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    Lars Eidinger - Sein oder nicht sein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Lars Eidinger - Sein oder nicht sein

    Wer ist er - und wenn ja, wie viele?

    Von Lucas Barwenczik

    Lars Eidinger versteckt sich nicht. Er lebt genau so sehr in Schlagzeilen wie auf Theaterbrettern. Was er auch tut, es ist eine Nachricht wert. Ob er sich zum Ukraine-Konflikt äußert oder mit einer selbst designten Aldi-Tüte vor Obdachlosen posiert – in den Feuilletons und Sozialen Medien wird drüber diskutiert. Was soll da ein Dokumentarfilm über ihn noch Neues hervorbringen? Reiner Holzemer sucht mit „Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein“ nicht unbedingt den Mann hinter der öffentlichen Figur, sondern die Beziehung zwischen seinen verschiedenen Facetten. Was hat der Lars Eidinger auf der Bühne mit dem in den Nachrichten zu tun? Mit dem Filmschauspieler, dem DJ, dem Fotografen, dem ewigen Skandalon? Was ergibt sich, wenn man das Mosaik zusammensetzt? Ergibt sich da überhaupt etwas?

    Holzemer und sein Team begleiten Eidinger bei Proben für das Stück „Jedermann“ in Salzburg sowie beim Dreh der HBO-Serie „Irma Vep“ – außerdem sehen wir ihn als Hamlet und Richard III. in den Inszenierungen an seinem Heimattheater Schaubühne. Abgerundet wird das Ganze durch Pressekonferenzen, DJ-Sets, Interviews, Film-Clips und Alltagsimpressionen. Als Talking Heads werden Wegbegleiter*innen wie Thomas Ostermeier, Isabelle Huppert oder Michael Sturminger über ihn befragt. Letzterer führt Regie beim „Jedermann“ und wird in einer Szene des Dokumentarfilms von Eidinger minutenlang angebrüllt. Er hatte sich erdreistet, kurz mit einer Kollegin über die Inszenierung zu sprechen, während Eidinger auf der Bühne probt. In dieser Szene wird noch einmal betont, was immer wieder anklingt: Eidinger performt auch in Alltagssituation, so wie er Alltag auch auf die Bühne trägt. In diesem Fall spielt er einen Wutausbruch, theatralisch überhöht. „Ich stehe über überhaupt gar nichts drüber“, erklärt er einmal. Und weiter: „Ich will, dass mich alles im besten Fall trifft.

    Ein Leben (und Spielen) mit offenem Visier - das seelische (und körperliche) Entblößen gehört bei Lars Eidinger einfach dazu.

    Leben und Schauspiel mit offenem Visier. Lars Eidinger, metaphorisch und sehr oft auch ganz konkret nackt. Holzemer präsentiert einen Mann, der keine Risiken scheut. Das Problem ist: Wenn diese Risiken negative Konsequenzen haben, dann ist er natürlich auch nicht so begeistert. So ist das meistverwendete Wort des Films, noch vor Artikeln wie „der“ oder „das“, ohne jeden Zweifel „missverstanden“. Immer wieder werden seine Worte, Bilder und Taten falsch ausgelegt, vielleicht sogar böswillig sinnentstellt. Die Sache mit der 550 Euro teuren Aldi-Tasche und den Obdachlosen kommt immer wieder zur Sprache. Sie lässt ihn sichtlich nicht los. Eidinger bemängelt, an der Erklärung hätten die Leute kein Interesse gehabt, nur am Schimpfen. Im Film erklärt er dann leider nichts dazu, auch der Film erklärt nichts.

    Im Internet findet man zu dem Thema Eidinger-Sätze wie: „Das ist überhaupt nicht als Luxusartikel gedacht, sondern eher als Hommage an den Alltag, an die Dinge des täglichen Lebens.“ Schwer nachvollziehbar, wieso der frenetische Beifall ausblieb. Wie oft kann man Missverstanden werden, bis man seine Art der Kommunikation überdenkt? Oder will er vielleicht missverstanden werden? Der Regisseur stellt dazu keine Fragen. Der Film will nicht dekonstruieren, sondern die Geschichte vom wilden, freien Künstler weitererzählen. Und weil viel Feind auch viel Ehr bedeutet, verschwendet „Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein“ ein wenig zu viel Zeit und Energie auf die Konstruktion eines äußeren Feinds.

