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    Art College 1994
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Art College 1994

    Ein Kunstgespräch so schwer wie Blei

    Von Jochen Werner

    Was die Kunst uns zu sagen hat, dafür gibt es keine Worte“, heißt es nicht nur ein-, sondern gleich zweimal im chinesischen Animationsfilm „Art College 1994“. Dabei ist diese Dopplung durchaus bezeichnend, denn ganz kontraintuitiv zur Message dieses Satzes wird im dritten Film des Regisseurs Liu Jian ganz schön viel geredet, und zwar meistens über Kunst. Im Zentrum der narrativ eher lose verbundenen Dialogszenen steht dabei eine mehr oder weniger befreundete Clique junger Kunststudent*innen an der südchinesischen Academy of Arts, die sich inmitten der fortschreitenden Öffnung des Landes gen Westen in allerlei Zwiespalten wiederfinden: Nach Frankreich ziehen oder in China bleiben? Gute Ausbildung oder gute Heirat? Erst Karriere oder erst Familie? Tradition oder Moderne? Und wenn Moderne: Was ist das überhaupt?

    Die meisten avantgardistisch-modernen Ansätze, die ihre Kommiliton*innen so ausprobieren, vom Action Painting bis zur Performance Art, überzeugen die befreundeten Protagonisten Xiaojun und Rabbit jedenfalls wenig. Die ultratraditionelle Schule, die viele ihrer konservativen Lehrer verfolgen, soll es aber auch nicht sein. Und die Frage, wie man von alldem dann auch noch leben könnte, macht es für die aus armen Verhältnissen stammenden Studierenden auch nicht leichter. Denn ist es nicht in ästhetischer Hinsicht viel radikaler und konsequenter, das klassizistische Prunkgemälde kurzerhand zu verbrennen? Und was, wenn es dann anschließend doch plötzlich ein reicher Galerist anschauen möchte – einfach neu malen?

    Wer Kunst erschaffen will, der muss erst mal ausgiebig kontemplieren.

    Der von allerlei bekannten chinesischen Regiekollegen – von Bi Gan bis Jia Zhangke – eingesprochene „Art College 1994“ beginnt als eine Art Campus-Hangout-Movie, mit vielen Gesprächen über Dieses und Jenes, ein paar eher im Keim steckenbleibenden romantischen Avancen und einer Handvoll sacht antiintellektueller Seitenhiebe gegen allzu ungewohnte Formen künstlerischen Ausdrucks – Schlagrichtung „das könnte ich auch“. Wenn man die naheliegende Mutmaßung anstellt, dass Regisseur Liu Jian hier eine ansatzweise autobiografische Ebene in den Film einzieht, kann man sich auch in der Tat gut vorstellen, dass er sich auf einer traditionalistisch orientierten Kunsthochschule nicht unbedingt am rechten Ort gefühlt hat. Schließlich verrieten seine ersten beiden Langfilme „Piercing I“ und „Have A Nice Day“ eher eine Freude am Spiel mit Film-Noir-Elementen und Postmodernismen der Marke Quentin Tarantino.

    Allerdings blieben schon von diesen in einem groben Minimalismus-Stil animierten Genrestücken vor allem jene Szenen in Erinnerung, in denen sich Liu Jian für die oft ärmlichen Lebensumstände und den Überlebenskampf seiner Figuren an der Peripherie einer brutalen Gesellschaft interessiert. Insofern scheint die Abwendung von den Genrenarrativen hin zu einer etwas offeneren Erzählweise, die ein bestimmtes Milieu und die Erfahrungen einer Generation von Chines*innen, die in den Neunzigerjahren jung und auf der Suche nach ihrem Weg im Leben und in der sich transformierenden Gesellschaft war, erst einmal vielversprechend. Und so fängt es auch an: Im ersten Drittel erinnert „Art College 1994“ an manche Filme von Richard Linklater: an die rotoskopierten Animationsfilme natürlich, den nostalgischen Space-Age-Film „Apollo 10 ½“ und mehr noch den ähnlich redseligen „Waking Life“, aber auch an die nichtanimierten Flaneursfilme der „Before“-Trilogie. Irgendwann aber beschleicht einen der Verdacht, dass Lius Film auf gar nichts weiter hinauslaufen könnte.

    Für die Studentinnen am Art College stellt sich immer wieder die Frage: Wirklich einen Abschluss machen oder nicht doch eher heiraten?

    Denn obgleich hier alle ziemlich viel reden, haben meistens nichts Besonderes zu sagen. Die Reflexionen über die Kunst an sich, über Sinn und Unsinn akademischer Kunstausbildung oder über den Kunstmarkt bleiben komplett an der Oberfläche. Die paar Plänkeleien, die sich aus einer Folge ungemein keuscher Datingversuche ergeben, sind auch kaum der Rede wert und entwickeln nie eine dramatische Fallhöhe.

    Sowohl die verspielte Form als auch die Leichtigkeit, mit der die zitierten Linklater-Filme ihre Protagonist*innen über durchaus Profundes parlieren lassen, gehen „Art College 1994“ völlig ab. Für eine Weile plätschert der im reduzierten, aber durchaus eingängigen Stil Lius animierte Film einigermaßen gefällig dahin, und man schaut alldem mit gedämpftem Interesse zu. Über die durchaus beträchtliche Laufzeit von zwei Stunden allerdings wird es irgendwann ganz schön bleiern.

    Fazit: Anfangs erinnert der autobiografisch anmutende Künstler- und Generationenfilm noch an Richard Linklater, ohne jedoch dessen Leichtigkeit, Verspieltheit oder gedankliche Tiefe zu erreichen. In den besten Momenten angenehm und folgenlos dahinplätschernd, in den schwächeren eher ein bleischwerer Klumpen, der zwischen Anspruch und Wirklichkeit einfach eine zu große Lücke klaffen lässt.

    Wir haben „Art College 1994“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo der Film in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

     

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