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    Searching
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Searching
    Von Christoph Petersen

    Waren es zunächst nur schuftende Büroarbeiter und zockende Teenager, die mehr als die Hälfte ihres wachen Lebens auf Bildschirme gestarrt haben, dürften inzwischen deutlich mehr Menschen an dieser (verstörenden) Marke kratzen. Da ist es nur logisch, dass mittlerweile auch immer mehr Filmemacher diese Art, die Welt wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren, in ihren Werken aufgreifen. Als einer der Vorreiter hat sich dabei „Wanted“-Regisseur Timur Bekmambetov erwiesen – schließlich hat er nicht nur die Desktop-Horrorfilme „Unknown User“ und „Unknown User: Dark Web“ produziert, sondern bei dem Desktop-Terrordrama „Profile“ auch selbst Regie geführt. Mit dem von Bekmambetov produzierten und von Aneesh Chaganty inszenierten Thriller „Searching“ kommt nun noch ein weiterer Film dazu, der sich ausschließlich auf Bildschirmen abspielt – und auch wenn der Plot nicht durchweg überzeugen kann, ist es absolut erstaunlich, wie weit sich die filmische Desktop-Sprache in den vergangenen paar Jahren entwickelt hat.

    Nachdem David Kim (ganz stark: John Cho) nachts drei Anrufe seiner Tochter Margot (Michelle La) verpasst hat, scheitern am nächsten Tag alle Versuche, sie zurückzurufen. Erste Nachforschungen bei den Eltern ihres besten Freundes aus Kindertagen ergeben, dass Margot womöglich einfach nur übers Wochenende in die Berge zum Zelten gefahren ist. Aber als sich auch diese Hoffnung zerschlägt, kontaktiert David die Polizei. Während die vielfach ausgezeichnete Ermittlerin Rosemary Vick (Debra Messing) in der realen Welt nach Margot sucht, soll David die Social-Media-Konten seiner Tochter durchforsten. Aber dabei stößt der seit dem Krebstod seiner Frau Pamela (Sara Sohn) alleinerziehende Vater nicht nur auf einige vielversprechende Spuren, sondern er stellt vor allem auch fest, dass er seine Tochter bei weitem nicht so gut kannte, wie er immer geglaubt hat…

    Der Film beginnt mit einer bei Windows XP anfangenden Desktop-Collage aus Fotos, Videos und Kalendereinträgen, die Margots Kindheit und die schwere Krebserkrankung ihrer Mutter nacherzählt – das Ganze unterlegt mit leicht pathetischer Musik, fast so wie eines dieser Facebook-Videos, das eine ganze „Freundschaft“ zusammenfasst. Aber was soll man sagen: Es ist verdammt effektiv! Schon nach diesem nur wenige Minuten langen Auftakt meint man, David und seine Tochter wirklich zu kennen – selbst wenn man dann später gemeinsam mit dem Vater herausfindet, dass Margot auch noch eine ungeahnte andere Seite hat.

    Das Kinopublikum musste einst erst einmal lernen, dass die Einstellungsfolge Schuss-Gegenschuss in aller Regel bedeutet, dass da gerade zwei Menschen im selben Raum miteinander interagieren. Inzwischen wurde in dieser Hinsicht schon so ziemlich alles mal ausprobiert - und trotzdem ist es beeindruckend, welche cleveren Wege Aneesh Chaganty findet, um nur auf einem Desktop seine Geschichte und vor allem ganz viel über seine Protagonisten zu erzählen: So erfahren wir, dass die zweite Chemotherapie wohl nicht funktioniert hat, indem der Termin von Pamelas Entlassung immer wieder mit dem Mauszeiger im Kalender nach hinten verschoben wird. Und in den Chats sagen die Worte, die David anfängt zu schreiben, dann aber wieder löscht, so viel mehr aus als der Text, den er am Ende tatsächlich abschickt.

    Man leidet mit David, wenn er herausfindet, dass die Facebook-Freunde seiner Tochter eben (nur) genau das sind: Facebook-Freunde. Und man spürt den Hass der Internet-Trolle wie am eigenen Leib, wenn der verzweifelte Vater mit Verschwörungstheorie-Webseiten und sogar Mord-Beschuldigungen konfrontiert wird. Denn während „Searching“ als reiner Ermittlungs-Thriller beginnt, entwickelt er, sobald erst einmal der ganz große Medienzirkus um das verschwundene Mädchen losbricht, zunehmend auch noch eine bittere satirische Note.

    Regisseur Chaganty hält sich lange streng an sein Desktop-Konzept, wobei er sich hier und da ein paar kleinere Tricks erlaubt, etwa wenn David beim Telefonieren mit seinem Handy die Webcam an seinem Laptop anlässt, sodass wir ihm auch in diesem Moment zuschauen können. Als die Story später immer größere Ausmaße annimmt, entfernt sich „Searching“ dann sogar ganz vom Desktop und wir bekommen zunehmend auch Aufnahmen von Nachrichten-Streams und Überwachungskameras zu sehen. Aber das ist alles trotz des Aufbrechens des strengen Konzepts immer noch schlüssig und subtil genug, um sich von dem gut getimten Bilderrausch aus Social-Media-Konten, Chats, Webseiten und Newsvideos einfach mitreißen lassen zu können.

    Gar nicht subtil geht Chaganty allerdings zur Sache, wenn es um das Vorantreiben seines Plots geht. Vor allem beim Streuen falscher Fährten holt er sogar regelmäßig den ganz großen Holzhammer heraus: Wenn er uns etwas als Tatsache verkaufen will, dann tut er das auf eine solch eindeutige Weise, dass man gar nicht anders kann, als es zu glauben – selbst wenn man weiß, dass es eigentlich nicht stimmen kann, etwa weil der Film noch eine Stunde läuft und nicht schon in fünf Minuten zu Ende sein wird. Beim Erzählen der Thriller-Handlung hätte ein wenig von der Cleverness der Desktop-Inszenierung sicherlich wahre Wunder bewirkt. Und was die Twists angeht: Eine kurze Umfrage nach der Pressevorführung hat ergeben, dass etwa ein Drittel die Auflösung vorher gewusst und der Rest so gar keinen Schimmer gehabt hat. Das ist doch eine echt ordentliche Quote.

    Fazit: Hätte man den Plot von „Searching“ in Form eines ganz normalen Thrillers erzählt, wäre aus dem Film wohl drittklassige Videothekenware geworden. Aber das Konzept, ihn (fast) ausschließlich auf Computerbildschirmen stattfinden zu lassen, hebt den Stoff vor allem deshalb auf einen ganz anderen Level, weil wir den Figuren dank dieses Inszenierungskniffs so nahe wie selten kommen und deshalb auch dann noch mit ihnen mitfiebern, wenn gerade mal wieder eine Storywendung mit dem Holzhammer zurechtgezimmert wurde.

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