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    Körper und Seele
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Körper und Seele
    Von Christoph Petersen

    Ildikó Enyedis Berlinale-Wettbewerbsbeitrag und Goldene-Bär-Gewinner „Körper und Seele“ spielt an einem Ort, auf den man als Inspiration für eine solch poetisch-surreale Liebesgeschichte wohl wirklich als allerletztes kommen würde, nämlich in einem Schlachthaus in Budapest. Als die autistische Mária (Alexandra Borbély) dort ihren Job als Qualitätskontrolleurin antritt, wird sie von den meisten Kollegen gemieden (auch weil sie sich aufgrund ihrer sozialen Störung besonders streng an die Leitlinien hält), nur zu dem halbseitig gelähmten Finanzchef Endre (Géza Morcsányi) scheint sie ein besonderes Verhältnis aufzubauen. Nach dem Diebstahl eines libidosteigernden Präparats für die Rinderzüchtung müssen alle Angestellten einen psychologischen Test über sich ergehen lassen – mit einem überraschenden Ergebnis: Offenbar träumen Mária und Endre jede Nacht unabhängig voneinander denselben Traum, in dem sie sich als Hirsche in einem verschneiten Wald begegnen…

    Diese Traum-Seelenverwandtschaft hätte leicht in magisch-realistischen Kitsch abgleiten können, aber da hält Regisseurin Ildikó Enyedi (ihr Debüt „Mein 20. Jahrhundert“ von 1989 wurde zu einem der besten ungarischen Filme aller Zeiten gewählt) mit einigen besonders krassen Szenen konsequent dagegen: Vor allem eine in dokumentarischen Bildern festgehaltene Rinderschlachtung inklusive Kopfabschneiden macht schnell klar, dass es sich bei „Körper und Seele“ um keine ganz alltägliche Wohlfühl-Romanze handelt (beim – im wahrsten Sinne des Wortes - pulsierenden Finale braucht man sogar einen noch stärkeren Magen). Auch sonst umrahmt Enyedi ihre surreal-zärtliche Liebegeschichte mit betont nüchtern-präzisen Beobachtungen etwa der sozialen Strukturen im Schlachtbetrieb (wer trinkt mit wem Kaffee?) oder der alltäglichen Korruption in Ungarn (der ermittelnde Kommissar bekommt jedes Mal ein Steakpaket mit auf den Weg).

    Auch für die sozialen Herausforderungen, vor denen ihre Protagonistin steht, findet die Regisseurin einige prägnante Szenen – etwa wenn Mária nach Feierabend mal mit Salz- und Pfefferstreuer, mal mit Playmobil-Figuren anstehende oder zurückliegende Unterhaltungen durchspielt, um sich zu überlegen, wie sie in gewissen Situationen wohl „normal“ reagieren sollte. Aber darüber hinaus hat die Figur auch etwas unangenehm Manipulatives an sich: Mária ist eine blonde hübsche Frau, deren autistisch bedingte Spleens nie wirklich störend, sondern immer eher süß und liebenswürdig wirken – so ist sie genau die Richtige, um von der einzigen sensiblen männlichen Seele im Unternehmen „gerettet“ zu werden (und wenn man mal ganz zynisch sein will, erklärt es gleich auch noch mit, warum sich eine so attraktive junge Frau überhaupt mit einem verkrüppelten älteren Mann einlässt). Das ist eine (allzu) gern eingesetzte erzählerische Taktik (zuletzt etwa auch im Cro-Film „Unsere Zeit ist jetzt“, in dem Peri Baumeister eine vergleichbare Rolle spielt) - ähnlich dem ausgelutschten Klischee des Manic Pixie Dream Girl. Und das ist in diesem Fall besonders schade, weil Ildikó Enyedi und ihr ansonsten toller Film sowas eigentlich gar nicht nötig gehabt hätten.

    Fazit: Zärtlich, poetisch, berührend, dann wieder krass, kühl, schmerzhaft – „Körper und Seele“ ist eine vielfältig widersprüchliche und gerade deshalb so spannend-berührende Liebesgeschichte. Wenn doch nur die Hauptfigur nicht so klischeehaft manipulativ wäre…

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Körper und Seele“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.

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