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    Jack Reacher ohne Tom Cruise: So gut und brutal ist die neue Serie bei Amazon Prime Video
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Fan von Hochspannungskino, Thriller dabei lieber als Horror und eine besonders große Liebe für Klassiker von Hitchcock und das Kino der 70er & 80er - vor allem aus Europa.

    In zwei Kinofilmen spielte Tom Cruise den Romanhelden Jack Reacher. Nun kommt ein neues Abenteuer der Ein-Mann-Armee als Serie zu Amazon Prime Video – und „Reacher“ dürfte nicht nur die Buchfans begeistern...

    Amazon Prime Video

    Es ist eine kontroverse Debatte unter der großen Fangemeinde von Romanheld Jack Reacher: War Tom Cruise der richtige Darsteller für die Figur, welche in den Büchern von Lee Child schließlich als riesiger Hüne beschrieben wird? Am Ende machte Cruise einfach seine eigene Interpretation des für Gerechtigkeit einstehenden Einzelgängers – für den Autor dieser Zeilen, der jeden neuen Roman der Reihe direkt nach Erscheinen verschlingt, eine großartige Alternative.

    Doch viele Fans wünschten sich einen Reacher, der näher an der Vorlage ist. Den bekommen sie nun. Die neue, aus acht Episoden bestehende erste Staffel der Amazon-Prime-Video-Serie „Reacher“ ist ganz nah an dem 1997 erschienen Buch „Killing Floor“ alias „Größenwahn“. Und die Serie wird mit ihrer Geradlinigkeit und Vehemenz nicht nur viele Fans der Vorlage begeistern.

    » "Reacher" bei Amazon Prime Video*

    Das ist die Story der 1. Staffel "Reacher"

    Jack Reacher (Alan Ritchson) streift nach der Entlassung aus dem Militärdienst nur mit etwas Geld, den Klamotten am Körper und einer Zahnbürste in der Tasche durch die USA. In der Südstaaten-Kleinstadt Margrave macht er nur Halt, weil sein Bruder Joe ihm erzählt hat, dass hier der Blues-Musiker Blind Blake gestorben ist. Doch direkt nach seiner Ankunft wird Reacher verhaftet. Ein noch nicht identifizierter Mann wurde brutal ermordet und der mysteriöse, riesengroße Fremde ist als einziger weiterer Außenseiter in dem sonst scheinbar so beschaulichen Ort verdächtig...

    Doch die Dinge nehmen eine erste Wendung, als plötzlich der unbescholtene Banker Hubble (Marc Bendavid) den Mord gesteht, obwohl klar ist, dass der schmächtige und verängstigte Mann es nicht gewesen sein kann. Als jemand versucht, Hubble und Reacher im Gefängnis zu töten, ist die Neugier des Ex-Militärpolizisten geweckt. Doch trotzdem will er den Ort wieder verlassen … bis die überraschende Identität des Mordopfers enthüllt wird. Denn nun kennt Reacher kein Halten mehr.

    Nur unterstützt von dem aufrichtigen Detective Finlay (Malcolm Goodwin) und der jungen Polizistin Roscoe Conklin (Willa Fitzgerald) geht er dem mysteriösen Treiben in Margrave auf den Grund. Dabei ist für Reacher klar, dass es am Ende (und auf dem Weg dahin) ganz viele Tote geben wird. Denn für Verhaftungen und lange Gerichtsprozesse hat er keine Zeit...

    Die Jack-Reacher-Romane sind wie moderne Western. Sie haben etwas komplett Archaisches. Im Mittelpunkt steht ein Held, der sich über die Justiz stellt und keine Gnade kennt. Er verhaftet böse Buben nur selten, er tötet sie meist – und bleibt trotzdem immer der Gute, der aufrichtige Kämpfer, der sich gegen jede Ungerechtigkeit stellt – egal ob ein Hund im Vorgarten an der Kette verdurstet oder südamerikanische Auftragskiller Terror verbreiten.

    Die erste Staffel von „Reacher“ bleibt nah an dieser Vorlage. Auch hier ist schnell klar, wohin der Hase läuft. Finlay und Conklin reden Reacher zwar anfangs ins Gewissen, doch moralischen Zwiespalt sollen sie damit nicht säen. Wir als Publikum sollen akzeptieren, dass Reacher bei seinem Rachefeldzug im Recht ist und es die Richtigen trifft – und auch bei denen verzichtet man auf Grauzeichnungen...

