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    Deutschstunde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Deutschstunde

    So verfilmt man einen Klassiker!

    Von Janick Nolting

    Die „Deutschstunde“ des vielfach ausgezeichneten Schriftstellers Siegfried Lenz besitzt mit ihren knapp 600 Seiten epische Ausmaße und gilt als eines der bedeutendsten Werke der Nachkriegsliteratur. „Bad Banks“-Regisseur Christian Schwochow hat sich nun der Mammutaufgabe gestellt, eine aufwendige Leinwandadaption des Jahrhundertwerks zu inszenieren. Damit ist er zwar nicht der erste, schließlich wurde der Roman 1971 schon einmal als fast vier Stunden langer TV-Zweiteiler verfilmt. Aber Schwochow kommt nicht nur mit etwa der Hälfte der Laufzeit aus, sondern hat mit seiner Version der „Deutschstunde“ auch eine beeindruckende Verdichtung des Stoffes geschaffen.

    Der schwer erziehbare Jugendliche Siggi Jepsen (Tom Gronau) sitzt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Strafanstalt und soll einen Aufsatz über „Die Freuden der Pflicht“ schreiben. Das Blatt bleibt leer, stattdessen sticht er sich nervös den Füller in die blutende Hand. In einer Zelle soll er die Arbeit nachholen, als er wie im Rausch beginnt, seine Kindheitserinnerungen niederzuschreiben. Aufgewachsen in der norddeutschen Provinz ist Siggi (als Kind gespielt von Levi Eisenblätter) permanent zwischen zwei Männern hin- und hergerissen: seinem strengen Vater (Ulrich Noethen) und dem expressionistischen Maler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti). Eines Tages muss Siggis Vater – auf Anordnung aus der Hauptstadt – dem Künstler ein Malverbot überbringen. So werden die einstigen Freunde zu erbitterten Feinden…

    Siggis Vater überbringt dem Maler Max das Berufsverbot.

    Man könnte sich an dieser Stelle natürlich einmal mehr darüber echauffieren, dass sich eine deutsche Produktion dieser Größenordnung mal wieder nur auf Altbekanntes, nämlich auf die hiesigen Kino-Lieblingsthemen Zweiter Weltkrieg und Nationalsozialismus verlässt. Ja, viele wird darüber hinaus wahrscheinlich auch schon der Titel abschrecken! (Nur eine Minderheit hat wahrscheinlich wirklich positive Erinnerungen an den Deutschunterreicht in der Schule.) Dennoch würde man damit dieser – so viel kann bereits festgehalten werden – absolut gelungenen und angenehm andersartigen Literaturverfilmung Unrecht tun.

    Mehr als nur Geschichtsunterricht!

    Christian Schwochow hat den Film gemeinsam mit seiner Mutter Heide Schwochow realisiert, die als Drehbuchautorin die 600 Seiten mit einigen Freiheiten auf eine kinotaugliche Länge gekürzt hat. Gemeinsam gelingt es ihnen, Lenz´ Opus Magnum auf der Leinwand eine Dringlichkeit zu verleihen, die man bei vielen zusammengestauchten Literaturverfilmungen häufig vermisst. Diese Adaption gibt sich nicht mit einer bloßen Bebilderung des Romans zufrieden, sondern abstrahiert den historischen Stoff auf eine subtile Art und Weise – und verdeutlicht so die Zeitlosigkeit der Geschichte umso mehr.

    „Die Freuden der Pflicht“ steht gleich in der ersten Einstellung bedrohlich an der Tafel im Klassenzimmer. Damit ist das zentrale Motiv der Handlung ausgesprochen: Wie schon Lenz´ Vorlage fragt der Film nach dem falschen Pflichtbewusstsein, dem Rechtfertigen der Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs, nach Anpassung und letztlich Unterdrückung, vorgeführt an Ulrich Noethens Figur des Polizisten Jens Ole Jepsen, der für das politische System seinen freigeistigen Jugendfreund verrät. Das Offensichtliche gerät dabei erstaunlich oft in den Hintergrund. Nazisymbolik gibt es kaum zu sehen, keine Aufmärsche, keine Konzentrationslager.

    Auch die Verbindungen der Figur des Malers zu dem realen, wegen seiner nationalsozialistischen Einstellung umstrittenen Expressionisten Emil Nolde, den sich Lenz beim Schreiben als Vorbild genommen hatte, wurden für die Verfilmung gekappt. Der Krieg selbst bricht nur ganz selten in die norddeutsche Einöde herein. Mitunter findet all der (noch) entfernte Schrecken sogar nur in der Natursymbolik (etwa in Form angreifender Möwen) eine Entsprechung. Stattdessen sehen wir einsame Menschen, die in der trostlosen Einöde mit den Auswirkungen des sich radikal und rasant verändernden Landes konfrontiert werden.

    Die schöne Seite Norddeutschlands: Der Film ist vollgestopft mit solchen grandiosen Wattbildern!

