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    Wunderschön
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Wunderschön

    Karoline Herfurth hat's als Regisseurin einfach drauf

    Von Helena Berg

    Wann fühlen wir uns (wunder)schön? Dieser Frage geht Schauspielerin Karoline Herfurth, die mit der romantischen Komödie „SMS für dich” eines der stärksten deutschen Regiedebüts seit langer Zeit abgeliefert hat, mit ihrer dritten Regiearbeit „Wunderschön” auf den Grund. Dabei zeigt sie Frauen, die ebenfalls auf der Suche nach einer Antwort sind – so wie die Anfang 60-Jährige Frauke (Martina Gedeck), die von ihrem Mann (Joachim Król) nicht einmal mehr angeguckt wird. Oder das Model Julie (Emilia Schüle), die es unbedingt auf den Laufsteg schaffen will und die von Teenagerinnen wie Leyla (Dilara Aylin Ziem) für ihr Aussehen angehimmelt wird, obwohl sie sich selbst dafür fast zu Tode hungern muss.

    Karoline Herfurth selbst verkörpert die zweifache Mutter Sonja, die sich aufgrund von Babypfunden und Dehnungsstreifen nicht mehr attraktiv fühlt. Während ihr Mann Milan (Friedrich Mücke) bei der Arbeit befördert wird, fühlt sie sich nur noch überfordert. Dabei ist ihr auch ihre beste Freundin Vicky (Nora Tschirner) keine große Hilfe – denn die schwört darauf, dass es ohnehin das beste sei, einfach Single zu bleiben, um sich gut zu fühlen…

    Drei Regiearbeiten = drei richtig tolle Filme: Karoline Herfurth ist auch hinter der Kamera 'ne sichere Bank!

    „Wunderschön” ist eine zumindest zunächst noch lose Collage aus thematisch verwandten Geschichten – das wird gleich zu Beginn deutlich, wenn die Kamera vom Familienhaus zur Hipster-Altbauwohnung, von der Modelagentur ins Klassenzimmer springt. Außer Sonja und Vicky scheinen sich die Protagonisten nicht zu kennen – und auch ihre Sorgen mit dem eigenen Aussehen könnten unterschiedlicher kaum sein. Erst nach und nach verbinden sich die Einzelschicksale und es kristallisieren sich immer mehr Parallelen heraus. So beleuchtet „Wunderschön“ die unterschiedlichsten Figuren und Bubbles, um am Ende zu zeigen, dass sich die meisten im Kern doch dieselben Sehnsüchte teilen.

    Genau um diesen Kern geht es Karoline Herfurth beim Filmemachen, wie sie 2021 auch in einem Podcast formulierte: „Etwas Großes und Ganzes in einem Moment spüren zu lassen”, das sei ihr Ziel. Mit „Wunderschön” ist ihr genau das gelungen, immer wieder werden in nur scheinbar banalen Alltagssituationen übergeordnete Beobachtungen angeschnitten: Beim Enthaarungscreme-Kaufen versucht Vicky ihrer Freundin klarzumachen, dass sie mit ihrem Körper „okay” sein soll. Beim Vorlesen merkt Sonja, dass in allen Kinderbüchern die Mama zuhause bleibt und der Papa arbeiten geht. In ihrer Insta-Story isst Julie ein Croissant, das sie, sobald die Kamera nicht mehr mitfilmt, sofort in die Spüle spuckt.

    Wie immer mit einem wunderbar trockenen Humor: Nora Tschirner als Beziehungsmuffel Vicky.

    Das sind alles keine neuen Themen: Body-Positivity, Neutrality, Shaming, unbezahlte Care Arbeit oder die Gefahr der sozialen Netzwerke werden schon seit längerer Zeit medial diskutiert. „Wunderschön“ vermittelt sie aber mit einer ungeschminkten Klarheit, tollen Bildern und genauso tollen Darsteller*innen, zwischen denen die Chemie – auch dank des erneuten Castings von Daniela Tolkien – ganz hervorragend stimmt. Schon in „SMS für dich” überzeugten Karoline Herfurth und Friedrich Mücke als Paar – gewürzt mit Nora Tschirners fabelhaft-trockenem Humor. So zeigt „Wunderschön” nicht nur die dunklen Seiten, sondern auch den Zauber, der entsteht, wenn wir mit unseren Problemen nicht alleine sind und uns vom Druck gemeinsam befreien.

    Um ihr Leben ins Lot zu bringen, brauchen einige Protagonisten allerdings erst einen tragischen Moment, den man im eigenen Leben hoffentlich nicht erleben muss. Genau das ist jedoch die Kraft des Kinos: Uns das Schlimmste zu zeigen, damit wir es nicht erfahren müssen, um etwas zu ändern. Daher darf man „Wunderschön” nachsehen, dass er auf der anderen Seite auch einige Momente erzählt, die zu schön sind, um wahr zu sein – zum Beispiel wie Vickys Kollege trotz Ablehnung immer weiter um sie kämpft oder sich der selbstbewusste Baseballspieler auf den ersten Blick in die unsichere Leyla verliebt. Aber wer weiß? Nach „Wunderschön“ fühlt man sich jedenfalls ganz beschwingt, als ob plötzlich doch eine ganze Menge mehr möglich wäre…

    Fazit: Der perfekte Wohlfühlfilm für den Winter – und dazu auch noch mit Tiefgang. „Wunderschön” erzählt ohne die üblichen Kinoklischees vom Schönheitsdruck und seinen Wirkungen – und lässt uns am Ende trotzdem glücklich das Kino verlassen, ohne dafür ein verlogenes Happy End aus dem Hut zaubern zu müssen. Damit setzt sich Karoline Herfurth bereits mit ihrem dritten Film an die Spitze des deutschen Kino-Mainstreams!

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