Dreams
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Dreams

Eine grausame Beziehung

Von Janick Nolting

Ohrfeige, Schlag in die Magengrube: Mit welchen Ausdrücken man immer Filmerlebnisse wie dieses beschreiben will, Michel Franco („Memory“) ist längst ein Garant für unangenehmes, aber absolut herausragendes Kino – und den Schockfaktor hat er auch in seinem neuesten Werk nicht verlernt. „Dreams“ eröffnet mit dem Blick auf einen LKW, der in der Landschaft steht. Sonnenschein, Ruhe. Wer weiß, wie lange das Fahrzeug schon dort geparkt wurde? Dann ein plötzlicher Schnitt, Nacht, der Laderaum wackelt, Menschen schlagen verzweifelt gegen die Wände und rufen um Hilfe. Zahlreiche Geflüchtete aus Mexiko hat man darin eng an eng eingesperrt, bis endlich jemand die Tore öffnet.

Franco lässt einen jungen Tänzer namens Fernando (Isaac Hernández) an diesem Schauplatz erscheinen. Gerade noch in dem Laster in die USA geschmuggelt, irrt er nun durch die Wildnis bis in die Zivilisation. Sein Ziel: San Francisco, wo er von der großen Ballettkarriere träumt und seine extrem wohlhabende, deutlich ältere Freundin Jennifer (Jessica Chastain) lebt. Sie ist die Erbin eines Familienunternehmens, einer Stiftung, die sich im Tanzgeschäft engagiert. Zwischen finanziellen Abhängigkeiten und Machtgefällen scheint die Beziehung der beiden zum Scheitern verurteilt zu sein. Unaufhaltsam schlittert sie in die Katastrophe…

Hinter Jennifers Eleganz tun sich immer tiefere Abgründe auf… Teorema
Hinter Jennifers Eleganz tun sich immer tiefere Abgründe auf…

Jessica Chastain (Oscar für „The Eyes Of Tammy Faye“) spielt ihre Figur als Frau in emotionaler Rüstung. Schon wenn sie das erste Mal auf der Leinwand erscheint, ganz in Weiß und in einen eleganten Mantel gekleidet, verströmt sie die völlige Unnahbarkeit. Eine ehrgeizige, berechnende Geschäftsfrau ist das, drapiert in einem kühlen Designer-Tempel. Und es ist nur ein Kunststück dieses Films, dass gerade ihre darstellerische Leistung derart facettenreich gelungen ist, dass Chastain selbst in den übelsten Ausfällen und finstersten Abgründen, die sich im Charakter ihrer Rolle auftun, immer noch einen Rest Ambivalenz und Verletzbarkeit wahrt, die man keineswegs in Schutz nehmen, aber zumindest innerhalb ihrer Lebensrealität zu verstehen lernt.

Gewohnt eiskalter Stil

Schon in Michel Francos letztem Film „Memory“ glänzte Chastain – ebenfalls eine höchst verstörende Beziehungsgeschichte. Und Franco führt einen dieses Mal erneut gewieft an der Nase herum, wenn er seinem Publikum in all den bruchstückhaft ausgebreiteten und nüchtern beobachteten Szenen immer wieder kurze Lichtblicke andeutet, dass für diese Geschäftsfrau und den geflohenen Tänzer doch noch alles gut werden könnte, ehe der nächste gnadenlose Tiefschlag folgt.

Franco hat seinen fragmentarischen Erzählstil inzwischen perfektioniert. Seine kurzen Schlaglichter auf Situationen, diese trostlosen, meist statisch gefilmten totalen Einstellungen provozieren erneut das genaue Hinsehen und Studieren: Welche Regungen sich dort womöglich abzeichnen, was dort eigentlich geschieht, was diese Figuren umtreibt? Unscheinbares, Unheimliches und Befremdliches fallen auch in Francos neuestem Film in eins. Und wenngleich der Autorenfilmer schon wendungsreicher erzählt hat, ist „Dreams“ ein außerordentlich klares und konzentriertes Werk, wie es seine Haltung entwickelt und sein Thema auf der Leinwand entblättert.

Der Fremde als Spielball

Da tauchen allerlei vertraute Motive aus den letzten Filmen „New Order“, „Sundown“ und „Memory“ auf: kapitalistische Ausbeutung, Tourismus, Geschäfte, die Familien von innen zersetzen, Traumata, hoffnungslose Beziehungen. Eingebettet ist all das in eine schonungslose Abrechnung mit der amerikanischen Migrationspolitik und den gesellschaftlichen Denkmustern, die damit verbunden sind. Viele Filme beschäftigen sich mit diesem Thema, viele haben das Leid und die beschwerlichen Leben von Migrant*innen vor dem Hintergrund des gescheiterten Amerikanischen Traums beleuchtet. Michel Franco verdichtet das in einem weiteren Beitrag hochspannend und parabelhaft auf eine erotische Affäre.

