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    Hallo, Mr. President
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Hallo, Mr. President
    Von Ulrich Behrens

    Zwei kluge Männer – auch das soll es geben – haben einmal geschrieben: „In der Wahlnacht des 25. Januar 1987 war die Befragung der Spitzenpolitiker beendet. Das ZDF zeigte den Spielfilm ‘Wenn die Alpenrosen blühn’. In diesem Film spielte die zwölfjährige Christine Kaufmann ein Mädchen, dessen Eltern sich in Scheidung befinden. Auf dem höchsten Gipfel der deutschen Alpen gedeihen wilde Rosen, die, wenn jemand sie pflückt und dabei sich etwas wünscht, diesen Wunsch in Erfüllung gehen lassen. Das Kind pflückt die Rosen und wünscht sich, dass sein Papa wiederkehren möge. Dann stürzt es in einen Abgrund. Der Vater, vom Verschwinden seines Kindes benachrichtigt, besteigt den Berg, Rettungsmannschaften setzen sich in Bewegung. Das Kind wird gerettet und hat den Vater, der sein Leben riskierte, wiedergewonnen. Die Eltern geben den Gedanken der Scheidung auf. Dieses Kind hat sich politisch betätigt. Der Löwenanteil an politischer Energie mag sich in solchen Beziehungsnetzen finden, in denen die Wiederherstellung von verlorenem Glück versucht wird.- Eine große Sendeanstalt wie das ZDF drückt sich durch die Zeitordnung der Sendeplätze aus. Die Bundestagswahl, von der bei der Terminierung nicht bekannt sein konnte, wie sie ausgeht, war mit der Botschaft dieses Films gleichgestellt. Es beweist geringe politische Wahrnehmungskraft, sich an der kitschigen Form dieser Botschaft zu reiben und darüber die Nachricht, die sie übermittelt, zu unterschätzen.“ (1)

    Der Kommentar passt auch ganz gut zu dem 1995 inszenierten Film „Hallo, Mr. President“ von Rob Reiner („Harry und Sally“, 1989; „Misery“, 1990; „Eine Frage der Ehre“, 1992). Reiner erzählt strenge genommen keine Geschichte, entwickelt kein Drama, der Film handelt nicht von einer Tragödie. Reiner erzählt ein Märchen, ein Märchen aus dem Weißen Haus, als das Haus noch weiß war und nicht befleckt, könnte man sagen – wenn es denn jemals weiß war. Die Botschaft ist so glasklar, dass manche sie für trivial, kitschig, vielleicht sogar heuchlerisch halten. Daran glaube ich nicht so recht.

    Die sparsame Handlung ist schnell erzählt: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Andrew Shepherd (Michael Douglas), der in der Bevölkerung großes Ansehen genießt, ein Witwer, dessen Frau an Krebs gestorben ist, mit einer Tochter namens Lucy (Shawna Waldron) – intelligent, sensibel und Posaune blasend – verliebt sich in Sydney Ellen Wade (Annette Bening). Sydney ist Angestellte einer Umweltorganisation, des Global Defense Council. Diese Organisation will den Präsidenten davon überzeugen, einen Gesetzentwurf im Kongress einzubringen, der die Schadstoffemissionen innerhalb der nächsten zehn Jahre um 20% reduziert. Der Präsident selbst geht von „realistischen“ zehn Prozent in seinem Gesetzentwurf aus. Shepherd steht kurz vor den Wahlen. Seine Berater, Stabschef MacInerney (Martin Sheen), der politische Berater Rothschild (Michel J. Fox) und Pressesprecherin McCall (Anna Deavere Smith), haben alle Hände voll zu tun, um den hohen „Marktanteil“ ihres Chefs zu halten und auszubauen.

    Sie prophezeien ihm auch, dass seine „uneheliche“ Liaison mit Sydney seinem Konkurrenten, dem republikanischen Senator Bob Rumson (Richard Dreyfuss), zugute kommen werde, weil die Kombination Witwer plus Kind plus Geliebte Wasser auf die Mühlen des konservativen Teils der Wähler sein werde. Rumson lässt nichts unversucht, eine „unheilige Allianz“ zwischen dieser „moralisch fragwürdigen“ Liaison und der „ultraliberalen Gesinnung“ Sydneys zu konstruieren, um gegenüber dem Präsidenten zu punkten. Schließlich soll Sydney 13 Jahre zuvor an einer Protestaktion teilgenommen haben, bei der die amerikanische Fahne verbrannt worden war.

    Vergebliche Mühen, denn weder Sydney, noch Mr. President verzichten auf ihre Zuneigung, und schon gar nicht auf ihre politischen Absichten.

    Douglas spielt einen Präsidenten, der in seinen Überzeugungen und seinem Verhalten integer ist, aber deshalb nicht unrealistisch dargestellt wird. Im Gegenteil: Der Präsident ist ein Mensch, keine Figur, keine Charaktermaske. Annette Bening spielt Sydney Wade in herzerfrischender Art und Weise. Ihr Lächeln und ihre Unsicherheit, dann wieder ihr konsequentes Verhalten, aber auch ihr Witz beherrschen oft sie Szenerie. „The American President“ ist als Komödie angelegt, und kann hier an vielen Stellen überzeugen. Der Film ist flott inszeniert und spart nicht mit politischen Seitenhieben auf das konservative Amerika. Auch die Nebenrollen mit Michael J. Fox, Martin Sheen und Shawna Waldron als Präsidententochter sind gut besetzt. Nur Richard Dreyfuss als republikanischer Gegenkandidat kommt leider etwas zu kurz.

    Der Präsident, den uns Reiner vorführt, ist eine Märchengestalt. Mit dem derzeitigen US-Präsidenten Bush hat er nun gar nichts gemein, aber selbst mit dem damaligen Amtsinhaber Clinton verbinden Shepherd nur vage Gemeinsamkeiten. Märchen haben es so an sich, dass sie nicht die Realität verkleistern oder beschönigen, sondern der oft allzu skrupellosen politischen Realität ihren Stempel aufdrücken: den Stempel der Wünsche und Sehnsüchte derer, die sich von der Politik etwas erhoffen – vor allem, das Zuneigung und Liebe Teil der Politik werden sollen, das heißt das emotionale Verständnis für die Nöte und Sorgen derer, die wählen oder wählen sollen. Politik aber wird verkauft als rücksichtsloses Geschäft.

    Es mag sein, um auf das anfangs Zitierte zurückzukommen, dass solche Botschaften – im Film exemplifiziert an den Themen: Schutz der Umwelt und einem Waffengesetz, das den Verkauf von Waffen drastisch einschränken soll – als kitschig empfunden werden. Darüber wird jedoch oft die Botschaft selbst vergessen. „The American President“ ist zudem nicht rührselig, auch wenn Reiner das Genre der romantischen Komödie bedient. Der Präsident, Sydney und Töchterchen Lucy gewinnen eine Familie, ihre Familie. Die Nation gewinnt einen Präsidenten, der auf einer Pressekonferenz der Heuchelei seines Gegenkandidaten Paroli bietet und zur Wahrhaftigkeit in der Politik auffordert. Märchen, ja – eben Wunschproduktion von Millionen. (Zuerst erschienen bei CIAO)

    (1) Oskar Negt, Alexander Kluge: Maßverhältnisse des Politischen. 15 Vorschläge zum Unterscheidungsvermögen, Frankfurt am Main 1993, S. 35 f.

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