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    Zwischen uns
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Zwischen uns

    Der Kampf (für ein Leben) mit dem Autismus

    Von Karin Jirsak

    Zwischen uns“ ist, wie es auch der Titel in seiner Ambiguität treffend ausdrückt, ein Film über Liebe und Distanz. Es geht um eine besondere Mutter-Kind-Beziehung: Felix (Jona Eisenblätter) ist Asperger-Autist. Der 13-Jährige lebt (auch) in einer Welt, zu der niemand anderes Zugang hat. Auch nicht Eva, seine Mutter, obwohl sie seine einzige Bezugsperson ist und die beiden sich sehr nahestehen. Aus ihrem Blickwinkel betrachten wir im Kinodebüt von Max Fey, der auch das Drehbuch schrieb, das Leben mit Felix. Eine Perspektive, die uns wenig über die Sichtweise des Jungen selbst verrät, wohl aber das Einfühlen ermöglicht in die Welt einer Alleinerziehenden, deren Kind immer wieder „aus dem Rahmen fällt“. Eine intensive Erfahrung, vor allem dank der subtilen Eindringlichkeit, mit der „Babylon Berlin“-Star Liv Lisa Fries die Rolle auflädt.

    Schlechte Nachrichten beim Elternabend: Felix geht noch nicht lange auf die neue Schule, ist aber schon wieder mit aggressivem Verhalten aufgefallen. Die aus dem Autismus-Zentrum hinzugezogene Schulbegleiterin (Lena Urzendowsky) stößt mit ihrem Optimismus bald an ihre Grenzen. Immer wieder rastet Felix aus oder läuft aus der Schule weg, wenn ihm etwas Angst macht. Dass Eva bei der Arbeit wegen ihrer Fehlzeiten vom Chef abgemahnt wird, macht die Situation nicht einfacher. Der Stress von außen bringt das eingespielte Mutter-Sohn-Gefüge zunehmend aus dem Rhythmus. Kann der nette Nachbar eine Stütze sein, oder bringt Pelle (Thure Lindhardt) nur noch mehr Unruhe in das Leben von Eva und Felix?

    Vor allem Liv Lisa Fries liefert eine grandios-intensive Performance.

    Mutter und Sohn sitzen nebeneinander auf dem Bett vor dem Spiegel. Geduldig macht Eva die zu verschiedenen Gefühlen passenden Gesichtsausdrücke vor, Felix soll sie erkennen. Sie lächelt mit betonter Mimik. „Traurig?“, rät Felix. „Nein, fröhlich, siehst du? Die Mundwinkel zeigen nach oben.“ Aufgrund ihrer Wahrnehmungsbesonderheiten fällt es Autist*innen schwer, anhand von Mimik und Gestik die Gefühle anderer Menschen zu erkennen und somit passend auf sie zu reagieren. Diese für das Sozialleben so zentralen Fähigkeiten beherrschen Menschen mit Autismus meist nicht intuitiv, können sie aber auf kognitivem Weg erlernen. Wie das unter anderem geschieht, davon zeigt Max Fey in der Eingangsszene seines ersten Kinofilms ein realistisches Bild.

    Dass Felix’ Ausraster keinesfalls „aus dem Nichts“ kommen, sondern ein Resultat dessen sind, wie seine Wahrnehmung arbeitet, und warum es für ihn so schwierig ist, in sozialen Situationen zurechtzukommen, hätte dabei aber noch deutlicher herausgearbeitet werden können. So erleben wir den Jungen hauptsächlich als „Problemkind“, ohne genau zu verstehen, woher die Probleme kommen, was die Zusammenhänge zwischen diesen Schwierigkeiten sind und vor allem, warum die autistische Wahrnehmung auch nicht ausschließlich ein „Problem“ darstellt.

    Liv Lisa Fries spielt ungemein intensiv

    Tendenziell problematisch wird auch das Verhalten der Vertreter*innen der Institutionen gezeichnet: Die Schule möchte den Jungen am liebsten auf eine Sonderschule abschieben und auch die Schulbegleiterin, die nach besagter Szenen wenig subtil an Krücken unterwegs ist, legt im Umgang mit den Reaktionen des Jungen wenig Sensibilität an den Tag. Und dann ist da noch die Schulpsychologin (Corinna Harfouch): Als man endlich darauf kommt, diese einzuschalten und Felix mal selbst zu fragen, worin seine Schwierigkeiten eigentlich bestehen und was er braucht, ist der Film schon fast zu Ende. Das Resultat dieses Gesprächs geht nicht gerade als Happy End durch und das ist nur konsequent: Fey entscheidet sich für einen leisen und zärtlichen Schlussakkord mit der darin mitschwingenden Botschaft, dass es nicht darum gehen kann, die Schwierigkeiten zu „beseitigen“, sondern nur darum, mit ihnen zu leben.

    Die dazu benötigte Kraft generiert sich einzig aus der Liebe zwischen einer Mutter und ihrem Sohn, die uns kurze 86 Minuten lang wie ein Lichtschimmer durch eine in Bleitönen schattierte Außenwelt leitet und am Ende noch einmal warm aufleuchtet. Die Darstellung dieses besonderen Bands erreicht vor allem dank Liv Lisa Fries eine ungemeine Intensität. In ihrer sehr physischen Darstellung der äußeren und inneren Konflikte ihrer Figur zeigt sich das Wechselspiel von Verletzlichkeit und der fast schon übermenschlichen Kraft, die Eva aufbringt, um den Herausforderungen des Alltags mit stoischer Ruhe entgegenzutreten. Die Kamera weiß diese nuancierte Körperlichkeit in Szene zu setzen. Der Kampf und auch die bedingungslose Liebe von Eva werden sicht- und nachfühlbar. Etwas mehr davon hätte man sich auch für Felix gewünscht.

    Das Gespräch mit der Schulpsychologin bringt zwar mehr Klarheit, aber keine einfachen Lösungen.

    Schließlich ist da noch Evas Nachbar, der Fischhändler Pelle, dem es da, wo die Institutionen versagen, (vielleicht etwas zu einfach) gelingt, sich dem Jungen auf natürliche Weise anzunähern – über das geteilte Interesse an Fischen. Beispielsweise hier hätte für Max Feys Geschichte eine Linse bereitgelegen, um auch einen Einblick in Felix’ Sicht seiner Umwelt zu geben und ihn (und seinen Autismus) somit nicht nur von außen zu betrachten. Etwas schade auch, dass etwa das Thema Pubertät mit den dazugehörigen Herausforderungen in der Darstellung von Felix kaum Beachtung findet. So bleibt er bis zum Ende statt eines mehrdimensionalen Charakters leider vor allem „ein Junge mit Autismus“.

    Fazit: Liv Lisa Fries überzeugt als alleinerziehende Mutter eines Jungen mit Asperger-Syndrom in diesem fokussiert erzählten, berührenden Drama. Ein Wermutstropfen ist die etwas einseitige Darstellung von Autismus als „Problemthema“, die sich auch dadurch ergibt, dass wir über Felix’ eigene Sicht der Dinge zu wenig erfahren.

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