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    Ich und Du und Alle, die wir kennen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Ich und Du und Alle, die wir kennen
    Von Christoph Petersen

    Hätten Robert Altman und Paul Thomas Anderson gewusst, welchen Stein sie mit ihren Meisterwerken Short Cuts und Magnolia ins Rollen bringen, hätten sie vielleicht noch ´ne Nacht drüber geschlafen. Der große Erfolg beider Filme hat dazu geführt, dass der Episodenfilm zu einem absoluten „In“-Genre geworden ist. Leider haben die meisten Regisseure, die diese Art des Filmemachens heute noch für sich entdecken, keine großen Visionen mehr, wie Altman und Anderson sie kongenial umgesetzt haben. Vielmehr fallen ihnen keine Geschichten mehr ein, die einen kompletten Film tragen können. Stattdessen verwursteln sie nur noch kleinere Einfälle zu einem mehr oder weniger stimmigen Ganzen. Miranda Julys „Ich und Du und Alle, die wir kennen“ ist ein Vertreter dieses Genres, bei dem einfach gar nichts zusammenpasst.

    Wie bei fast allen Episodenfilmen neueren Datums treten auch bei „Ich und Du...“ die Geschichten hinter den Figuren zurück. Er handelt von scheinbar grundverschiedenen Menschen, die auf unterschiedlichste Weise miteinander verbunden sind, aber das Selbe Problem teilen: Sie sind unfähig auf direktem Wege mit anderen über persönliche Gefühle wie Angst oder Liebe zu kommunizieren. Da gibt es zum Beispiel Richard Swersey (John Hawkes), frisch geschiedener Schuhverkäufer und Vater zweier Teenager-Kinder, der sich in die impulsive Künstlerin Christine Jesperson (Regisseurin Miranda July selbst) verliebt. Aus Angst vor einer weiteren Enttäuschung kann er mit ihr nicht über seine wahren Gefühle sprechen. Gemeinsam erschaffen sie sich eine Traumwelt, in der sie sich ihre Liebe ohne Furcht vor Zurückweisung gestehen können.

    Christine zu einem vorbeifahrenden Goldfisch, den sein Besitzer nach dem Tanken in einer Plastiktüte auf dem Dach seines Autos hat liegen lassen: „Ich kannte Dich nicht, aber ich möchte, dass Du weißt, dass Du geliebt wurdest. Ich liebe Dich!“ Leider sind alle Gefühle des Films ähnlich unglaubwürdig wie diese Liebeserklärung an einen Aquariumsbewohner. Die Dialoge kommen so unglaublich gekünstelt daher, dass selbst das sympathische Spiel der beiden Hauptdarsteller keine Identifikation zulässt. Julys Inspiration für den Film stammt aus einer starken Sehnsucht, die sie schon als Kind in sich trug – einer Sehnsucht nach Zukunft, nach jemandem, der sie finden würde. So stark diese Emotionen auch gewesen sein mögen, bei der Verarbeitung zu einem Drehbuch während eines Workshops des Sundance Film Festivals wurden sie scheinbar vollständig begraben. Jeder Teilnehmer hatte wohl hier eine Idee, da eine Idee und irgendwann war Julys Herzblut einem Haufen verquaster Gedanken gewichen. Geblieben sind unglaubwürdige, hochstilisierte Charaktere, die mehr Kunst als echte Menschen sind – aber auch Kunst lebt von Emotionen.

    „Ich kacke Dir in Dein Arschloch. Und dann kackst Du die gleiche Kacke wieder zurück in mein Arschloch. Und dieses hin und her machen wir so weiter – für immer!“ Diese Worte richtet der erst 6-jährige Ronnie (Brandon Ratcliff) in einem Erotik-Chat an eine unbekannte Frau. Ronnie steht als Kontrapunkt den sprachlosen Erwachsenen gegenüber. Ihm hat noch keiner gesagt, dass Sex schmutzig und Liebe schmerzhaft ist, er kann sich noch ohne Angst über alles äußern. Der romantische Blick, den July hiermit auf die unbedarfte Kindheit richtet, ist zu verklärt, zu sehr aus der Perspektive eines Erwachsenen. Die Wahl der Szenen provoziert bestenfalls ein wenig, wirkt auf die Meisten aber gerade mal belustigend. Mit einfacheren Ideen hätte die Rolle des Ronnie die Aussage des Films, dass Sprachlosigkeit eine Folge des erwachsen Werdens - der Sozialisation - ist, gut unterstreichen können. July setzt aber auf das Spektakuläre und scheitert damit.

    In anderen Episoden tendiert der Film sogar in Richtung der provokanten Satiren eines Todd Solondz („Welcome To The Dollhouse“, „Happiness“, „Storytelling“, Palindrome). Die Teenager Heather (Natasha Slayton) und Rebecca (Najarra Townsend) haben so große Angst bei ihrem ersten Mal zu versagen, dass sie es auf keinen Fall mit jemandem erleben möchten, den sie mögen. Stattdessen suchen sie sich lieber einen Pädophilen, der jeden Tag Zettel in sein Fenster hängt, auf denen er in obszönen Worten beschreibt, was er mit den beiden alles anstellen will. Als er eines der Mädchen auffordert, ihm einen zu blasen, ist die andere beleidigt. So beschließen sie, ihre Fähigkeiten am Nachbarsjungen Peter (Miles Thompson) zu testen und ihm die Qual der Wahl zu überlassen. Ob Solondzs Gesellschaftskritik immer punktgenau ihr Ziel erreicht, ist stark umstritten, aber zumindest wird deutlich, was er mit seinen Filmen bezwecken will. „Ich und Du…“ stellt diese Szenen hingegen einfach unmotiviert in den Raum und weiß scheinbar selber nicht, wo es hingehen soll. Erschwerend hinzukommt, dass sich einige der offengelassenen Konflikte noch in den letzten Sekunden Hollywood-like in Wohlgefallen auflösen - das mag kurz einen süßen Nachgeschmack hinterlassen, der Film stößt dadurch aber nur umso bitterer auf.

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