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    La mala Educación - Schlechte Erziehung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    La mala Educación - Schlechte Erziehung
    Von Deike Stagge

    Der Film noir erlebte seine Blütezeit als Filmgenre in den sechziger Jahren vor allem in Frankreich. Besonderes Merkmal dieses Genres ist eine fatalistische Grundtendenz der Handlung, die zum Ende hin immer weitere Kreise zieht. Außerdem stellt eine zentrale Filmfigur entweder eine Femme fatale (zumeist im französischen Film noir) oder ein Enfant terrible dar, dass heißt, dieser Charakter zieht alle Menschen in seinem Umfeld ins Verderben. Es ist besonders schwierig, einen Film noir zu machen, weil die Handlung trotz fortschreitender Abgründe so spannend bleiben muss, dass der Zuschauer nicht irgendwann die Augen vom Leinwandübel abwendet und sagt: „Mir reichts“. Der spanische Ausnahmeregisseur Pedro Almodovar, bereits eine Koryphäe auf dem Gebiet des Melodram, hat sich in seinem neuesten Werk „La Mala Educación“ erneut am Genre versucht und beschäftigt sich dabei auch mit dem spanischen Schwulenmilieu der 1960er und 80er Jahre.

    Madrid, Anfang der 80er Jahre: Enrique Goded (Fele Martínez) ist ein junger Regisseur, der gerade seinen Durchbruch geschafft hat. Er sucht nach neuen, spannenden Geschichten, die sich als Filmstoff eignen und leidet unter seiner Schreibblockade. Da erhält er Besuch von seinem Schulfreund Ignacio (Gael García Bernal), den er seit 16 Jahren nicht mehr gesehen hat. Die beiden verbindet eine gemeinsame Leidensgeschichte: In den 60er Jahren besuchten sie die gleiche katholische Jungenschule, die von Padre Manolo (Daniel Giménez-Cacho) geleitet wurde. Der Pater verliebte sich in Ignacio, der aber mit Enrique seine erste Liebe erlebte. Daraufhin warf der eifersüchtige Pater Enrique von der Schule, und die Jungen verloren sich aus den Augen. Ignacio ist inzwischen Schriftsteller geworden und hat seine traumatischen Erlebnisse mit dem Pater im Drehbuch zu „Der Besuch“ verarbeitet, in dem es auch zu einer fiktiven Begegnung der Dreiecksbeziehung zwanzig Jahre später kommt: Ignacio ist transsexueller Künstler und tritt unter dem Namen Zahara auf. Er versucht, den Pater Manolo wegen der Belästigung um Geld zu erpressen und trifft dabei auch eher zufällig auf Enrique. Enrique möchte die Geschichte verfilmen, will aber Ignacio nicht seine autobiografische Rolle geben. Außerdem kommen ihm immer größere Zweifel an der Identität von Ignacio, der kaum noch Ähnlichkeit mit Enriques erster Liebe aufweist. Trotzdem macht er den jungen Mann zu seinem Liebhaber, um herauszufinden, welchen Plan sein angeblicher Freund verfolgt und was mit Ignacio geschah, nachdem die Jungen den Kontakt verloren hatten.

    Pedro Almodovar gilt spätestens seit „Hable Con Ella - Sprich mit ihr!“ als Spezialist für komplizierte Erzählstrukturen. Aber mit „La Mala Educación“ geht er noch einen Schritt weiter: Die Film-im-Film-Sequenz beträgt eine halbe Stunde und fordert vom Zuschauer volle Konzentration, da sich in ihr Fantasie und Wahrheit der erzählten Handlung mischen. Zur besseren Ordnung greift der Regisseur auf einen Erzähler im Off zurück, der das Gesehene der verschiedenen Handlungsstränge sinnvoll verknüpft und die Orientierung für das Publikum erleichtert. Trotzdem muss man die ganze Zeit scharf aufpassen, um den Anschluss nicht zu verlieren, denn der Zuschauer erlebt die Darstellung des von Ignacio verfassten Drehbuchs in einem eigenen Film, der einen bedeutenden Teil von „La Mala Educación“ umfasst. Dabei ist besonders faszinierend, dass Padre Manolo von zwei verschiedenen Schauspielern dargestellt wird: Daniel Giménez-Cacho spielt den jungen Pater sowie den Geistlichen in der Film-im-Film-Sequenz. Lluis Homar verkörpert den gealterten Mann, der mit seiner Vergangenheit klarzukommen versucht. Dieser dramaturgische Trick ermöglicht dem Zuschauer die Differenzierung zwischen dem Täter Padre Manolo und dem eher hilflos wirkenden alten Mann, der seiner Besessenheit verfallen ist.

    „La Mala Educación“ besticht durch seine einfühlsam erzählte Geschichte und die wandelbaren Schauspieler, allen voran Gael García Bernal, der sich sogar durch eine dreifache Rolle hervortut. Unglaublich, wie der Mexikaner vom jungen Muskelprotz zum wimpernklimpernden Transvestiten wird. Eine großartige schauspielerische Leistung, die auch von Kostüm und Make up mitgetragen wird. Dem internationalen Publikum dürfte wenig über die Mitwirkenden bekannt sein, doch im spanischsprachigen Raum sind die meisten von ihnen bereits gefragte Starts. Gael Gacía Bernal spielte bereits in Filmen wie „Amores Perros“ oder „Y Tu Mamá Tambien“. Zuletzt überzeugte er als leidender Priester in „Die Versuchung des Padre Amaro“. Fele Martínez konnte bereits mit großen spanischen Regisseuren arbeiten wie beispielsweise mit Alejandro Amenabar („The Others“) in dessen Debütfilm „Tesis“ und „Abre Los Ojos“, der später als „Vanilla Sky“ mit Tom Cruise neu verfilmt wurde. Er kennt auch Pedro Almodovar bereits aus der Zusammenarbeit in „Sprich mit ihr!“.

    “La Mala Educación“ kann auch mit einem humoristischen Element aufwarten: In „Der Besuch“ stellt sich Ignacio den Travstiekünstler Paquito (Javier Cámara) als treuen Freund mit lockerem Mundwerk an die Seite, der zumindest kurzzeitig für Heiterkeit sorgen darf. Paquito ist die Paraderolle für Javier Cámara, der sich die Zuschauersympathie sichern kann. Interessant am Film ist vor allem die Entstehung der Geschichte. Das Drehbuch beruht nämlich teilweise autobiografischen Tatsachen des Regisseurs Almodovar, der selbst eine katholische Jungenschule besuchte und dort mitbekam, wie einige Mitschüler von Geistlichen belästigt wurden. Dennoch soll der Film keine Abrechnung mit der katholischen Kirche darstellen, sondern die Behandlung eines oftmals totgeschwiegenen Themas. In Cannes erhielt „La Mala Educación“ bereits die ihm gebührende Aufmerksamkeit und eröffnete in diesem Jahr die dortigen Filmfestspiele. Auch für das deutsche Filmpublikum ist der Film uneingeschränkt empfehlenswert. „La Mala Educación“ hebt sich klar von der Unterhaltungsindustrie in Hollywood ab und stellt sich - ohne den moralischen Zeigefinger zu heben - mit Einfühlungsvermögen und Tiefgang dem komplexen Thema. Anspruchsvolles Kinovergnügen ist garantiert.

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