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    FILMSTARTS-Interview mit Meisterregisseur Werner Herzog über seinen neuen Film „Königin der Wüste“

    Zum Start des Abenteuer-Epos „Königin der Wüste“ sprachen wir mit Kultregisseur Werner Herzog über seinen Film, neue Projekte, seine Einsichten in die Filmwelt und den Ruf Hollywoods.

    Regisseur Werner Herzog („Fitzcarraldo“, „Aguirre, der Zorn Gottes“) widmet sich mit seinem Abenteuer-Drama „Königin der Wüste“ dem Lebenswerk der britischen Archäologin, Historikerin, Schriftstellerin, Alpinistin, politischen Beraterin und Spionin Gertrude Bell, die bei der Neuordnung des Nahen Ostens in den 1920er Jahren eine entscheidende Rolle spielte. Neben Superstar Nicole Kidman („Moulin Rouge“) in der Hauptrolle komplettieren James Franco („Spring Breakers“), Damian Lewis („Homeland“) und Robert Pattinson („Twilight“) das hervorragende Ensemble. Herzog schafft mit „Königin der Wüste“ ein verspielt-eigenwilliges Historien-Drama mit einer beeindruckenden Protagonistin und herausragenden epischen Bildern (-- > zur FILMSTARTS-Kritik)

    FILMSTARTS: Gertrude Bell war eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit - ungewöhnlich emanzipiert, selbstbewusst und mutig. Hat Ihnen das imponiert?

    Werner Herzog: Ich glaube, das imponiert jedem. Aber es ist schön, dass wir eine wirkliche Entdeckung mit ihr machen. Wir kennen aus dieser Zeit und Umgebung eigentlich nur Lawrence von Arabien. Der ist natürlich auch deshalb so bekannt, weil er immer seinen Hofberichterstatter und Biografen dabei hatte. Da war Gertrude Bell sehr viel diskreter.

    FILMSTARTS: Mit Gertrude Bell und T.E. Lawrence gibt es durchaus Anknüpfungspunkte zu „Lawrence von Arabien“, aber abgesehen von den epischen Wüstenbildern unterscheiden sich die beiden Filme dann doch gewaltig…

    Prokino

    Werner Herzog: Mein Film ist natürlich viel besser. „Lawrence von Arabien“ ist heute nicht mehr anschaubar. Die Schauspieler sind nach heutigen Standards grauenerregend schlecht und die Geschichte ist viel zu lang. Man muss diese Vergleiche mit dem nötigen Humor nehmen.

    FILMSTARTS: Gertrude Bell ist die erste weibliche zentrale Figur in einem Ihrer Spielfilme. Ist das nur Zufall oder fällt es Ihnen leichter, über Männer zu schreiben?

    Werner Herzog: Ach, ich weiß gar nicht, wie das zustande kam. Aber eine schöne Entdeckung bei „Königin der Wüste“ ist die Tatsache, dass ich mit einem weiblichen Darsteller – in diesem Fall Nicole Kidman – genauso gut und intensiv umgehen kann wie mit Männern. Bei mir sind die Schauspieler immer at their best, wie man im Englischen sagt. Klaus Kinski, Nicolas Cage, die waren immer am besten bei mir. Ich glaube auch, Nicole Kidman war vorher noch nie so gut.

    FILMSTARTS: Wie sind Sie auf Nicole Kidman gekommen und wie haben Sie sie mit James Franco zusammengebracht?

    Prokino

    Werner Herzog: Es ist ja nicht nur James Franco, da gibt es ja auch noch Damian Lewis und Robert Pattinson. Da ist ein Ensemble von Weltstars, die eine Chemie zwischen einander haben müssen, bei der die Funken überspringen. Nicole Kidman war von vornerein immer meine Wunschbesetzung. Nur war das damals, als das Drehbuch fertig war, leider ausgeschlossen, weil sie für zwei Spielfilme hintereinander unter Vertrag stand. Dadurch kam Naomi Watts ins Spiel, die eine Zeit angekündigt war. Die hat nur immer um Aufschub gebeten wegen ihrer Kinder und der Familie. Ich konnte das aber nicht immer endlos auf die lange Bank schieben – und in dem Moment war plötzlich Nicole Kidman wieder frei. Das ging dann schnell und relativ leicht.

    FILMSTARTS: Und wie sieht es mit Jude Law aus, der zunächst gemeinsam mit Naomi Watts spielen sollte?

    Werner Herzog: Richtig, ja. Da hätte er wahrscheinlich besser hingepasst. Aber auch der war dann anderweitig unter Vertrag. Das sind Verschiebungen im Filmgeschäft, die sich einfach ergeben. Manchmal ergibt es sich dann so, wie man es sich von Anfang an erträumt hatte.

