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    Dogman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Dogman
    Von Carsten Baumgardt

    Matteo Garrone ist gern gesehener Stammgast beim Filmfestival in Cannes, wo er zuletzt 2015 die verrückte Fantasy-Mär „Das Märchen der Märchen“ im Wettbewerb hatte. Schon zwei Mal staubte der Italiener zuvor an der Côte d'Azur den Großen Preis der Jury ab – 2008 für das Mafia-Drama „Gomorrha“ und 2012 für die Medien-Satire „Reality“. Mit seinem ungewöhnlichen, lose auf einer wahren Geschichte aus den späten 80er Jahren beruhenden Crime-Drama „Dogman“ erzählt Garrone wieder vom Verbrechen in seiner Heimat, stellt aber nicht die allgegenwärtige Mafia ins Zentrum, sondern einen gutherzigen Hundesalonbesitzer, der versucht, mit dem örtlichen Schlägertyrannen Freundschaft zu schließen, um sich selbst zu schützen. In trostlosen Bildern von bestechender Schönheit erzählt Garrone eine urbane Parabel, die stilistisch mehr an einen Western erinnert als an einen Gangsterfilm.

    In einem heruntergekommenen Vorort von Neapel schlägt sich Marcello (Marcello Fonte) mit seinem Hundesalon Dogman durch und verdient sich nebenbei mit dem Verticken von Kokain etwas hinzu. Schließlich muss er auch für seine kleine Tochter Alida (Alida Baldari Calabria) sorgen, selbst wenn die meistens bei der Mutter lebt. Mit seinen Nachbarn versteht sich der freundliche Marcello bestens. Als der berüchtigte Schläger Simone (Edoardo Pesce) wieder einmal kräftig ausrastet und jemanden scheinbar grundlos zusammenschlägt, wollen sich die Ladenbesitzer der Gegend zusammenschließen und einen Profikiller engagieren, der Simone aus dem Weg räumt. Marcello möchte mit der umstrittenen Aktion nichts zu tun haben und hilft dem Schläger stattdessen, als er tatsächlich angeschossen wird – wofür sich der Verwundete aber wenig dankbar zeigt. Doch damit noch nicht genug der Pein: Marcello deckt auch noch einen Raubüberfall Simones und sitzt dafür ein Jahr im Knast ab. Das Maß ist endgültig voll, als der Gangster anschließend nichts mehr von seinem Schutzengel wissen will.

    Matteo Garrone versteht sich ganz besonders auf die präzise Schilderung von sehr spezifischen Milieus, was er mit „Gomorrha“ am eindrucksvollsten bewiesen hat. Während sein ähnlich genau hinschauender Landsmann Paolo Sorrentino („La Grande Bellezza“) sich die funkelnden Prunkstücke der italienischen Kultur herauspickt, Fellini zitiert und La Dolce Vita, die Kunst und die verrottete Politik zelebriert, bietet Garrone mit seinen realistisch-dreckigen Vorort-Geschichten einen Gegenentwurf. So einmal mehr in „Dogman“ mit seinem ganz unglamourösen Protagonisten. Dieser liebenswerte Marcello ist wie ein Wiesel (in einem Hollywood-Remake würde ihn wahrscheinlich Steve Buscemi spielen), bauernschlau und ein bisschen gerissen, dabei fast schon unterwürfig nett. Er kommt mit jedem gut aus und ist immer auf der Hut. Wenn Simone nach Feierabend einen kleinen Bruch startet, muss Marcello schon mal als Fahrer einspringen und bekommt immerhin das Spritgeld ersetzt – anschließend rast er zurück, um den bedauernswerten Chihuahua-Kläffer aufzutauen, den Simone im Tiefkühler gefrostet hat! Das ist die Welt von „Dogman“.

    Doch so sehr man sich auch für den armen, sympathischen Tropf Marcello und seinen spektakulär gammeligen Hundesalon erwärmen kann, funktioniert die simple Figur des Simone nicht durchgehend. In der ersten Szene wird er als jemand eingeführt, der keine Rücksicht nimmt: Er schnorrt in Marcellos Hundebude ein Tütchen Koks und jagt es sich entgegen der dringenden Bitte seines Gastgebers direkt vor Ort in die Nase - obwohl Marcellos kleine Tochter nebenan wartet. Doch das ist auch schon das Maximum an individueller Figurenzeichnung für Simone. Im Folgenden bündelt der Regisseur nur noch das Schlechte der gesamten Welt in diesem brutalen und emotional verrotteten Schläger, der durch diese bewusste Eindimensionalität zum reinen Funktionsträger degradiert wird. Er ist nicht menschlich, er ist die Pest – hier zeigen sich die Züge einer Fabel: Ein guter Mann bekommt es mit dem Teufel höchstpersönlich zu tun. Doch Garrones offenkundige Absicht, den empathielosen Schläger zur mythologischen Figur zu überhöhen, verfängt nicht. Dafür wirkt das alles zu sehr kalkuliert und abstrakt. Mehr Komplexität und böses Charisma hätten nicht nur diesen Charakter spannender gemacht, sie hätten auch helfen können, die Wut, die man gegen Simone aufbringen soll, wirklich empfinden zu können.

    Die ebenso realistische wie stilisierte Inszenierung der absolut trostlosen urbanen Vorhölle dagegen ist beeindruckend gelungen. Mit grandios poetischen farbreduzierten Bildern sorgt Kameramann Nicolai Brüel („The Machine“) für viel Atmosphäre. Seine Aufnahmen wirken wie schmutzige Gemälde und lassen die Umgebung atmen – wenn man sich zum Trinken und zum Fußballspielen trifft oder im Cash-für-Gold-Shop ein bisschen Diebesgut verhökert. In dieser Welt schlägt sich jeder nur irgendwie durch und versucht, zu Geld zu kommen - egal wie. Die Gewalt sät Garrone dabei in kleinen, aber brutalen Schüben, bis es zum großen Showdown im klassischen Western-Gestus kommt.

    Fazit: Matteo Garrones herausragend gefilmte Gangster-Parabel „Dogman“ besticht durch eine brillante Milieuzeichnung, die emotionale Seite des Dramas kommt allerdings nicht so recht zur Entfaltung.

    Wir haben „Dogman“ bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 gesehen, wo er im Wettbewerb um die Goldene Palme gezeigt wurde.

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