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    The Sun Is Also A Star
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Sun Is Also A Star

    Der "Before Sunrise" dieser Generation

    Von Antje Wessels

    Die „Before“-Trilogie („Before Sunrise“, „Before Sunset“, „Before Midnight“) besitzt – zumindest unter Cinephilen – längst Kultstatus. In den drei, jeweils im Abstand von neun Jahren gedrehten Filmen lässt Richard Linklater den Amerikaner Jesse und die Französin Celine aufeinandertreffen und sie einen einzelnen Tag miteinander verbringen. Ein ganz ähnliches, wenngleich (bislang) nicht als Reihe angelegtes Konzept verfolgt auch die „Du neben mir“-Autorin Nicola Yoon in ihrem Bestseller „The Sun Is Also A Star“: Zwei Teenager lernen sich kennen und verbringen einen einzelnen Tag miteinander, daher auch der deutsche Untertitel „Ein einziger Tag für die Liebe“. Die mit Jugendstoffen bestens vertraute Regisseurin Ry Russo-Young („Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“) inszeniert den Roman nun als nicht ganz so philosophische, nicht ganz so lebensweise, dafür aber umso verspieltere Variante der „Before“-Filme, in der sie auch harte Themen wie Abschiebung, soziale Ungerechtigkeit und familiäre Konflikte zumindest streift. Das Ergebnis ist ganz einfach schön geworden – wenn auch gen Ende hin einen Tick zu optimistisch.

    Teenager Daniel (Charles Melton) glaubt nicht an Zufälle. Selbst dann nicht, als er binnen kurzer Zeit zweimal dasselbe Mädchen auf der Straße trifft. Nur ganz knapp entkommt die selbstbewusste Natasha (Yara Shahidi) einem Autounfall – dank Daniel, der fortan gemeinsam mit ihr durch die Häuserschluchten Manhattans streift. Beide haben unterschiedliche Ziele: Die kurz vor ihrer Abschiebung nach Jamaica stehende Natasha ist auf dem Weg zu einem Anwalt, um sich auf den letzten Drücker Hilfe zu holen. Sie will New York, ihr Zuhause, auf keinen Fall verlassen. Daniel dagegen benötigt ein Empfehlungsschreiben für das bevorstehende Medizinstudium in Yale, doch das gerät für ihn schnell in den Hintergrund, noch bevor er den ersten Kaffee mit Natasha getrunken hat. Stattdessen verlieben sich die beiden. Aber das ändert nichts daran, dass Natashas erzwungene Abreise nach Jamaica immer näher und näher rückt...

    Natasha droht die Abschiebung...

    Unter einem Deus Ex Machina versteht man heutzutage in einer Geschichte die Lösung eines Konflikts durch ein plötzliches, durch das vorherige Geschehen nicht motiviertes Ereignis (etwa eine aus dem Nichts auftauchende Person). Quasi ein Gottesgeschenk. Zugleich prangt der Ausdruck auch in großen Lettern auf der Rückseite von Natashas Jacke – und da Daniel ja ohnehin nicht an glückliche Fügungen glaubt, wird er auch genau durch diesen Schriftzug auf seine Traumfrau aufmerksam. Auch danach zieht sich die Frage nach Zufall oder Schicksal wie ein roter Faden durch den Film. Zur besseren Veranschaulichung, wie alles im Leben doch irgendwie zusammenhängt, unterbricht Drehbuchautorin Tracy Oliver („Girls Trip“) die eigentliche Handlung immer wieder, um lehrfilmartige Ausschnitte über Astronomie, die Zeit oder die Urknalltheorie einzufügen. Im Off verknüpft die durch und durch rationale, nicht einmal an so etwas wie Liebe glaubende Natasha die wissenschaftlichen Fakten schließlich mit ihrer persönlichen Geschichte. Eine charmante Idee, um der Lovestory zwischen ihr und Daniel geradezu kosmische Ausmaße zu verleihen. Und viel wichtiger: Um die in der zweiten Hälfte bisweilen etwas konstruiert wirkenden Entwicklungen und Wendungen zu erden. Denn wenn sowieso die ganze Zeit über so etwas wie Schicksal referiert wird, kann man sich auch schon mal darauf berufen, wenn man erzählerisch an einer Stelle gerade nicht so recht weiterkommt.

