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    Amerikanisches Idyll
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Amerikanisches Idyll
    Von Thomas Vorwerk

    Der 1933 geborene US-Schriftsteller Philip Roth dürfte inzwischen fast am bekanntesten dafür sein, dass man Jahr um Jahr in Wettbüros und im Literaturbetrieb auf ihn als nächsten Nobelpreisträger in seiner Kategorie setzt – bisher allerdings ohne Erfolg. Während der Autor weiterhin auf den Anruf aus Stockholm wartet, wurde er für sein bekanntestes späteres Werk „Amerikanisches Idyll“ von 1997 immerhin mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Nun hat sich der schottische Schauspieler Ewan McGregor („Trainspotting“, „Star Wars“ Episode 1-3) diesen Roman als Vorlage für sein gleichnamiges Regiedebüt ausgesucht und bringt den ungewöhnlichen Genre-Mix aus Agenten-Thriller und historischem Familiendrama trotz einiger unvermeidlicher Veränderungen und Vereinfachungen durchaus überzeugend auf die Leinwand.

    Der Jude Seymour Levov (Ewan McGregor), der wegen seiner robusten Statur und blonden Haarpracht der „Schwede“ genannt wird, war schon als Schüler der Stolz seiner Highschool. Nach dem Zweiten Weltkrieg heiratet er die aus reichem Haus stammende unangepasste Christin und „Miss New Jersey“ Dawn Dwyer (Jennifer Connelly). Aus der Ehe geht die gemeinsame Tochter Meredith, kurz „Merry“ genannt (erst Ocean James, dann Hannah Nordberg) hervor, das Mädchen stottert und rebelliert schon früh gegen ihre Vorzeige-Wohlstandseltern und die Pferdezucht ihrer Mutter. In den politisch turbulenten 1960ern gerät Merry (nun: Dakota Fanning) an radikale Anarchisten in New York, nach einem Bombenanschlag auf das Postamt in ihrem Heimatort Old Rimrock gilt sie als Hauptverdächtige und taucht unter…

    Ganz wie Robert Benton in „Der menschliche Makel“ übernimmt auch Ewan McGregor einen von Philip Roths literarischen Kunstgriffen und erzählt (beziehungsweise rekonstruiert) die Geschichte aus der Sicht des „berühmten Autors“ Nathan Zuckerman (David Straithairn). Dieses Alter ego des Romanschriftstellers trifft in „Amerikanisches Idyll“ bei einem Highschool-Jahrgangstreffen auf Jerry (Rupert Evans), den jüngeren Bruder von „Swede“, und erfährt so vom späteren Schicksal des Jungen, der mittlerweile als „Kennedy seiner Zeit“ gehandelt wird. Das ist die Rahmenhandlung für eine recht ausufernde Geschichte, die Ewan McGregor und sein Drehbuchautor John Romano („Der Mandant“) geschickt kondensieren und dabei sowohl die frühen Kapitel vor der Haupthandlung als auch historische Archivaufnahmen organisch integrieren.

    Schon früh im Film erfährt das Publikum, dass sich das Leben der Familie Levov anders entwickelt hat als erwartet. Dadurch wird nicht nur das „Idyll“ des Titels unter Ironieverdacht gestellt, sondern auch die Neugier darauf geweckt, wie genau aus einem liebenswerten stotternden Mädchen eine Unheilsbringerin werden kann. Merry ist jedenfalls ein seltsam unpassender Name, denn fröhlich wirkt sie nur selten. Und ihre spätere Rebellion wird sogar in der Familiengeschichte der vorhergehenden Generation verankert: Wenn der junge Seymour seine Braut, eine „Schickse“ (also Nichtjüdin), dem gestrengen Vater vorstellt, diese unerschrocken konsequent ihre Ansichten darlegt und auf eine Religionsfreiheit möglicher Nachfahren pocht, spürt man in diesem vielleicht glücklichsten Moment des Films den Stolz des Verlobten, aber auch das Konfliktpotenzial der Situation.  

    Nach dem symbolisch etwas überfrachteten Bombenanschlag folgt eine ungewöhnliche Wendung (es sei nur verraten, dass sie an Michelangelo Antonionis Klassiker „Die mit der Liebe spielen“ erinnert), von da an steht die fast detektivische Suche des Vaters Seymour nach der Tochter im Mittelpunkt. „Amerikanisches Idyll“ gleicht nun einem Agententhriller mit seinen nächtlichen Treffen und der Gefahr, „enttarnt“ zu werden. Wenn Seymour als Firmenchef, der vorrangig Schwarze beschäftigt, in die Bürgerrechtsunruhen der 60er gerät und wenn man sieht, wie rigoros die Regierung gegen Störenfriede vorgeht, dann ist das auch aus heutiger Sicht noch von politischer Brisanz. Doch McGregor schürt keine Polemik, sondern lässt ganz gegensätzliche Anschauungen und Meinungen nachvollziehbar werden.

    Nicht nur die zeithistorische Einbettung ist den Filmemachern überzeugend gelungen. Auch der Bruch zwischen idealisierten Glücksmomenten (des männlichen Protagonisten) und den nachfolgenden psychologischen Problemen (an allen Fronten) ist gut getroffen, wozu die einfühlsamen Schauspieler gehörig beitragen. Der Film profitiert zudem unheimlich davon, dass sich die Geschichte trotz aller Sprünge und Lücken behutsam und langsam entwickeln darf. Einzig die Zeichnung einiger Frauenfiguren leidet unter Unklarheiten und Auslassungen, insbesondere Dawns späteres Schicksal wird doch sehr stark an den Rand gedrängt. Mit Ausnahme dieser deutlichen Schwäche ist Ewan McGregors ambitionierter Regieerstling eine weitgehend runde Sache, bis hin zu der dezidiert filmischen letzten Szene, in der es ihm gelingt, die narrative Kluft zwischen der Rahmenhandlung und der Familiengeschichte elegant zu überbrücken.

    Fazit: Der Blick auf die politisch turbulenten 1960er Jahre der US-Geschichte wirkt aus heutiger Sicht topaktuell: Vorurteile, Verschwörungen, Terrorakte und eine rigoros durchgreifende Regierung bilden im kraftvollen Regiedebüt von Schauspielstar Ewan McGregor den Hintergrund für ein anrührendes Familienschicksal.

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