Sehnsüchte und Ideologien werden hier auf Fremde projiziert, während Privilegierte, zu denen Jessica Chastains Figur gehört, kaum noch wahrhaben wollen, wie sehr sie andere degradieren, ausnutzen, nach ihren eigenen Fantasien und Zuschreibungen formen und in toxische Verhältnisse drängen. Bei ihnen ist jederzeit klar, wer schlussendlich am längeren Hebel sitzt. Was ist es denn aber nun, was diese Figur antreibt? Empfindet sie echte Liebe zu diesem jungen Tänzer? Wünscht sie sich tatsächlich eine gemeinsame Zukunft mit ihm und wenn Ja, nach welchen Regeln? Oder geht es hier nur um die Lust am Besitz?

Liebe oder Spielzeug?

Sehnt sich Jennifer nach einem Toyboy, einer Art Urlaubsaffäre, die man in der Ferne festhält und dann und wann besucht, wenn es gerade mit dem nächsten Business-Meeting vereinbar ist? Der Druck von außen tut sein Übriges, schließlich hat sich in der konservativen gesellschaftlichen Logik eine Frau wie Jennifer von einem mittellosen Flüchtling fernzuhalten. Man hält sich für etwas Besseres. Arbeiten, Dienen und Unterwerfen, diese Aufgabe weist man den Fremden zu. Doch wehe, sie verlangen mehr! An Utopien und Aussöhnungen ist Michel Franco filmisch nicht interessiert. Ihm geht es um die Konfrontation.

„Dreams“ nimmt dabei beide Perspektiven ein, auch die des Tänzers, der sich mit anderen Migranten austauscht, die Ähnliches erfahren. Verbissen hält er an seinen Hoffnungen auf ein besseres Leben in den USA fest, obwohl er schon einmal aus lapidaren Gründen abgeschoben wurde. Selbst die größte Lebensgefahr nimmt er in Kauf. Und so entspinnt sich der gesamte Film als klug montierte Abfolge von Bewegungsprozessen. „Dreams“ gleicht mitunter fast schon einer Stalking-Geschichte, wie sich hier Figuren nachstellen, voreinander fliehen und dann doch wieder unvermittelt aufeinandertreffen. Fremdheitserfahrungen werden mal von Jennifer, mal von Fernando auf bittere Weise erfahren. Sie alle gipfeln im Frust und schließlich in der Gewalt. Und der Welt, die hier vorwiegend in tristen Grau- und Blautönen inszeniert wird, ist alles Leben, alle Empathie entwichen.

Ein neuer Michael Haneke?

Gerade die letzte halbe Stunde von „Dreams“ hebt all die Such- und Trennungsprozesse noch einmal auf eine ganz neue Ebene. Sie verlagert das wiederholte Überschreiten von nationalen, aber auch zwischenmenschlichen Grenzen auf eine weitere Versuchsanordnung, die ihre Umschlagplätze und Trennmauern wiederholt verschiebt. Die Gräuel, die hier ausgesprochen, enthüllt und zugefügt werden, hallen eine ganze Weile nach. Und ja, vielleicht gefällt sich Franco manchmal immer noch ein wenig zu sehr in diesen Schocks und Provokationen. Der Zynismus, der ihnen innewohnt, ergibt dennoch eine konsequente Pointe für diese toxische Beziehungsgeschichte.

Vielleicht bieten sich die Filme von Michael Haneke („Die Klavierspielerin“) als Vergleich an. Nicht in ihrem Spiel mit dem Medium Film, aber in der abgebrühten, unterkühlten und schonungslos konfrontativen Art und Weise, wie hier Menschen beobachtet werden, die einander Abscheuliches antun. „Dreams“, Träume, hat Michel Franco seinen Film genannt. Und man kann sich inzwischen sicher sein, dass Träume in seinen Werken immer besonders erschütternd gegen die Wand gefahren werden.

Fazit: „Dreams“ ist ein weiteres eindringliches, schwer verdauliches Drama von Michel Franco. Sein neuer Film wirft einen abgründigen Blick auf die Lebenssituation von Migranten in den USA, indem er eine privilegierte Mehrheitsgesellschaft mit deren erotischen Obsessionen und Unterdrückungsfantasien konfrontiert.

Wir haben „Dreams“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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