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    The Ring: Das Original
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Ring: Das Original
    Von Ulrich Behrens

    Zwei Teenager, Tomoko (Yuko Takeuchi) und Masami (Hitomi Sato), sitzen in einem grell beleuchteten Raum und Masami erzählt von einem Video, auf dem merkwürdige Dinge zu sehen sind, eine Frau im Spiegel, ein Brunnen, eine Person mit verhülltem Kopf. Einige Jugendliche hätten das Video angeschaut, danach habe das Telefon geklingelt und eine Stimme verkündet, wer das Video gesehen habe, müsse genau eine Woche später sterben. Tomoko erzählt, sie habe das Video ebenfalls mit einem Freund angesehen. Kurze Zeit später ist sie tot. Dies Geschichte, die der japanische Regisseur Hideo Nakata von dieser Ausgangsposition aus erzählt, wurde kürzlich mit Naomi Watts und Martin Henderson in den Hauptrollen von Gore Verbinski dem Remake „The Ring" erneut inszeniert, das auf dem inzwischen in Japan als Klassiker geltenden „Ringu“ basiert. Etliche Kritiker bescheinigten Verbinski, der Atmosphäre des Originals sehr nahe gekommen zu sein. Dem kann ich allerdings nicht zustimmen. Nakatas Adaption eines Romans von Kôji Suzuki und Verbinskis Remake ähneln sich in der Wiedergabe der äußeren Ereignisse stark. In der Inszenierung gibt es allerdings erhebliche Unterschiede, die sich auch auf die erzeugte Atmosphäre stark auswirken.

    „Come with me to the land of darkness and fire Frolic in brine, goblins be thine Follow us across the sea The quest for Brian continues... And oh, how we will dance As the sun sets over the land of the poivrons capsicums Unravelling mysteries of oppression and doom Can we ever escape this monster boon? Salvation may come but what is the consequence?“ [1]

    Die Reporterin Reiko Asakawa (Nanako Matsushima) ist entsetzt über den Tod ihrer Nichte Tomoko und ihrer drei Freunde. Einen medizinische Ursache für den Tod der Jugendlichen konnten die Ärzte nicht feststellen. Als Reiko auf Fotos ihrer Nichte erkennt, dass die vier sich in einer Ferienhausanlage aufgehalten hatten, fährt sie dorthin und entdeckt zufällig eine unbeschriftete Videokassette in einem Schrank des Vermieters der Anlage, leiht sich das Tape aus und sieht es – mehr aus Langeweile, denn Interesse – an. Das Telefon klingelt kurz darauf, und auch Reiko wird prophezeit, sie habe nur noch eine Woche zu leben. Entsetzt bittet sie ihren Ex-Ehemann Ryuji (Hiroyuki Sanada) um Hilfe, der die Geschichte zunächst nicht glaubt. Doch als er sich eine Kopie von Reiko anfertigen lässt und das Band untersucht, findet er Hinweise auf eine Frau, die 40 Jahre zuvor Selbstmord begangen hatte: Shizuko Yamamura (Masako), die auf der Insel Oshima lebte. Shizuko hatte die Fähigkeit, Gedanken zu lesen. Die Zeit drängt, denn auch Reikos siebenjähriger Sohn Yoichi (Rikiya Otaka) hat inzwischen das Video angeschaut. Auf Oshima erfahren Reiko und Ryuji nach und nach mehr über Shizuko, die von einem gewissen Dr. Ikuma wegen ihrer Fähigkeiten öffentlich vorgestellt worden war. Bei der letzten dieser Vorführungen kam es zu einem Todesfall. Dr. Ikuma wurde deswegen von der Universität entlassen. Die zentrale Rolle bei den mysteriösen Ereignissen aber spielen Sadako (Rie Inou), die angebliche Tochter Shizukos, ein Brunnen und ein Mann, der einen Mord begangen hatte. Ryuji und Reiko glauben nun, dem Fluch des Videobandes auf die Spur gekommen zu sein. Aber sie irren sich ...

    „Shattering illusions, the cracks appear The hordes moved closer, and now they are here In the final slaughter, many will fall Four and twenty soldiers, and that's not all Can he save us? Can you feel the love between us? Can you taste my heart? Can you feel the sword between my thighs? The land where goblins seek to find Brian and the goblins!“ [1]

