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    World Trade Center
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    World Trade Center
    Von Carsten Baumgardt

    Der Tag, der die zivilisierte Welt nachhaltig und in aller Radikalität veränderte, der 11. September 2001, bewegt nach fünf Jahren ehrfürchtiger Schockstarre nun auch die Filmschaffenden der ersten Liga. Nach einigen faktenorientierten TV-Dokus und dem erschütternden wie brillanten Augenzeugenbericht „9/11“ (2002) der Franzosen Gédéon und Jules Naudet ging der Engländer Paul Greengrass in seinem meisterhaften Doku-Drama Flug 93 (2006) behutsam in die Vollen. Nüchtern bis ins Mark ließ er sein Publikum am Ende dennoch mit zugeschnürten Kehlen und den Tränen nahe im Kinosaal zurück. Über Sinn und Unsinn seines Nacherzählungsansatzes kann sicherlich diskutiert werden, aber als Film hat „Flug 93“ emotional phantastisch funktioniert. Doch das war nur die Vorhut im Stile einer Indie-Produktion, Regie-Wüterich Oliver Stone, einer der streitbarsten Filmemacher der 80er und 90er Jahre, legt jetzt nach. Für das 63 Millionen Dollar teure 9/11-Drama „World Trade Center“ wählt der dreifache Oscar-Preisträger einen völlig anderen Blickwinkel. Stone inszeniert ein ungewöhnlich stilles Heldenstück in der Optik eines Big-Budget-Mainstream-Reißers, „A story of courage and survival”, wie er selbst sagt. Obwohl diese Sichtweise für amerikanische Augen relevant ist, kann „World Trade Center“ den Zuschauer nicht emotional bewegen, wie dies Greengrass mit „Flug 93“ tat.

    New York am 11. September 2001: Die oberen Etagen des World Trade Centers in Lower Manhattan stehen in Flammen. Gerüchten zufolge soll dort ein Flugzeug eingeschlagen sein. Sergeant John McLoughlin (Nicolas Cage) vom Port Authority Police Department wird mit seiner Truppe in den ersten Turm des Hochhauses beordert, um die Lage zu sondieren. Der vierfache Familienvater mit 21 Dienstjahren auf dem Buckel ist Spezialist für Terroreinsätze, zeichnete sich bei den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 1993 bereits aus. Seine Männer vertrauen ihm blind. Vor Ort herrscht das Chaos. Der Sergeant soll auf der U-Bahn-Ebene die Evakuierung des Gebäudes organisieren. Eine gewaltige Druckwelle rüttelt die Männer auf und verunsichert sie. Irgendetwas ist passiert. Was, weiß niemand so recht zu deuten. Eine weitere Explosion? Bevor die Cops richtig in Aktion treten können, kollabiert plötzlich das Gebäude, die Polizisten werden verschüttet. Nur McLoughlin und sein junger Kollege Will Jimeno (Michael Pena) überleben schwer verletzt und unter Tonnen von Stahl, Glas und Beton von der Außenwelt abgeschnitten. Sie sind beide bewegungsunfähig begraben und dem Tode nahe. Die beiden Cops versuchen sich gegenseitig aufzurichten, um zu überleben...

    Oliver Stone (JFK, Wall Street, The Doors, Platoon, Natural Born Killers), einer der politischsten Filmemacher überhaupt, wagt sich an das sensible Thema 9/11. Das ist auf dem Papier keine Überraschung, packte der New Yorker schon immer die heißen Eisen an. Doch Stone ist nicht mehr das, was er einmal war. Sein letzter (mittlerer) Hit An jedem verdammten Sonntag (1999) liegt lange zurück, seinen Status als dominierender Filmemacher hat er längst verloren – allerspätestens nach seinem künstlerischen wie kommerziellen Desaster Alexander. Dieser Flop führte bei dem üblichen Pragmatismus der Hollywood-Erbsenzähler und Gewinnmaximierer dazu, dass Stone für „World Trade Center“ „nur“ 63 Millionen Dollar Budget bewilligt bekam. Aber halb so wild, mehr Geld war für seinen gewählten Umsetzungsansatz auch nicht nötig. Als angenehmer Nebeneffekt ist der kommerzielle Druck auf diesem Projekt nicht derart groß, wie bei „Alexander“.

    Während Greengrass in seinem „Flug 93“ die Perspektive der Insassen die United-Flugs 93 nur als Aufhänger nahm, um die Terroranschläge von einer übergeordneten Instanz aus zu beleuchten, wählt Stone den direkten persönlichen, intimen Weg. Die Masse der Personen in „Flug 93“ ist beinahe gesichtslos, „World Trade Center“ ist fast ausnahmslos aus den Augen von John McLoughlin und Will Jimeno erzählt – die wahre Geschichte der beiden Männer selbstverständlich. Das führt dazu, dass der Zuschauer auf der Leinwand nur am Rande und aus zweiter Hand über Fernsehbilder eine Außenansicht über den Stand der Dinge geliefert bekommt. Die Einschläge der Flugzeuge sind im Film auch nur indirekt zu sehen, so dass Stone nicht in Verruf kommt, hier Katastrophentourismus zu inszenieren. Damit verschafft sich der Regisseur Luft und ist nach der atmosphärisch sehr stimmigen Exposition auf dem besten Weg, einen beeindruckenden Film zu kreieren. Doch leider greift danach Stones allgemeines Ziel, eine Heldengeschichte fernab von Politik zu installieren. „I never saw ‚World Trade Center’ as a political film, but as an intensely human story. Although my politics and John and Will’s may be different, it didn’t matter, we all got along. I can make a movie about them und their experiences because they went through something that I can understand. Politics does not enter into it – it’s about courage and survival.”