    Maue Bösewichte als größter Schwachpunkt

    Wer auf der falschen Seite steht, wird so bei quasi jeder Figur schon in den Sekunden nach ihrem ersten Auftreten klar. Schnell wird die Geschichte eines Ortes etabliert, der von einer reichen Familie und Korruption im Würgegriff gehalten wird. Mit den Bösewichten gibt sich der hinter der Amazon-Prime-Video-Serie steckende, durch „Prison Break“, „Breakout Kings“ und „Punisher: War Zone“ bekannte Autor Nick Santora nicht viel Mühe.

    Selbst ein renommierter Charakterdarsteller wie Bruce McGill („MacGyver“) wird da schon ein wenig verschenkt, weil er als Bürgermeister eigentlich nur verschlagen-schleimig agieren darf. Da bleibt zu hoffen, dass man in möglichen weiteren Staffeln von „Reacher“ einen stärkeren Fokus darauf legt, wie es den Kinofilmen (grandios: Werner Herzog in „Jack Reacher“) ja deutlich besser gelungen ist.

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    Hier sind die Fieslinge aber eher Beiwerk und Hindernisse für den Protagonisten. Selbst der Anlass und Hintergrund ihres Treibens ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Denn obwohl es lange Zeit ein mysteriöses Rätsel ist, was vor sich geht, und auch viel darüber diskutiert wird, ist es jetzt nicht so, dass das Publikum mitraten soll. Die Recherche-Arbeit soll vor allem zeigen, wie Reacher tickt, wie analytisch er vorgeht.

    Interessante Weiterentwicklung der Figur

    Denn ein Fokus der Serie ist eindeutig, die Hauptfigur auch einem neuen Publikum jenseits der Millionen Buchfans ein wenig näher zu bringen – weswegen die eigentliche Handlung auch immer wieder von Rückblenden in die Kindheit von Reacher, wie ihn selbst seine französische Mutter (Leslie Fray) nennt, unterbrochen wird. In Verbindung mit diesen wird die Figur sogar ein wenig gegenüber den Romanvorlagen weiterentwickelt.

    Der harte Ex-Soldat, der massenweise Knochen bricht, ist hier auch ein emotionales Wrack. Zu Empathie scheint er nicht wirklich fähig, bei ihm ist noch viel mehr Berechnung als bei seinem Buch-Alter-Ego im Spiel. Das zeigt sich nicht nur in Gesprächen, sondern gerade beim handfesten Umgang mit anderen Menschen. Hier gelingt den Verantwortlichen um Santora und Action-erfahrene Regisseur*innen wie Thomas Vincent („Bodyguard“), M.J. Bassett („Strike Back“), Lin Oeding („Cobra Kai“), Christine Moore („The Blacklist“) oder Stephen Surjik („Daredevil“) übrigens die Meisterung der schwierigsten Prüfung in der Adaption der Child-Romane, bei der sich Kino-Regisseur Christopher McQuarrie und Tom Cruise schwerer taten.

    Starke Action ...

    Reacher kalkuliert jede einzelne seiner Aktionen, sein Gehirn arbeitet laufend auf Hochtouren und knabbert förmlich an beiläufig aufgeschnappten Informationen. Während letzteres in Dialogen und einem Running Gag über Tierfutter deutlich gemacht wird, gelingt gerade die Darstellung von Reachers Kampfansatz visuell sehr gut. Trotz schneller harter Schläge und Tritte oder Schüssen aus kurzer Entfernung sieht man förmlich, wie jeder Angriff, jede Bewegung einem genaustens kalkulierten Zweck dient, den Gegenüber möglichst effektiv auszuschalten. In den Kinofilmen wirkten viele Aktionen mehr dem Zufall geschuldet, so etwa bei einer engen Auseinandersetzung vor und in einer Badewanne im ersten Film.

    Ohnehin ist die Action hier wirklich stark gestaltet. Verantwortlich ist dafür ein Team um Ex-Kickbox-Weltmeister Jean Frenette, der bereits an über 300 Produktionen beteiligt war. Neben Hollywood-Hits wie „Deadpool 2“ oder „300“ trug er unter anderem die Verantwortung für Stunts und Action im Finale der ersten und in der zweiten Season der DC-Superheldenserie „Titans“, wo er bereits mit „Reacher“-Star Alan Ritchson arbeitete. Hier können sie daran anknüpfen. Die Fights sind meist knackig, effektiv und sehr brutal. Der große Showdown in der finalen Episode fällt allerdings ab, weil er zu sehr ausufert, zu sehr auf großen Standard-Endkampf, in dem jede Figur noch ihren einzelnen Fight-Moment hat, getrimmt ist.

