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    Bis ans Ende der Nacht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bis ans Ende der Nacht

    Als ob Rainer Werner Fassbinder einen "Polizeiruf" inszeniert hätte

    Von Christoph Petersen

    Nach seinem meisterhaften Thriller „Die Lügen der Sieger“, der sich noch stark auf das Paranoia-Kino der späten 1960er und 1970er Jahre bezog, beackert Christoph Hochhäusler in „Bis ans Ende der Nacht“ nun einen der wohl denkbar klassischsten Kriminalfilmplots, indem er ihn mit den Mitteln eines Melodramas der Marke Rainer Werner Fassbinder aufpeppt. Los geht es dabei direkt mit einer gleich dreigefächerten Ton-Bild-Schere: Während wir in einem mit Wischeffekten arbeitenden Zeitraffer sehen, wie eine kleine Wohnung in einer Plattenbausiedlung in Frankfurt renoviert wird, läuft auf der Tonspur Heidi Brühls toll-schmalzige Nachkriegs-Schlager „Eine Liebe so wie Du“ – und die eingeblendeten Titel erstrahlen in einem Gelb, das erneut an das Genrekino der Siebziger gemahnt.

    Ein vielversprechend-wilder Mix, dessen Faszination direkt noch weiter befeuert wird: Die angesprochene Wohnung hat offenbar der Koch Robert Demant (Timocin Ziegler) für seine trans*-Freundin Leni Malinowski (Thea Ehre) herrichten lassen, die gerade erst nach einem Jahr hinter Gittern aus dem Knast entlassen wurde. Die Willkommensparty läuft abgesehen von ein paar Holprigkeiten beim Erzählen der Kennenlerngeschichte noch weitestgehend normal. Aber sobald die Gäste weg sind, gibt sich Robert plötzlich gar nicht mehr verliebt, sondern kalt und abwesend. Twist: Der schwule Koch ist ein verdeckter Ermittler, und Leni hat sich auf einen Deal eingelassen, um früher aus dem Knast zu kommen.

    Zwischen Robert (Timocin Ziegler) und Leni (Thea Ehre) läuft mehr, als es ihrer Undercover-Mission guttut.

    Das Ziel der Aktion ist der Clubbetreiber und ehemalige DJ Victor Arth (Michael Sideris), ein alter Bekannter von Leni, der sein Geld inzwischen vor allem mit einer Art Amazon für Drogen verdient. Bei einem Tanzkurs wird ein „zufälliges“ Treffen zwischen den Dreien und Victors Freundin Nicole (Ioana Iacob) arrangiert. Allerdings macht die komplizierte Beziehung des Undercover-Paares den Einsatz nicht gerade leichter: Leni hat sich nämlich überhaupt nur unter der Bedingung auf den Deal eingelassen, dass Robert die Rolle ihres Liebhabers übernimmt – die beiden hatten schließlich schon im wahren Leben was miteinander, als Leni noch Lennard hieß…

    Erstmals hat Christoph Hochhäusler nicht ein eigenes, sondern ein Drehbuch von Florian Plumeyer („Alle wollen geliebt werden“) verfilmt. Mit den eingespielten Schlagern u. a. von Zarah Leander und Hildegard Knef, die in einer Szene in einem Club sogar statt der ausgeblendeten Elektro-Mucke laufen und so erneut eine besonders krasse Bild-Ton-Schere heraufbeschwören, macht der Regisseur gar keinen Hehl daraus, dass er hier eine ganz und gar klassische Prämisse des (Genre-)Kinos beackert. Das Undercover-Paar, das seine Beziehung nur spielt, sich dann aber (vielleicht) doch ineinander verliebt, ist auf der Leinwand seit 100 Jahren Dauergast. Für einen modernen Anstrich sorgen unterdessen die Konstellation aus schwulem Mann und Transfrau sowie das Abwandern des Drogenhandels ins Netz.

    Leni war im Knast, weil sie mit dem Dealen angefangen hat, um ihre von Robert unerwünschte Geschlechtsumwandlung bezahlen zu können.

    Für einen konsequent spannenden Kriminalfilm traut sich „Bis ans Ende der Nacht“ (anders als „Die Lügen der Sieger“) dann allerdings doch zu wenig Genre, während die (eigentlich auch schon wieder veralteten) Ideen zur 2.0-Transformation des Drogenhandels nur sehr oberflächlich angeschnitten werden und deshalb eher als weitere Metaphern für Lenis Transition fungieren. Die melodramatischen Elemente geben da zwar schon mehr her, aber so richtig feurig oder dramatisch wird es dann doch nicht. Die österreichische Newcomerin Thea Ehre ist zwar richtig toll als Leni, aber der angestrebte Gegensatz zwischen zarter Transfrau und hartem Cop kommt schon deshalb nicht so recht zum Tragen, weil Timocin Ziegler zwar mit Lederjacke und wilder Langhaarfrisur aufwartet, aber mit seinem theatralischen Sprachgestus trotzdem den passenden street cred vermissen lässt. Außerdem wird Roberts Problem damit, dass er Leni offenbar nur „mit Penis“ lieben kann, zwar kurz angerissen, dann aber wie nebenher fallengelassen.

    Trotzdem bleibt man bis zum – schön schelmischen – Finale gerne dran. Und das liegt vor allem an der Inszenierung. Auf Englisch würde man wohl sagen: „Christoph Hochhäusler directs the shit out of this!“ Das erste herantastende Techtelmechtel zwischen Leni und Robert zeigt Hochhäusler als eine Aneinanderreihung von sicherlich acht oder sogar noch mehr jeweils von links nach rechts in verschiedenen Entfernungen am Sofa vorbeifahrenden Dolly Shots. Und bei einem Gespräch auf der Polizeiwache – eigentlich eine Szene, bei der man beim „Tatort“-Gucken direkt zum Bierholen aufstehen würde – lässt er die Kamera so auf Arschhöhe um 360°-Grad kreisen, dass wir die meisten Anwesenden nur von kurz unterhalb bis kurz oberhalb der Gürtellinie zu sehen bekommen. Ein wenig mehr von diesem – auch ein bisschen wahnsinnigen – inszenatorischen Feuer hätte man sich auch bei den Gefühlen der Amour fou oder den Genreelementen des Krimiplots gewünscht…

    Fazit: Christoph Hochhäusler zieht zwar inszenatorisch einmal mehr alle Register, dennoch kommt „Bis and Ende der Nacht“ lange weder als Kriminalfilm noch als Melodrama so richtig in die Gänge. Dafür ist aber das Ende verdammt toll.

    Wir haben „Bis ans Ende der Nacht“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo der Film in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

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