    Da fragt sich der Fan sicher, warum es denn eines Oliver Stone bedurfte, um „World Trade Center“ zu stemmen – nach einem fremden Drehbuch von Andrea Berloff, die zuvor nur den Kurzfilm „Domestic“ geschrieben hatte. Eine Antwort darauf fällt schwer. „World Trade Center“ ist definitiv kein typischer Oliver-Stone-Film. Von dem Regie-Berserker vergangener Tage, der wild-wüste Verschwörungstheorien auffährt, Amerika-kritische Filme dreht oder einfach nur provoziert, ist weit und breit nichts zu sehen. Dass dies dem Thema nicht angemessen ist, weiß Stone natürlich, also versucht er, über die intime Schilderung der Einzelschicksale seine Zuschauer in den Bann zu ziehen. Aber genau hier stottert der Drama-Motor von „World Trade Center“. Nach der Einführung liegen McLoughlin und Jimeno begraben in den Trümmern und stehen im Fokus der Handlung – nur aufgelockert durch die Einbindung der Familien, in deren Zentrum Maria Bello (The Cooler, Das geheime Fenster) als McLoughlins Ehefrau Donna und Maggie Gyllenhaal (Secretary, Mona Lisa Lächeln) als Jimenos hochschwangere Frau Allison stehen. Durch sie wird der Kontakt nach außen hergestellt. Doch als Trümmerkammerspiel lahmt der Part zwischen Nicolas Cage (Das Vermächtnis der Tempelritter, Leaving Las Vegas) und Michael Pena (Million Dollar Baby, L.A. Crash) mit zunehmender Dauer. Trotz der großen nachvollziehbaren Not dringen die Charaktere nicht so recht durch zum Publikum, was „World Trade Center“ eine Menge an Fahrt und Elan nimmt.

    Gegen Ende, als die Rettungsaktion auf Hochtouren läuft, bessert sich dieser Umstand etwas, und die Dramatik verschärft sich wieder, doch Stone handelt sich mit einer speziellen Figur, zumindest für die Europäer, ein weiteres Problem ein. Wenn die Geschichte nicht auf Tatsachen beruhen würde, wäre Drehbuchautorin Andrea Berloff als Klischeezeichnerin erster Garde verspottet worden. Doch diese treibende Kraft der Rettung, dieser ehemalige Marine Staff Sergeant Dave Karnes (Michael Shannon, Bad Boys II) aus Connecticut, hat tatsächlich existiert. Der tief religiöse Mann war auf einer Mission. Als er von den Anschlägen hörte, zog er sich seine alte Marine-Uniform an, ließ sich beim Friseur die Haarpracht akkurat auf Kampfmodus schneiden, bahnte sich den Weg durch die Sperren der Nationalgarde und suchte in den Trümmern nach Überlebenden. Er ist der wahre Held von „World Trade Center“, so befremdlich dies auch für europäische Geschmäcker sein mag. Nach 9/11 kehrte er zu den Marines zurück und leistete zwei Jahre lang Dienst im Irak. Und dass ein Radikallinker wie Oliver Stone einen strammen, gottesfürchtigen Rechtsauleger der US-Elitekampftruppe derart zackig aufbietet, ist schon mehr als eine Randnotiz. Obwohl Stone die Figur des Dave Karnes spürbar fremd bleibt und er sie eher pflichtschuldig bringt, verbündet er sich quasi mit dem US-System, es greift ein Phänomen, das schon bei den Terrorattacken selbst gegriffen hat: Amerika steht zusammen, egal, welcher Hautfarbe oder politischen Gesinnung die Menschen sind, das macht selbst vor einem Oliver Stone nicht halt. Die Kehrseite der Medaille: Stone büßt viel seiner unglaublichen Energie und Kraft ein, spielt bei dem uramerikanischen Spiel, eine bittere Niederlage wie einen glorreichen Sieg aussehen zu lassen bieder mit.

    „World Trade Center“ ist gewiss kein schlechter Film, aber in letzter Konsequenz zu handzahm, besonders mit Blick auf Stones Vita. Gebeutelt durch ausbleibende Erfolge traute er sich nicht mehr viel zu und liefert ein vor allem für die USA legitimes, aber auf Dauer zu spezielles Drama ab. 2.749 Menschen starben in den Trümmern, nur 20 kamen lebend heraus. Die monströse Dimension an Tragik und Zerstörung wird durch die Fokussierung auf Einzelschicksale nicht ausreichend erfasst. Größe zeigt das Werk nur zu Beginn, als die bedrohliche Stimmung auf die Zuschauerreihen übergreift und die Angst und Verunsicherung der hartgesottenen Cops spürbar ist. In der Folge findet der Regisseur den Schlüssel, ein breites Publikum für die Geschichte dieser tapferen Männer zu interessieren, nicht. Handwerklich lässt sich ein Perfektionist wie Stone natürlich nichts zu Schulden kommen. „World Trade Center“ protzt mit technisch perfektem Minimalismus. Das Wenige, was an Zerstörung, Zerfall und Chaos zu sehen ist, macht einen sehr guten Eindruck. Die hohen Erwartungen hat Stone nicht erfüllt, abgrundtief enttäuscht aber auch nicht. Für einen Durchschnittsregisseur wäre das sicher kein Grund zur Besorgnis, aber bei einem Mann mit den Fähigkeiten eines Oliver Stone überwiegt halt dennoch die verpasste Chance, wieder einmal etwas Großes zu schaffen.

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