Mein Konto
    Gabrielle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Gabrielle
    Von Martin Thoma

    Patrice Chéreau, der schon 1994 für „Die Bartholomäusnacht“ in Cannes ausgezeichnet wurde, hat mit seinen letzten beiden Regiearbeiten „Son Frère“ und „Intimacy“ bei der Berlinale Silberne und Goldene Bären abgeräumt, sich aber keineswegs nur Freunde gemacht. Letzteres sicher nicht nur wegen des gegen „Intimacy“ erhobenen Pornografievorwurfs, sondern auch deshalb, weil seine Filme über intime Beziehungen von Menschen - schlicht ausgedrückt - dahin gehen, wo es wehtut. Das will sich nicht jeder Zuschauer zumuten. Wer von seinem Beziehungsdrama, das vergangenes Jahr auf den Filmfestspielen in Venedig lief (und zur Abwechslung mal keinen Preis gewann), den Kitsch erwartet, den man von 90 Prozent der Filme mit einem ähnlich klangvollen Titel wie „Gabrielle - Liebe meines Lebens“ getrost erwarten darf, könnte gar nicht weiter daneben liegen.

    Jean Hervey (Pascal Greggory) hält sich für einen erfolgreichen, hoch angesehenen Mann, ist stolz auf das Erreichte und besonders darauf, eine überaus vorzeigbare Frau zu haben: Gabrielle (Isabelle Huppert). Eines Tages kommt er zurück in sein großbürgerliches Zuhause, und sie ist weg. Es ist das allerletzte, mit dem er jemals gerechnet hätte. Einen kurzen Abschiedsbrief, der besagt, dass sie zu einem Liebhaber gezogen sei, hat sie ihm geschrieben, mehr nicht. Jean hat keine Zeit, sich von dem Schock zu erholen: Schon am Abend des selben Tages ist sie zurück; sie gibt keine Erklärung, und sie bittet ihn nicht um Verzeihung. Am liebsten würde Jean ja einfach so weitermachen, als sei nichts geschehen, aber das kann er nicht mehr. Jean und Gabrielle beginnen sich über ihre Ehe - formulieren wir es vorsichtig - zu unterhalten, und sie schonen einander dabei nicht. Wirklich nicht.

    Regisseur Chéreau hat sich diesmal die Erzählung „Die Rückkehr“ des klassischen englischsprachigen Autors Joseph Conrad vorgenommen. Das Drehbuch hat er wie auch schon bei „Intimacy“ und „Son Frère“ zusammen mit Anne-Louise Trividic geschrieben. Conrad, dessen bekanntester Roman „Herz der Finsternis“ sein dürfte (an den sich Coppolas Apocalypse Now anlehnt und der sogar in King Kong zitiert wird), schrieb zur Zeit der Jahrhundertwende zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert. „Die Rückkehr“ spielt im Paris des Jahres 1912. Der Film konzentriert sich ganz auf seine beiden Hauptfiguren. Das nach Gabrielles Rückkehr zwischen den Ehepartnern entbrennende mentale und emotionale Duell ist ein Kammerspiel und ist doch keins. Der Begriff Kammer führt hier ohnehin in die Irre. Gabrielle und Jean leben eher in einem kleinen Chateau. Chéreau misst dieses beängstigende Gebäude als Metapher für das Gebäude ihres Lebens mit der Kamera aus. Er lässt sie lange Fahrten um die allwöchentlich stattfindenden Gesellschaften machen, auf denen sich das perfekte und kultivierte Ehepaar seinen Bekannten präsentiert, die ebenfalls die Fassaden ihrer angesehenen Existenzen vor sich her tragen. Er lässt Dienstmädchen in dem Moment auftauchen, wenn einer der beiden einen Raum betritt, auf einen Wink hinter einer Tür verschwinden, auf einen Ruf sofort hinter einer anderen Tür erscheinen. Er zeigt Jean in den Schatten zwischen seiner privaten Skulpturensammlung, als deren krönenden Abschluss er seine Frau Gabrielle begriffen hatte.

    Chéreau spart auch zur Beschreibung von Jeans Innenleben nicht an auffälligen filmischen Stilisierungen, lässt einen Ohrring Gabrielles überlaut klimpern, wohl um anzudeuten, dass Jean sie für sein teuerstes Schmuckstück hält, wechselt zwischen Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen, arbeitet mit Voice Over ausgeklügeltem Sounddesign und eingeblendeten Sätzen. Das ist die eine Seite. Trotz dieser filmischen Extravaganzen steckt der Film so voller langer komplexer Dialoge und Monologe in einer literarisch geformten Sprache, dass man die Bilder hin und wieder als störenden Ballast empfindet und sich die Frage stellt, ob das in dieser Weise als Hörspiel nicht besser funktioniert hätte. Stellenweise wurden einfach zuviel Text und zuviel Bild übereinander aufgetragen, sodass sich die Wirkung am Ende aufhebt.

    Die Wirkung der Hauptdarsteller allerdings verpufft keineswegs. Huppert ist erwartungsgemäß sehr gut – man hat sie in nicht ganz unähnlichen Rollen schon öfter gesehen. Pascal Greggory ist besser. Der Zuschauer weiß bis zum Schluss nicht, ob er Jean verabscheuen oder doch mögen sollte. Es ist eine herausragende Leistung Greggorys (an der natürlich auch Regie und Drehbuch nicht ganz unbeteiligt sind), einer Figur, die leicht zur bloßen Karikatur hätte geraten können, so viel packende widersprüchliche Emotionalität zu verleihen, ohne sie dabei zu modern anzulegen.

    „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mich lieben, wäre ich nie zurückgekommen“, erklärt Gabrielle ihrem Ehemann – selbstverständlich siezen sich die Ehepartner – und später, dass sie lange gebraucht habe, ihm zu verzeihen, dass sie ihn nicht liebe. Es ist nicht einfach mit der Liebe, die hier Vereinbarung, Fassade, Ideologie und zu einem Teil wohl doch auch echte Zuneigung ist. Und Chéreau macht es sich und dem Publikum nicht einfacher, als es ist. Der Betrachter würde sich ja gern mit Gabrielle und ihrem Emanzipationsversuch identifizieren, aber ihre Figur ist viel zu widersprüchlich, zu hart und in ihrem Handeln nicht konsequent genug, als dass das möglich wäre. Was Jean angeht, ist man sich bis zum Schluss nicht einmal sicher, ob das, was er nun doch meint, als wahre Liebe zu seiner Frau erkannt zu haben, nicht doch nur ein Ausbruch von Wahnsinn ist, nachdem ihm klar wurde, dass ihm die Liebe seines Lebens nicht gehört.

    „Gabrielle“ ist großes Schauspielerkino, das eine kleine, aber schwierige Erzählung von Joseph Conrad in all ihrer Komplexität umsetzt. Dennoch funktioniert, der Film nur bedingt. Es fehlt, abgesehen von den schauspielerischen Leistungen, etwas spezifisch Filmisches; die doch eher überraschungsarme Erzählung Conrads gewinnt durch das andere Medium zu wenig. Anstatt auf die stärkere Unmittelbarkeit der bewegten Bilder zu setzen, scheint Chéreau zu häufig bestimmte literarische Mittel nachempfinden zu wollen, die im Kino keine so große Wirkung erzielen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top