    Prokino

    FILMSTARTS: Nehmen Sie das mit Humor?

    Werner Herzog: Nein, das hat nichts mit Humor zu tun. James Franco hat sich schon vor zehn Jahren bei mir gemeldet und gesagt: „Ich will unbedingt mal etwas mit dir machen.“ Nun sagte ich ihm: „Jetzt ist die Chance da. Hier passt du wunderbar hinein.“ Damit war er an Bord. Die Stars wollen alle mit mir arbeiten.

    FILMSTARTS: Stellt der Dreh in der Wüste für Sie immer noch eine besondere Herausforderung dar, vor der Sie Respekt haben? Oder gehört das einfach dazu?

    Werner Herzog: Die Herausforderung selbst ist unerheblich. Es zählt nur, was auf der Leinwand zu sehen ist. Physisch war das natürlich nicht einfach. Wir haben mitten in einem Sandsturm gedreht. Es hat Tage gedauert, bis wir uns technisch davon wieder erholt haben. Wir mussten Zooms und Optik auseinandernehmen und von mehlfeinem Staub reinigen. Aber die wirkliche Herausforderung bei dem Film war, einen großen epischen Spielfilm mit vier Weltstars zu drehen – das Ganze kann eigentlich niemand mit einem Budget unter 50 Millionen Dollar machen. Wir hatten aber nur einen Bruchteil davon. Und dieses Kunststück, einen so großen Film für so wenig Geld zu machen, die großen Stars auf die Leinwand zu bringen, war die größte Herausforderung.

    FILMSTARTS: Können Sie mir das Budget nennen oder kann ich Ihnen sagen, was ich gelesen haben…

    Werner Herzog: Sagen Sie mir, was Sie gelesen haben…

    FILMSTARTS: 36 Millionen Dollar…

    Prokino

    Werner Herzog: …wenn Sie mal auf die Hälfte gehen, sind Sie näher dran.

    FILMSTARTS: Sie haben auch früher immer mit viel Risiko gedreht. Reizt Sie das eigentlich, dass es auch mal schiefgehen könnte, oder glauben Sie immer, alles kontrollieren zu können?

    Werner Herzog: Risiko an sich ist eher kontraproduktiv. Das hat mich nie gereizt. Wenn sich aber Risiken plötzlich in den Weg stellen und Bestandteil eines Projekt in einer Story sind, dann bin ich der Letzte, der davor Angst hätte. Ich bin durch meine lange Erfahrung sehr professionell im Umgang mit Risiken. Ich hatte in ungefähr 70 Filmen noch nie einen verletzten Schauspieler.

    FILMSTARTS: Seit Mitte der 60er Jahre haben Sie unermüdlich auf allen Kontinenten unter schwierigsten Bedingungen gedreht. Woher nehmen Sie immer noch Ihren Enthusiasmus für die Projekte?

    Prokino

    Werner Herzog: Schwer zu sagen, das ist halt das, was ich mache. Ich arbeite schließlich auch ohne richtige Pausen zwischen den Filmen. Ich habe bereits einen neuen Spielfilm fertig, „Salt And Fire“. Ich fange jetzt mit einem neuen Film an und seit Ende August läuft das nächste Projekt, „Into The Inferno“.

    FILMSTARTS: „Salt And Fire“ mit Michael Shannon und Veronica Ferres ist also abgedreht…

    Werner Herzog:…und auch schon geschnitten.

    FILMSTARTS: Können Sie uns etwas mehr über den Film erzählen?

    Werner Herzog: Gael Garcia Bernal, ein wunderbarer mexikanischer Schauspieler, ist auch dabei. Warten wir mal ab, bis er ganz fertig ist. Mir fehlen noch Musik, Ton und Nachbearbeitung. Das zieht sich noch etliche Monate hin, bis ich mischen kann. Das ist ein Film, den ich in Bolivien gedreht habe.

    FILMSTARTS: Das „Into The Inferno“-Projekt klingt auch sehr interessant. Haben Sie dazu schon etwas preiszugeben? Gibt es eine Verbindung zu „La Soufriere“, der Vulkan-Doku, die Sie 1976 gemacht haben?

    Prokino

    Werner Herzog: Ja, meine Faszination für Vulkane lässt sich ja schon an „La Soufriere“ erkennen. Aber konkreter wurde das erst in der Antarktis, da war ich auf einem sehr hohen aktiven Vulkan und habe dort gefilmt. Seitdem bin ich mit einem Vulkanologen von der University of Cambridge, Clive Oppenheimer, befreundet. Mit ihm zusammen will ich diesen Film über Vulkane machen. Das sind ganz unterschiedliche Landschaften und vulkanische Ereignisse, die teils weit in der Vergangenheit zurückliegen, wo die menschliche Rasse fast ausgelöscht wurde – der sogenannte Flaschenhals, wo nur noch 600 Menschen auf diesem Planeten überlebt hatten.