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    Dass „Recher“ eine Streaming-Serie ist, macht sich nicht nur bei der harten Action bemerkbar. Frei von den Alterszwängen einer TV-Ausstrahlung sind auch Sex- und Nacktszenen etwas expliziter, als es im US-Fernsehen möglich wäre. Durchaus verstörend ist ein Moment, in dem ein nackter Mann an die Wand genagelt wurde und die Kamera kurz das blutige und hodenlose Gemächt in Großaufnahme einfängt - obwohl diese Gewalteruptionen in den Romanvorlagen noch etwas zahlreicher sind und expliziter beschrieben werden.

    Trotz des rauen Anstrichs gibt es ein paar kurze Humor-Einschübe, die aus nicht immer ganz treffenden, manchmal aber knackigen One-Linern bestehen. Ein guter Sidekick ist dabei der schon in „What We Do In The Shadwos“ grandiose Harvey Guillén als nerdiger Leichenbeschauer und Pathologe, der trotz unerwarteter Mehrarbeit noch Zeit für Computerspielen am Arbeitsplatz findet.

    Etwas anstrengend wird mit der Zeit aber der Running Gag über Reachers massive Größe. Wenn er beim Durchwühlen des Altkleider-Containers kein passendes Outfit findet und sich in ein viel zu kleines T-Shirt zwängen muss, wirkt das noch stimmig. Wenn dann aber ein Schneider in seinem großen Laden bei der Frage nach einem Anzug so tut, als wäre es eine Sensation, einen Kunden mit Körpergröße von über 1,90 Meter zu bedienen, ist das eher affig (zumal er dann auch einen passenden Anzug hervorzaubert, weil er Football-Profis zu seinem Kundenstamm zählt).

    … und einige großartige Nebenfiguren

    Bei der Ausgestaltung der Nebenfiguren profitiert „Reacher“ vom Serienformat. Der als Außenseiter neu in die Südstaaten-Kleinstadt gekommene Detective Finlay und die schon immer hier lebende und für ihre Heimat kämpfende Polizistin Roscoe sind viel stärkere, interessantere Charakter aus Fleisch und Blut mit ihrem eigenen Antrieb.

    Vor allem Willa Fitzgerald („Der Distelfink“) versteht es, die Anziehungskraft, welche Reacher mit seinen immer wieder vor ihr entblößten Muskeln auf Roscoe ausübt, zu verkörpern, ohne dabei etwas von der eigenen selbstbewussten Ausstrahlung ihrer Figur zu nehmen. Oft sind ihre leicht ironischen Blicke und Gesten auch ein wunderbarer Gegenpart zu den starken Machismen des Muskelprotzes.

    Die etwas ausführlichere Darstellung dieser Figuren und die zeitliche Verlegung der Haupthandlung aus dem Erscheinungsjahr des Buches 1997 in die Gegenwart sind aber nicht die größten Änderungen. Denn Teil der Handlung ist auch eine bei Fans sehr beliebte Figur der Romanreihe, die dort aber erst in vielen späteren Büchern auftaucht.

    Wir wollen hier nicht zu viel verraten, sie aber schon jetzt auftreten zu lassen, ist eine großartige Idee. Zum einen ist die Dänin Maria Sten („Swamp Thing“) einfach nur wunderbar badass in der Rolle und bringt noch mal eine exzellente, andere Dynamik in die Interaktion mit Reacher. Vor allem sorgt sie aber dafür, dass man mehr sehen will und es so eine weitere Figur gibt, mit der man als Publikum mitfiebern kann.

    „Reacher“ soll bei entsprechendem Erfolg mehrere Staffeln bekommen, wobei jede Season immer eines der mittlerweile 26 Bücher adaptiert. Doch bekanntlich zieht der Titelheld alleine durch die USA, ist bei jedem Abenteuer an einem neuen Ort. So toll zum Beispiel Willa Fitzgerald oder Malcolm Goodwin sind, wir werden sie daher wohl nicht mehr wiedersehen. Die von Sten verkörperte Mitstreiterin kann aber (und soll laut Auskunft der Macher) immer wieder als Unterstützung auftauchen und dabei auch nach und nach weiter erzählt werden. Wir sind gespannt, doch dafür muss es eine zweite Staffel geben.

    Erst einmal ist nun die erste Staffel „Reacher“ erschienen und kann ab dem heutigen 4. Februar 2022 bei Amazon Prime Video gestreamt werden.

    Die 20 besten Serienstarts im Februar

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