    Starke Bilder, zu aufdringliche Beats

    Zum diesem astronomischen Überbau passt es auch, dass Natasha und Daniel auf ihrem Streifzug durch New York ein Planetarium aufsuchen. Auch ein Haarpflegestore in Harlem und eine Karaokebar in Chinatown zählen zu den Anlaufstellen der beiden. Mitsamt den immer wieder eingestreuten Aufnahmen der funkelnden Skyline bei Nacht oder der sonnendurchfluteten Häuserschluchten im Abendrot wird „The Sun Is Also A Star“ so ganz nebenbei auch zu einer Liebeserklärung an den Schmelztiegel New York. Was abgegriffen klingt, ergibt hier absolut Sinn: Die kurz vor ihrer Abschiebung stehende Natasha liebt die Stadt und begreift sie als ihr Zuhause. Kamerafrau Autumn Durald („Teen Spirit“) gelingt es hervorragend, den Big Apple in all seiner Schönheit und Diversität einzufangen; ganz so wie ihn Natasha wahrnimmt. Ein wenig aufdringlich geraten ist dagegen der Soundtrack. Zwar verzichten die Macher auf allzu bekannten Radiopop. Dafür bringen sie derart viele verschiedene RnB- und Soulklänge im Film unter, dass abseits der Dialogszenen kaum ein Moment ohne fette Beats auskommt. Im Kontrast zur ansonsten so minimalistischen Geschichte wirkt das wenig stimmig.

    Über diesen kleinen Schönheitsfehler lässt sich ansonsten aber gut hinwegsehen, denn die Chemie zwischen den Leinwand-Newcomern Yara Shahidi („Grown-ish“) und Charles Melton („Riverdale“) ist derart hervorragend, dass man den beiden ihr gemeinsames Glück nun mal von ganzem Herzen gönnt, manipulative Rap-Beats hin oder her. Die trotz ihrer prekären Lage immer noch eine immense Herzenswärme ausstrahlende Natasha und der etwas forsche, aber dennoch ungeheuer charmante Daniel ergänzen sich bravourös. Und obwohl sich die beiden erst sehr spät im Film auch körperlich näherkommen (wenn man von Daniels anfänglicher Rettungsaktion einmal absieht) und ihre Interaktion zuvor vor allem aus Debatten über ihre gegensätzlichen Ansichten über das Leben besteht, steht nie zur Debatte, dass es zwischen den beiden gerade ganz mächtig knistert.

    Zwischen Natasha und Daniel knistert es sofort.

    Auch unabhängig voneinander funktionieren die beiden Darsteller gut. Vor allem Natashas verzweifelte Versuche, ihre Eltern davon zu überzeugen, für eine weitere Aufenthaltsgenehmigung in den Vereinigten Staaten zu kämpfen, lassen die 19-jährige Schauspielerin Yara Shahidi stark aussehen. Charles Melton trägt seine Konflikte dagegen vorwiegend mit sich selbst aus, wenn sein Daniel sich fragen muss, ob der Wunsch, Arzt zu werden, wirklich seiner oder nicht doch eher der seiner Eltern war. Bei der Zeichnung von Daniels und Natashas Umfeld hätte Ry-Russo Young hingegen gern noch ein wenig näher ins Detail gehen (oder sie einfach ganz weglassen) können. So erleben wir die Familien der Protagonisten nur für eine Handvoll Momente und als bloße Stichwortgeber. Doch auch so rührt das melancholische Ende, das je nach Gemütslage als Happy End oder als Sad End interpretiert werden kann, zu Tränen. Lediglich den abschließenden „5 Jahre später“-Epilog, der diese Ambivalenz sofort wieder aus dem Weg räumt, hätte es nun wirklich nicht gebraucht. Da war „Before Sunrise“ vor 24 Jahren doch deutlich konsequenter.

    Fazit: Eine ambitioniert gefilmte, toll gespielte und reduziert erzählte Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Menschen - ganz ohne den Einbezug schwerer Krankheiten oder glitzernder Fantasy-Wesen.

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