Die Überglücklichen“) nun mit der Verfilmung von Michel Zadoorians Roman „The Leisure Seeker“ ein, in der er die Altstars Donald Sutherland („Die Tribute von Panem“) und Helen Mirren (Oscar für „Die Queen“) als seit 50 Jahren verheiratetes Ehepaar auf eine Reise schickt. Denn wo andere Antworten suchen, wollen die beiden nur eins: sich erinnern. Der Filmemacher lässt seinen Hauptdarstellern weitgehend freie Hand, die danken es ihm und erweisen sich als wunderbares Gespann, das aus der gefühlvollen Roadmovie-Tragikomödie „Das Leuchten der Erinnerung“ sehenswertes Schauspielerkino macht.

    Will (Christian McKay) fällt aus allen Wolken, als er seine Eltern John (Donald Sutherland) und Ella Spencer (Helen Mirren) morgens abholen will: Das Paar hat sich das alte Wohnmobil namens „The Leisure Seeker“ (grob übersetzt: „Erholungssucher“) geschnappt und ist einfach losgefahren – ohne ihm oder seiner Schwester Jane (Janel Moloney) Bescheid zu sagen. Dabei leidet John unter Alzheimer und weiß oft gar nicht mehr, wo er ist oder wer ihn begleitet. Selbst seine Frau Ella erkennt er nicht immer. Dennoch hat die sich in den Kopf gesetzt, John die ganze Ostküste hinunter zum Museumshaus seines Lieblingsschriftstellers Ernest Hemingway nach Key West zu bringen. Denn John war einst Englischlehrer und kann noch heute fehlerfrei über seine Lieblingsromane dozieren, dabei lässt ihn sein Kopf nie im Stich. Und so setzt Ella ihn hinters Steuer und fährt mit ihrem Mann auf altbekannten Straßen voller Erinnerungen in ein letztes großes Abenteuer …

    Keine spektakulären Kamerafahrten, keine berühmten Nebendarsteller, keine weiteren wichtigen Rollen: Regisseur Paolo Virzi verlässt sich in seinem Film ganz auf seine beiden Stars Donald Sutherland und Helen Mirren. Und er tut gut daran, denn die Story um die letzte große Reise eines Paars, das sich auch nach 50 Jahren noch liebt, lebt von den grandiosen Altstars - und von den vielen wunderbaren kleinen Ideen, die Virzi aus dem Roman von Michael Zadoorian in den Film transferiert. In einer der schönsten Szenen sitzen John und Ella nachts auf einem Campingplatz vor dem Wohnmobil und sehen sich mit einem Projektor auf einem gespannten Bettlaken alte Dias an. Dabei sind die beiden so lebhaft, dass immer wieder andere Gäste des Platzes stehen bleiben und dabei zusehen, wenn John sich an Gesichter aus der Vergangenheit erinnert - oder eben nicht. Nie ist Ellas Verzweiflung als im letzteren Fall. So niederschmetternd es für sie ist, wenn John mit einem Foto nichts anzufangen weiß, so groß ist im Gegenzug ihr Glück, als ihrem Mann plötzlich der Name der gemeinsamen Tochter wieder einfällt.

    Donald Sutherland spielt die schwierige Rolle des Demenzkranken mit so viel Würde, dass es im ganzen Film keinen peinlichen Moment gibt. Dabei wird die Krankheit keineswegs beschönigend dargestellt, wieder versagen Körper und Geist John die Gefolgschaft. Aber so glänzend Sutherland auch ist, von seiner Partnerin Helen Mirren, mit der er hier erstmals seit „Bethune – Ein Arzt wird zum Helden“ von 1990 wieder gemeinsam vor der Kamera steht, wird er noch übertroffen. Denn die 72-jährige Britin legt in der Originalfassung nicht nur einen wundervollen Südstaaten-Akzent hin, sie lässt den Zuschauer auch den ganzen Ballast spüren, den sie mit sich herumträgt. Wenn sie im Restaurant die Bedienung fast zu Tode quatscht, um von ihrem Mann abzulenken oder wenn sie absichtlich biestig ist, damit niemand merkt, wie schlecht es ihr gerade geht, dann ist das große Schauspielkunst. Zuschauer, die den Roman nicht kennen, bekommen dazu noch einen packenden Twist serviert, den Virzi so clever vorbereitet, dass man ihn nicht kommen sieht. Lediglich die Länge von fast zwei Stunden bekommt „Das Leuchten der Erinnerung“ nicht so gut, in der Mitte des Films kommt es zu einigen Durchhängern, ein paar kleine Episoden wirken etwas beliebig und in die Länge gezogen.

    Fazit: „Das Leuchten der Erinnerung“ ist starkes Schauspielerkino mit zwei perfekten Altstars, denen Regisseur Paolo Virzi alle Freiheiten gibt. Am Ende seiner tragikomischen Geschichte sorgt er für einen wirkungsvollen Knalleffekt, hätte aber vorher im Schneideraum ein wenig konsequenter aufs Tempo achten sollen. Denn so hat der Film auch ein paar Längen.

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