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    Tatort: Alles was Sie sagen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Alles was Sie sagen
    Von Lars-Christian Daniels

    So richtig dicke Freunde – oder zumindest Kollegen, die bei den Ermittlungen bedingungslos durch dick und dünn gehen – sind die Hamburger Bundespolizisten Thorsten Falke und Julia Grosz bei ihren ersten drei „Tatort“-Einsätzen noch nicht geworden: In ihrem letzten gemeinsamen Fall „Dunkle Zeit“, in dem das Umfeld einer an die AfD angelehnten rechtspopulistischen Partei thematisiert wurde, verweigerte Grosz ihrem verdutzten Kollegen trotz der guten Zusammenarbeit sogar das Duzen. Ausgerechnet nach dieser Abfuhr wird das Verhältnis der beiden nun auf die bisher härteste Belastungsprobe gestellt: In Özgur Yildirims „Tatort: Alles was Sie sagen“ gerät Falke ins Visier der internen Ermittlung, weil eine Augenzeugin ums Leben kommt und die Kugel aus seiner Waffe stammen könnte. Es ist ihr bisher bester Fall: Der im nördlichen Niedersachsen spielende Krimi ist ein spannender und mit einem cleveren Drehbuch aufwartender „Tatort“, in dem die Filmemacher gekonnt mit den Erzählperspektiven spielen und den Zuschauer genüsslich an der Nase herumführen.

    Die Hamburger Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weiz) fahnden fieberhaft nach Abbas Khaled (Youssef Maghrebi): Der in Lüneburg untergetauchte Libanese, der in der Flüchtlingsklasse von Lehrer Stefan Hansen (Moritz Grove) als Tutor arbeitet, soll einer Miliz angehören, die in Syrien schwere Kriegsverbrechen begangen hat. Als Falke und Grosz den jungen Mann in einem leerstehenden Fabrikgebäude aufspüren und festnehmen wollen, gerät die Situation außer Kontrolle: Falke gibt im Dunkeln zwei Schüsse ab und Alima Khaled (Sabrina Amali), die Schwester des Gesuchten, wird tödlich von einer Kugel getroffen. Grosz war zum Zeitpunkt des Schusses außer Sichtweite – und auch der Lüneburger Kollege Junker (Gerdy Zint), der in der Abteilung für organisiertes Verbrechen tätig ist, hielt sich mit einer Einsatztruppe im Gebäude auf. Schon seit Monaten hat er es auf den einflussreichen Drogenkönig Ibrahim Al-Shabaan (Marwan Moussa) abgesehen, der seinen Landsmann Khaled offenbar unter seine Fittiche genommen hat. Falke muss sich vor dem internen Ermittler Joachim Rehberg (Jörn Knebel) verantworten – und der findet heraus, dass sich seine Aussagen bei weitem nicht mit denen von Grosz decken...

    Regisseur Özgur Yildirim („Chiko“) inszenierte bereits den allerersten Fadenkreuzkrimi mit Thorsten Falke, der 2013 noch gemeinsam mit Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) auf Täterfang ging – und die Nähe zu seinem starken „Tatort: Feuerteufel“ ist im „Tatort: Alles was Sie sagen“ häufig spürbar. Der Umgangston ist rau, die Inszenierung und der Soundtrack dynamisch und auch die Geschichte fällt deutlich geerdeter aus als beispielsweise im enttäuschenden und reichlich schrägen Falke-Tatort „Böser Boden“. Die Leidenschaft fürs Milchtrinken, die in den letzten Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten ist, haben die Drehbuchautoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf, die bereits für zahlreiche TV-Filme und -Serien gemeinsam am Ruder saßen, für den kantigen Bundespolizisten ebenfalls wiederentdeckt. Und mit der zurückhaltenden Afghanistan-Rückkehrerin Grosz scheint der aufbrausende Straßenbulle nun auch endlich die ideale Partnerin gefunden zu haben: Dieser Krimi schweißt Falke und Grosz enger zusammen, als man es zunächst aufgrund der unterschiedlichen Aussagen gegenüber der internen Ermittlung für möglich halten sollte, und legt damit das Fundament für eine noch vertrauensvollere Zusammenarbeit.

    Für den Zuschauer hat das Ganze ein bisschen was von Pete Travis‘ „8 Blickwinkel“, Brian de Palmas „Spiel auf Zeit“ oder Akira Kurosawas „Rashomon“: Weil der gewiefte interne Ermittler Rehberg (Jörn Knebel, „Die Pfefferkörner“) die beiden Bundespolizisten getrennt befragt und diese im Rahmen vieler Rückblenden verschiedene Geschichten zu Protokoll geben, kann sich das Publikum nie sicher sein, welche der beiden Versionen der Wahrheit entspricht. Dass Falke und Grosz erst auf drei gemeinsame Einsätze zurückblicken, erweist sich dabei als Vorteil: Anders als zum Beispiel die altgedienten Münchner Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die ihrem unter Verdacht stehenden Partner im „Tatort: Der traurige König“ oder im „Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben“ jeweils sofort zur Seite sprangen, sind die Bande hier bei weitem noch nicht so stark ausgeprägt – es wäre sogar vorstellbar, dass einer den anderen ans Messer liefert. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass Grosz ihrem Kollegen im Hinblick auf ihre Jugendliebe Olaf Spieß (Marc Rissmann, „The Last Kingdom“) keinen reinen Wein einschenkt: Der Zweck dieser nur auf den ersten Blick dünn wirkenden Lovestory offenbart sich erst auf der Zielgeraden.

    Denn es ist nicht zuletzt die tolle Auflösung, die die 1056. Ausgabe der öffentlich-rechtlichen Krimireihe zum bisher stärksten „Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring und Franiska Weisz macht: Die Filmemacher ziehen dem Zuschauer gekonnt den Boden unter den Füßen weg und entschädigen zugleich für ein paar kleinere Längen, die sich nach dem spannenden Auftakt im schummerigen Fabrikgebäude im Mittelteil des Films einschleichen. Falkes mögliche Schuld steht dabei freilich nicht immer im Vordergrund: Vorangetrieben wird der Film auch von der Frage, wo der gesuchte Abbas Khaled (TV-Debütant Youssef Maghrebi) in Lüneburg untergetaucht ist und welche Rolle dabei die libanesischen Kriminellen spielen, die die Kommissare ein ums andere Mal abblitzen lassen. Doch spätestens, als Falke den Spieß im Schlussdrittel des Films umdreht und seinem Kontrahenten Rehberg unmissverständlich klar macht, dass auch er sich mit Verhörmethoden auskennt, entwickelt sich der „Tatort“ zum prickelnden Katz-und-Maus-Spiel – und am Ende wird sogar das zuvor abgelehnte „Du“ noch einmal zum Thema.

    Fazit: Özgur Yilidirims starker „Tatort: Alles was Sie sagen“ ist der bisher beste „Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz.

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