    FILMSTARTS: Sie berichten über mehrere Vulkane, aber es ist ein Film?

    Werner Herzog: Es wird ein Film, ja. Sie können nicht einen Film über einen einzigen Vulkan machen. Es geht um einen Vulkan auf Island, einen in Indonesien und andere Gebiete, wo sehr starke vulkanische Aktivität zu beobachten ist. Wir müssen auch bereit sein – wenn irgendwo etwas passiert, sitzen wir am nächsten Tag im Flugzeug.

    FILMSTARTS: In den USA und vielen anderen Länder auch werden Sie geradezu kultisch verehrt. Fühlen Sie sich in Deutschland immer noch ein bisschen missverstanden?

    Prokino

    Werner Herzog: Ach, missverstanden, das würde ich nie so sehen. Es war halt über eine Zeit lang relativ wenig Aufmerksamkeit für meine Filme, obwohl ich ununterbrochen gearbeitet habe. Von meinen letzten 25 Filmen sind gerade mal zwei oder so ins Kino gekommen. Aber darüber verbringe ich keine schlaflosen Nächte.

    FILMSTARTS: Wie sieht es mit ihrer Projektfinanzierung aus. Sie arbeiten meist mit kleinen Budgets. Ist es trotzdem ein Kampf, diese zu stemmen?

    Werner Herzog: Es ist immer ein Kampf und zwar für alle – inklusive der großen, erfolgreichen Hollywood-Produktionen. Aber ich bin der Letzte, der sich darüber beklagen würde. Ich gehöre nicht zur Kultur der Wehleidigkeit. Das Resultat ist, dass ich seit sehr langer Zeit Filme drehe. Ob die Budgets klein oder groß sind, ist völlig unerheblich. Wenn ich in der Lage bin, einen großen epischen Kinofilm auf die Leinwand zu bringen, ist das eine schöne Sache – unwichtig, ob der Film 14, 40 oder 140 Millionen Dollar gekostet hat.

    FILMSTARTS: Sind Sie einmal in die Versuchung gekommen, ein Hollywood-Angebot anzunehmen, um einen Film mit Mega-Budget zu drehen? Oder ist Ihnen das zu unübersichtlich?

    Werner Herzog: Nein, den Überblick habe ich noch nie verloren…

    FILMSTARTS: …aber vielleicht hätten Sie dann Kontrolle abgeben müssen…

    Werner Herzog:…das stimmt natürlich, aber das sind Industrieprodukte. Es wäre kein Problem, einen Hollywood-Film zu machen. Im Übrigen habe ich ja mit Hollywood immer wieder Kontakt, manchmal verleihen sie meine Filme, manchmal bin ich als Schauspieler tätig wie bei „Jack Reacher“ als Bösewicht. Hollywood schätzt mich wegen der Qualität des Geschichtenerzählens. Andere Leute sind natürlich aber viel besser mit Special Effects. Das machen sie sehr gut.

    FILMSTARTS: Aber da bleibt dann die Geschichte oft auf der Strecke…

    Prokino

    Werner Herzog: Das stimmt, das spürt auch das Publikum, dass das Geschichtenerzählen heute relativ vernachlässigt wird. Große Geschichten werden heutzutage stattdessen in Fernsehserien erzählt. Das, was früher „Krieg und Frieden“ war, kann man heute in einer Jahresstaffel im Fernsehen machen.

    FILMSTARTS: Würde Sie diese Aufgabe reizen, neues Fernsehen zu machen?

    Werner Herzog: Nicht unbedingt. Ich würde mich nicht in eine sechs Jahre dauernde Produktion hineinbegeben wollen. Ich mache lieber das, wo ich richtig gut bin.

    FILMSTARTS: Haben Sie sich im Verlauf der Dekaden wie das Filmemachen an sich auch verändert?

    Werner Herzog: Natürlich habe ich mich auch verändert, aber eine tiefere Vision, der ich folge, hat sich nie gewandelt. Und darauf gibt es eine Resonanz. Es könnte gar nicht besser sein. Ich habe ein Privileg, das fast niemand auf der Welt hat. Es beklagen sich alle großen Hollywood-Regisseure: „Wenn ich doch nur mal dies oder das machen könnte. Ich bin dem formellen Diktat von Hollywood unterlegen, Hollywood ist viel zu dumm, um große, wunderbare Filme zu finanzieren, die ich eigentlich machen möchte.“ Das höre ich von jedem – inklusive Francis Ford Coppola und anderen großen Namen. Die beklagen sich alle. Ich bin der einzige, der froh und stolz ist über das, was ich machen kann. Aber das hat viele lange Gefechte gebraucht.

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