    Im Vordergrund der Inszenierung Nakatas stehen nicht – wie bei Verbinski – die endlosen Versuche, die mysteriösen Vorkommnisse zu erklären, immer wieder nach neuen Gründen zu suchen, was hier geschieht, also eine aufklärerische, vom Verstand geleitete, kriminalistische Tendenz, die Verbinskis Adaption des Stoffes zu einer Art Thriller werden lässt, über den man aufgrund dieser Tendenzen nur unzufrieden sein kann. Nakata setzt in einer unheimlichen und zugleich selbstverständlich wirkenden Art und Weise die Umstände um die mit dem Tape verbundenen Ereignisse als gegeben voraus. Sie sind auf erschreckende Weise in das Leben derjenigen eingebunden, die innerhalb einer Woche den Tod zu erwarten haben. Junichirô Hayashis Bilder im Halbdunkel, im grellen künstlichen Licht sind nicht durch die durch das Videoband ausgelösten Ereignisse bestimmt, sondern bilden die „normale“ Umgebung der Figuren. Die Aufnahmen aus der Umgebung der Insel, von einer Autofahrt am Schluss des Films oder der Überfahrt zur Insel Oshima zeigen eine Natur, die zum Teil fast ebenso erschreckend ist wie das, was sich innerhalb einer Woche abspielt. Das Halbdunkel der Realität, die Szenen im Brunnen, am Meer usw. vermischen sich mit den Aufnahmen vom Band, kulminierend in einer Szene, in der Sadako aus dem Fernseher heraussteigt. Die Konturen des Films sind hart, das Spiel der Personen extrem zurückhaltend, sowohl in Mimik wie in Dialogen. Es wird nur das in bezug auf die Geschehnisse Wesentliche gesagt und getan. Fast motorisch, die Emotionen im Zaum haltend angesichts der Zeitnot, spult sich der Countdown des Todes ab. Diese Tendenz des Films wird nur ab und an gebrochen, etwa wenn Ryuji in einer Szene am Brunnen zur Eile drängt und Reiko fast starr vor Angst ist, da nur noch wenige Minuten Zeit bleiben.

    Nakata benötigt weder Blut, noch Action. Er setzt auf Angst und Schrecken einer Geschichte, die keiner Erklärung bedarf, weil niemand danach fragen muss. Effektiver als in Verbinskis Interpretation bleibt so der Horror, was er ist: Horror eben. Verbinski stellt den Sohn Reikos (in seinem Film Rachels) ebenso theatralisch mit ins Zentrum der Ereignisse wie er etwa den ebenso theatralischen Selbstmord des Vaters Sadakos (bei Verbinski Samaras) mit Elektrokabeln in der Badewanne als Mittel benutzt, um Tragik zu erzeugen, damit aber scheitert. Es sind die fehlende Erklärungswut und die ebenso fehlende Theatralik, die Nakatas Film glaubwürdiger und effektiver erscheinen lassen. Zudem verzichtet Nakata auch auf Anleihen bei Klassikern des Horrorfilms. Der kriminalistischen Tendenz Verbinskis, die ständig nach Erklärungen sucht und damit auch den Zuschauer diese Richtung einschlagen lässt, steht als zentraler Aspekt bei Nakata der Schrecken „als solcher“ gegenüber. Das macht „Ringu“ zu einem klassischen, guten Horrorfilm. Und dadurch wirkt auch das Verhältnis zwischen scheinbar harmlosen Situationen, in denen sich die Lage entspannt zu haben scheint, und dem in diese Stille oder Entspannung einbrechenden Schrecken nicht nur glaubwürdiger sondern auch nachhaltiger als bei Verbinski. Denn der Schrecken „bricht“ eigentlich nicht ein, sondern ist stets präsent.

    „She can kill just with a thought“ rekurriert allerdings bei Nakata noch auf einen anderen Gesichtspunkt, auf die nahtlosen Übergänge zwischen einer virtuellen und einer realen Welt, deren Differenz kaum noch zu erkennen ist. Die Tote im Brunnen, das, was von ihr übrig geblieben ist, Knochen, Haare im schmutzigen, modrigen Wasser, in dunkler Tiefe, kontrastiert Nakata mit der „Fähigkeit“ der Toten zu leben und zu töten, mit einem Gedanken, einem Blick aus der virtuellen Welt oder aus der realen Welt, demnach eine virtuelle und zugleich tödliche reale Existenz. Der rächende, blitzartig tötende Gedanke, wird durch das Auge repräsentiert, das die vor dem Gesicht herunter hängenden Haare verbergen, gnadenlos nach sieben Tagen, so, als wolle es zugleich sagen, du hast eine Frist, aber sie nützt dir nichts. Du wirst sterben. Das Auge steht für Sehen, Erkennen, Einschätzen, Abwägen, Beurteilen, Empfindungen, für fast alles, was wir wahrnehmen, aber eben auch für Töten. Im Krieg ist die Waffe nur das exekutiv wirkende, verlängerte Auge, das die Situation auf dem Schlachtfeld einschätzt, den Raum erkundet, um den Gegner zu vernichten. Man vergleiche das Auge des hochkomplexen Computersystems HAL in Kubricks „2001. A Space Odyssey“ – das ebenso tödliche Wirkung entfaltet. Sehen ist für uns die wichtigste Form zu erkennen. Hier wird es zur Waffe einer lebenden Toten, einer realen und virtuellen Person, eines Racheengels, dem niemand entkommen kann.

    „Ringu“ ist nicht umsonst bereits ein Klassiker des Horrorfilms und hat unter japanischen Fans Kultcharakter. Der Schrecken – und das ist ein, wenn nicht der entscheidende Unterschied zu Verbinskis Interpretation – kommt hier nicht aus einer „anderen“ Welt, aus einer Sphäre von Geistern, aus einer durch Brutalität, Unvernunft, Skrupellosigkeit charakterisierten Fremdheit zur „normalen“ Welt, sondern ist Bestandteil einer Welt.

    [1] Sneaking Fog, zit. n.

    http://www.hustlersquad.co.uk/lyrics/songs/song_brian.htm

    Die Zeile "Frolic in brine, goblins be thine" wird im Film zitiert.

    (Zuerst erschienen bei CIAO)

    Filmkritik "The Ring" lesen

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