    Damit entzieht sich der Film einer bloßen Historisierung, sondern stützt sich auf den universalen, parabelhaften Charakter dieses Erlebnisberichts - und das funktioniert ganz hervorragend! Schwochow holt die Problematik ins Hier und Jetzt, wo Fragen nach Stellungnahme und Anpassung eine so wichtige Rolle wie lange nicht spielen, ohne dass „Deutschstunde“ deshalb gleich allzu sehr den berühmten moralischen Zeigefinger erheben würde. Ein ungewöhnlich sperriger, fordernder deutscher Historienfilm ist das geworden! Viel sperriger als beispielsweise das jüngste vergleichbare Geschichts-Großprojekt „Werk ohne Autor“. „Deutschstunde“ ist ein Film, dessen Langsamkeit man sich bewusst aussetzen muss und der nach einer aktiven Auseinandersetzung verlangt.

    Menschen beim Schweigen zusehen

    Das ist auch deshalb recht schwer zugänglich, weil „Deutschstunde“ nicht davor zurückschreckt, auch einfach mal seine Figuren beim stillen Ausharren und Nachdenken zu beobachten, während diese ihre inneren Konflikte austragen. Sonderlich geschwätzig ist die Vorlage schließlich ohnehin nicht. In dem durch Kinderaugen beobachteten Bericht verwischen immer wieder Erzählerstimme, innerer Monolog und Figurenrede, deshalb gestaltet sich eine Verfilmung umso schwieriger. Schwochow hat daraus einen stillen, bedrückenden Film gemacht, dessen Sprachlosigkeit man aushalten muss.

    Diese unbequemen, teils einseitigen Gespräche, diese fehlgeschlagene Kommunikation hört sich in ihrer literarische Ausdrucksweise im Kinosaal dann tatsächlich manchmal etwas gestelzt an, wenn bestimmte Dialoge eins-zu-eins aus dem Roman übernommen werden. Andererseits passt diese Befremdlichkeit aber auch sehr gut zu den verkrampften Figurenbeziehungen. Zu deren Emotionalität lässt sich nicht immer sofort durchdringen. In dieser Fallstudie entblättern die Figuren ihre harten Schalen teilweise ganz unterschwellig und unpathetisch. Eine schwierige Aufgabe, die vor allem den Darstellerinnen und Darstellern viel abverlangt.

    Beeindruckendes Schauspiel-Kino

    „Deutschstunde“ ist ein großer Ensemble-Film. Ulrich Noethen ist da unbedingt hervorzuheben, der einen wunderbar unangenehmen Tyrannen spielt, der auch vor körperlicher Züchtigung nicht zurückschreckt, um aus seinen Kindern gefügige und „brauchbare“ Menschen zu machen. Johanna Wokalek glänzt darüber hinaus als Ditte Nansen, die Frau des Malers, die an der ständigen Repression zunehmend zugrunde geht. In den ruhigen Momenten zwischen melancholischer Fügung und dann wieder wehrsamen, vergeblichen Gefühlsausbrüchen gelingt es Wokalek, ihrer auf den ersten Blick eher unscheinbaren Rolle eine ungeheure Tiefe zu verleihen. Ausgerechnet bei der Hauptfigur gestaltet sich das schon etwas komplizierter…

    … wobei es nicht an den zwei jungen Darstellern, die Siggi als Kind und als Jugendlicher spielen, liegt, dass ein Anknüpfungspunkt schwer zu finden ist. Vor allem Tom Gronau als jugendlicher Siggi besitzt eine faszinierende, verletzliche Präsenz. Das kann jedoch noch so gut gespielt sein, wenn das Drehbuch irgendwann einbricht. Die Kürzung des Romans macht sich nämlich spätestens dann bemerkbar, wenn sich nach einem Zeitsprung im letzten erzählerischen Akt Siggis drastischer Entwicklung nur noch schwer folgen lässt. Das ist in dem Moment, wo sich der Kreis zwischen den beiden Zeitebenen schließen soll, fast etwas oberflächlich dahingeschrieben, wenn man bedenkt, wie viel Zeit sich „Deutschstunde“ zuvor für die kleinen Gesten, Blicke und charakterlichen Ambivalenzen genommen hat. Gerade dann, wenn sich die volle Tragik dieser Hauptfigur entfalten soll, gerät „Deutschstunde“ ins Schlingern und kommt zu einem etwas überhetzt wirkenden Ende.

    Bis dahin kann man sich jedoch regelrecht verlieren in diesen düsteren, trostlosen Stimmungsräumen, die Schwochow gemeinsam mit Kameramann Frank Lamm heraufbeschwört. Wie die Kamera über die Dünen, das Watt und die Nordsee gleitet und das alles trotz seiner unendlichen Weiten wie ein beklemmendes Gefängnis anfühlt, das ist in seinen erdigen Farbtönen großartig bebildert und gehört zweifellos auf die große Leinwand. Die Naturgewalten, die im Roman eine so wichtige und metaphorische Rolle einnehmen, werden hier nicht minder beeindruckend auf Film gebannt. Fast wirkt es so, als würden diese Aufnahmen ihre Figuren verschlingen wollen – und mit ihnen das Publikum. Da gibt man sich der Schwermütigkeit dieser Geschichte gerne hin!

    Fazit: „Deutschstunde“ beweist durchaus Mut zur Sperrigkeit, was gerade im letzten Drittel den emotionalen Zugang zu den Figuren nicht gerade leicht macht. Dennoch ist Christian Schwochow insgesamt ein stark inszenierter, wunderbar poetischer Historienfilm gelungen, der den Kern und vor allem die Atmosphäre der literarischen Vorlage beeindruckend auf die große Leinwand (und da gehört er auch unbedingt hin) bringt.

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