Nouvelle Vague
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Nouvelle Vague

Wer hätte gedacht, dass ein Filmdreh so unfassbar unterhaltsam sein kann?!

Von Michael Meyns

Am 16. März 1960 begann eine neue Ära des Kinos! An diesem Tag feierte mit „Außer Atem“ der erste Film von Jean-Luc Godard seine Premiere. Kaum ein Film war so einflussreich wie die auf dem Papier banale Gangstergeschichte, inspiriert vom amerikanischen Film Noir, mit improvisierten Guerilla-Methoden gedreht. Mitten drin zwei junge Stars sowie ein Filmkritiker am Beginn einer großen Regiekarriere, die erst im September 2022 mit Godards Freitod endete.

Nun hat Richard Linklater („Blue Moon“) einen Film über die Entstehung von „Außer Atem“ gedreht, eine Hommage an die Nouvelle Vague, gespickt mit Zitaten, Verweisen und Bezügen, gefilmt in schwarz-weiß und im Format 1:1,37, so wie damals auch bei Godard. Das ist natürlich heftiges Inside Baseball, aber auch wer sich mit Godard nicht auskennt, selbst wer „Außer Atem“ nicht gesehen hat, der könnte durch „Nouvelle Vague“ große Lust bekommen, selbst einen Film zu drehen, Regeln über den Haufen zu werfen, mit Kunst die Welt zu verändern. Vor allem aber ist „Nouvelle Vague“ – ob nun mit Vorkenntnissen oder ohne – einfach unfassbar unterhaltsam.

Jean-Luc Godard (Guillaume Marbeck) lässt sich von nichts und niemandem reinreden, egal wie sehr sie auch drohen, den Stecker zu ziehen. Jean-Louis Fernandez
Jean-Luc Godard (Guillaume Marbeck) lässt sich von nichts und niemandem reinreden, egal wie sehr sie auch drohen, den Stecker zu ziehen.

Paris, 1959. Während viele seiner Kolleg*innen beim legendären Filmmagazin Cahiers du Cinema bereits ihre ersten Filme gedreht haben, wartet Jean-Luc Godard (Guillaume Marbeck) mit zunehmender Ungeduld auf seine Chance. Erst der große Erfolg, den sein Freund François Truffaut (Adrien Rouyard) mit „Sie küssten und sie schlugen ihn“ beim Filmfest in Cannes feiert, ändert alles. Plötzlich erklärt sich der Produzent Georges de Beauregard (Bruno Dreyfürst) bereit, auch Godards ersten Film zu produzieren, allerdings nur, wenn er Truffauts Konzept für einen Gangsterfilm als Vorlage nimmt.

Doch Godard mag keine Pläne und schon gar kein festes Drehbuch. Stattdessen lässt er seine Jungstars Jean Seberg (Zoey Deutsch) und Jean-Paul Belmondo (Aubry Dullin) lieber spontan vor der Kamera von Raoul Coutard (Matthieu Penchinat) agieren. Der ist zwar ebenso wie die anderen Teammitglieder irritiert von Godards unbändiger Lust am Spontanen und Authentischen, lässt sich aber von der Energie und Selbstsicherheit des Regisseurs mitreißen…

Filmhistorische Bonmots im Minutentakt

„Alles was es für einen Film braucht ist ein Mädchen und eine Pistole“, soll Jean-Luc Godard einmal gesagt haben, auch wenn er selbst das Zitat D.W. Griffith zugeschrieben hat. „Nouvelle Vague“ ist regelrecht durchzogen von solchen pointierten Statements. Der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von „Außer Atem“ 28 Jahre alte Godard drückt sich – zumindest in dieser, gewiss ein wenig idealisierten, Version – sogar fast ausschließlich in Sprüchen und Sentenzen aus. So zitiert er sich quer durch die Literatur- und Filmgeschichte und gibt apodiktisch zu verstehen, dass er ganz genau weiß, wie die Zukunft des Films auszusehen hat.

Der bislang kaum bekannte Guillaume Marbeck spielt Godard als Mischung aus Souverän und (sympathischem) Despot, der seinen Schauspieler*innen ein Drehbuch vorhält und seinen Produzenten schier zur Verzweiflung treibt, wenn er mal wieder ein stilistisches Ingmar-Bergman-Zitat in seinen Film einbaut. Und er setzt tatsächlich nie seine Sonnenbrille ab, ganz egal, ob beim Drehen, beim Essen und selbst im dunklen Kinosaal: Godards Augen bleiben hinter den dunklen Gläsern verborgen.

Großartig recherchiert – und mit feiner Ironie abgeschmeckt

Manieriert könnte das wirken und auch ein bisschen arrogant, aber das würde nicht zu Richard Linklater passen, der sich seit Jahrzehnten mit Filmen – von „Confusion - Sommer der Ausgeflippten“ bis zu „A Killer Romance“ – eine ganz besondere Lässigkeit zu eigen gemacht hat. Wie Klassentreffen muten gerade seine Ensemble-Filme oft an, wie ein Wiedersehen guter, alter Freunde – und so wirkt auch „Nouvelle Vague“. Das Ensemble aus bewusst nicht bekannten französischen Schauspieler*innen nimmt Godard mit viel Ironie, lässt sich von dessen Macken nicht irritieren, macht sich zunehmend sogar über seine Eigenarten lustig. Ob die Dreharbeiten zu „Außer Atem“ wirklich so abgelaufen sind? Am Ende spielt es keine Rolle.

Das Drehbuch von Holly Gent und Vincent Palmo Jr. wirkt trotzdem hervorragend recherchiert und funktioniert immer wieder als Einführung in das Denken Jean-Luc Godards. Nicht jede apodiktisch vorgetragene Sentenz muss man ernst nehmen, vieles hat auch Godard im Lauf seiner langen Karriere selbst über den Haufen geworfen, revidiert, weitergedacht. Doch was sich beim Blick hinter die Kulissen eines revolutionären Filmprojektes vor allem zeigt, ist wie sehr Godard gegen alle Regeln gedacht und agiert hat: Ob er wirklich schon während der Dreharbeiten so genau wusste, dass man getrost Anschlussfehler, Achsensprünge oder Jump-Cuts verwenden kann? Dass man die Regeln der Filmgrammatik ruhig brechen kann, vielleicht sogar muss?

Godard hat dies Zeit seiner Karriere gemacht, ist dabei aber immer einem Rat von Jean-Pierre Melville gefolgt: Es kommt nicht darauf an, wie man filmt oder mit welchem Budget, sondern darauf, was man zu sagen hat. Godard hatte in seiner 60-jährigen Karriere enorm viel zu sagen, den Anfang machte er mit „Außer Atem“, einem großen Klassiker, dem Richard Linklater mit „Nouvelle Vague“ ein wunderbar-verspielten, gnadenlos spaßiges und temporeiches Denkmal setzt.

Fazit: Auch wenn sich ein Film über die Dreharbeiten von Jean-Luc Godards „Außer Atem“ wie harte Cineasten-Kost anhört, gelingt es Richard Linklater in „Nouvelle Vague“, die Entstehung eines der einflussreichsten Filme der Filmgeschichte zu einer Hommage an rebellische Kunst zu machen, die sich nicht um Regeln schert und Neues wagt. Eine würdige Hommage an Godard und einen großen Klassiker des Kinos. Garantiert nicht nur für Insider*innen!

Wir haben „Nouvelle Vague“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

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