    Verteidigung gegen einen aufgebauschten Feind

    Den Höhepunkt der Albernheit erreicht der Film, wenn er zu dramatischer Musik eher unspektakuläre Schlagzeilen zur Berlinale-PK, bei der Eidinger in Tränen ausgebrochen ist, aneinanderreiht. Gefolgt von Tweets, die allesamt zu dem harmlosesten gehören, was man auf sozialen Netzwerken in der Regel zu lesen bekommt. Fast will man beim Schreiben einer Kritik vorsichtig sein– wer weiß, ob die eigenen Aussagen nicht im nächsten Dokumentarfilm auftauchen?

    Es ist nicht überraschend, dass gerade das Schauspiel in den letzten Jahren vermehrt zum Politikum geworden ist. Es entzieht sich den klaren Kategorien, nach denen sich viele sehnen. Es schafft unreine Erfahrungen zwischen Realität und Fiktion und lässt Identitäten verschwimmen. Der Künstler als Universalgenie und die Autonomie der Kunst stehen in der Kritik. Der Film positioniert Eidinger als ihren Verteidiger. Auch in der Serie „Irma Vep“ von Olivier Assayas hat er zuletzt einen verrückten, drogensüchtigen Rockstar-Schauspieler gespielt. In einer Szene wohnen wir den Dreharbeiten bei, es ist sein finaler Monolog. Ein glühendes Plädoyer für die Gefahr in der Kunst.

    Von der österreichischen Theater-Legende Edith Clever scheint selbst Lars Eidinger schwer beeindruckt zu sein.

    Doch irgendwie fühlt sich Eidinger hier nie so recht gefährlich an, im schlimmsten Fall sogar wie eine Art Hofnarr. Die Höhepunkte des Films sind trotzdem die Theater-Mitschnitte. „Ich werde auf der Bühne ich selbst“, heißt es einmal. Wieso dann eigentlich den weniger authentischen abseits von Schaubühne und Co. dokumentieren? Wenn Eidinger über die Bretter tobt und stolpert, brüllt und flüstert und flucht, dann versteht man, was ihn reizvoll macht. Dann ist der Film bei sich selbst. Aber es wirkt auch wie eine Sammlung einstudierter Rituale, ein Anspielen gegen die eigenen Fesseln. Manche Provokation - etwa die Obsession mit Fettleibigkeit und körperlichen Versehrungen bei den Figuren – wirkt ein wenig müde. Und die krasseren Eidinger-Stunts – Würstchen im Hintern etc. – finden gar nicht erst statt. Zumindest Redakteur*innen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kann der Bürgerschreck immer noch schocken.

    Eidinger gesteht ohne großen Widerstand ein, ein Ehrgeizling und Karrierist zu sein. Seinen Narzissmus zu verstecken, wäre wohl absurd. „Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein“ hat dem Ego des Schauspielers leider wenig entgegenzusetzen. Man sollte seinen Gegenstand nicht unbedingt niedermachen, ihm so faul nach dem Mund zu reden ist allerdings auch eine schlechte Idee. Am Ende dreht sich alles in Endlosschleifen um Lars Eidinger. Man sieht ihn nicht in einem neuen Licht, nur von Bühnenscheinwerfern gesegnet wie eh und je. Als Kritik hätte es auch gereicht, einfach immer wieder seinen Namen zu schrieben.

    Fazit: Lars Eidinger, Lars Eidinger und nochmals Lars Eidinger. Das „nicht Sein“ des Titels erscheint albern, wenn der Film sich eine Welt ohne ihn offenbar nicht einmal vorstellen kann.

    Wir haben „Lars Eidinger: Sein oder nicht Sein“ beim Film Festival Cologne 2022 gesehen.

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