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    TwentyNine Palms
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    TwentyNine Palms
    Von Christian Horn

    Mit drei Jahren Verspätung startet Bruno Dumonts vorletzter Film „Twentynine Palms", der bei den Filmfestspielen von Venedig nominiert war, nun auch in den deutschen Kinos. Die Verzögerung könnte daran liegen, dass der Film des mehrfach ausgezeichneten französischen Regisseurs in hohem Maße verstörend und sperrig geworden ist. Dumont verzichtet auf Erklärungen, auf eine Geschichte im engeren Sinne und arbeitet stilistisch überaus sparsam und karg. Die Kamera ruht auf dem Geschehen, Musik wird fast völlig ausgespart und die Dialoge sind radikal reduziert. Die imposante Wüstenlandschaft Kaliforniens und die latent vorhandene, nicht näher definierte Bedrohung der beiden Hauptfiguren lassen den Film dennoch, auf eine völlig eigenwillige Art und Weise, spannend werden.

    Die beiden Protagonisten in „Twentynine Palms" sind David (David Wissak) und Katia (Katia Golubeva), ein Liebspaar - er Amerikaner, sie Russin. David ist Fotograf und sucht in der kalifornischen Wüste rund um die trostlose Kleinstadt 29 Palms geeignete Motive für seinen nächsten Auftrag, seine Freundin begleitet ihn. Sie beziehen ein Hotel und machen täglich Ausflüge in das Umland. Der Film zeigt immer wieder dieselben Situationen und Orte: Fahrten in die Wüste, den Hotelpool, gemeinsames Fernsehen im Hotelzimmer, leidenschaftlichen Sex, nicht minder leidenschaftliche Streitereien und das Besorgen des Abendessens. Die Gesprächsthemen des Paares sind, da es laut David – und da hat er nicht ganz Unrecht – ohnehin immer aneinander vorbei redet, sehr reduziert. „Was essen wir heute Abend?", „Was läuft da im Fernsehen?", „Wo gehen wir hin?" - immer dieselben Fragen, immer knappe Antworten. Schon früh wird dem Zuschauer bewusst, dass in dieser Beziehung etwas nicht stimmt, auch wenn er nicht näher bestimmen kann was. Der Rhythmus des Paares besteht aus wilden, plötzlich hereinbrechenden und immer existenzieller werdenden Streits und animalischem Sex, bei dem David seine Erregung regerecht herausschreit. Jederzeit erwartet der Zuschauer eine Implosion der Beziehung, die in jeder Szene erfolgen könnte. Aufgrund seiner dramaturgischen Unzuverlässigkeit, und das ist positiv gemeint, ist „Twentynine Palms" nämlich alles zuzutrauen. Und am Ende kommt bricht die Katastrophe ebenso unvermeidlich wie unerwartet über die David und Katia herein.

    Bruno Dumont nutzt die Wüstenkulisse seines Films als Spiegelbild des Innenlebens seiner beiden Hauptfiguren, er projiziert die Leere und feindliche Bedrohung auf das Liebespaar. Dabei lässt er dem Zuschauer den größtmöglichen Freiraum und zwingt ihn zum Hineindenken in die Figuren, deren Alltag die Geschichte treibt – und einzig und allein bestimmt. Es war in diesem Zusammenhang ein Glücksgriff die Rollen mit unerfahrenen Schauspielern zu besetzen, die von ihrer Natur her den Figuren entsprechen. Dumont gelingen eindrückliche Bilder, die dem Zuschauer hängen bleiben und die Geschichte auf einer bildlichen, rein filmischen Ebene glänzend kommunizieren. Dumont nutzt dabei bekannte Bilder des amerikanischen Kinos und lässt viele Erinnerungen an amerikanische Filmklassiker aufkommen, beispielsweise an Steven Spielbergs „Duell", ohne diese schlicht zu kopieren. Man kann den Autoren der „Cahiers du Cinéma" nur beiplichten, wenn sie schreiben: „...und auch wenn man bei dem Film an unzählige Situationen und Filme denkt, von Ford bis Frank, von Antonioni bis Wenders, von Stroheim bis Spielberg und Lynch, so sind es doch keine Zitate... vielmehr geht es um die gespenstischen Bilder und Gedanken, die diese Welt heimsuchen..." Und diese gespenstischen Bilder und Gedanken manifestieren sich in Dumonts „Twentynine Palms" in der bereits erwähnten, beunruhigenden Grundstimmung, die den Zuschauer gespannt und hilflos auf das Hereinbrechen des Grauens warten und den Film letztlich zu einem Liebes- wie Horrorfilm werden lässt.

    „Twentynine Palms" ist, wie die anderen Filme Dumonts auch, ein Skandalfilm und wird im medialen Diskurs mit Sicherheit auch in erster Linie als solcher wahrgenommen werden. Trotzdem ist er auch ein kühnes Experiment, eine radikale Reduktion der gestalterischen Mittel, die dennoch treffend eingesetzt werden. Ein Film über gestörte Kommunikation und den Schrecken sinnloser, unbegreiflicher Gewalt. Ein postmoderner Film.

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