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    Der Hauptmann
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Hauptmann
    Von Thomas Vorwerk

    Die Ähnlichkeit zu Carl Zuckmayers mehrfach verfilmtem Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ ist kaum zu übersehen, doch Robert Schwentkes ebenfalls auf einem realen Fall basierender „Der Hauptmann“ ist kein entlarvendes Schelmenstück, keine „Köpenickiade“, sondern eine Art historische Realsatire, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleibt - wenn sich im Kinosaal überhaupt jemand dazu verleiten lässt, trotz der schockierenden Handlung auf diese Weise auf den nicht zu leugnenden bitterbösen Humor zu reagieren. „Der Hauptmann“ provoziert und empört – und er ist mit seinem erbarmungslosen Abbild der deutschen Gesellschaft im Jahre 1945 genauso wie mit seiner undurchsichtigen Hauptfigur auch ein unangenehmer Film, den man aber nicht ignorieren sollte.

    Nordwestdeutschland wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Der einfache Gefreite Herold (Max Hubacher) ist auf der Flucht vor seinen Vorgesetzten im deutschen Militärapparat und hat Glück, als er in einem alleinstehenden Auto die ihm perfekt sitzende Uniform eines mehrfach ausgezeichneten Hauptmanns findet. Er zieht sie an und probt wie auf einer Bühne den harten Befehlston, dem er kurz zuvor noch mit dem nahezu nackten Leben entkam. Bald schließt sich dem vermeintlichen Offizier der Gefreite Freitag (Milan Peschel) an. Mit rasch geschultem Pokerface blufft sich Herold schließlich auch an echten Offizieren vorbei („Als Gleichrangiger habe ich das Recht, auch ihre Papiere einzusehen!“) und requiriert schnell einen kleinen Tross (inklusive einer Flugabwehrkanone), ehe er nach der Ankunft im emsländischen „Lager 2“ kurzerhand behauptet, er sei vom Führer selbst bevollmächtigt, hart gegen Deserteure durchzugreifen und lässt Taten folgen: In einem eilig berufenen „Standgericht“ lässt er diverse Gefangene erschießen…

    Allein schon mit den ausdrucksstarken und trotzdem oft fast dokumentarisch wirkenden Schwarzweißbildern, die sich vor „Schindlers Liste“ nicht verstecken müssen (Kameramann Florian Ballhaus wurde beim renommierten Festival in San Sebastián ausgezeichnet), zeigt der nach einigen Hollywoodfilmen wie „Flightplan“, „R.E.D.“ und „Die Frau des Zeitreisenden“ nach Deutschland zurückgekehrte Regisseur Robert Schwentke ungemeinen Stilwillen. Auch die minutiöse Ausstattung, die effektive Montage und besonders die kontrastreiche Musik verstärken die Wirkung des Films, ziehen aber genau wie die Kameraarbeit zuweilen auch die Aufmerksamkeit auf sich selbst. So stehen etwa beim Soundtrack den Soldatenliedern vom „schönen Westerwald“ und dem Lillian-Harvey-Hit „Das gibt’s nur einmal“ mit der eigentümlich unpassenden Refrainzeile „Das ist zu schön, um wahr zu sein“ verfremdete Originalmusik-Passagen von Martin Todsharov („Honig im Kopf“) gegenüber: dräuend enervierende Alarmsirenen und Nebelhörner sowie Klänge, in denen sich Stuka-Feuer und Gitarrensaiten abzuwechseln scheinen fügen sich zu einer musikalischen Maschinerie fern von Wohlklang und Eskapismus.

    Das NS-Militär besteht hier aus kleinlichen Bürokraten und Opportunisten, den sogenannten „Radfahrern“, die nach oben buckeln und nach unten treten, wobei dieses Treten schon den Tatbestand der lebensgefährlichen Körperverletzung erfüllt. Das Leben eines Gefangenen (oder eines Dutzends) hat keinen moralisch-ethischen Wert mehr, mit Ausnahme weniger Beschwerden trifft man nur auf willige Henker, wobei die anfänglich geltende Ausrede, dass Herold selbst um sein Überleben kämpft, nicht mehr zieht, wenn er immer rigoroser seine Tötungsbefehle erteilt und ohne das geringste Zögern selbst eingreift. Aus purem existenziellem Selbstbehauptungswillen wird bei ihm zunehmend wahnwitziger Machthunger.

    Die Gefahr, dass die Hochstapelei des Protagonisten auffliegt (die vor allem durch den von Alexander Fehling gespielten Hauptmann Junker droht, auf den Herold bereits früher getroffen ist), spielt im Film nur eine untergeordnete Rolle. Statt um das Durchexerzieren einer Spannungsdramaturgie geht es hier etwa in einigen grotesk wirkenden Zeitlupen-Tableaus fast schon impressionistisch um den Wahnsinn des Krieges und der Nazis, der immer mehr um sich greift. So beginnt ein „bunter Abend“ im Lager mit derben Sketchen, die zwei vom Tod bedrohte Gefangene (Samuel Finzi und Wolfram Koch) vorführen müssen. Es folgen an Tarantino-Filme erinnernde verbale Machtkämpfe, ehe alles in einer betrunkenen und grausamen Raserei kulminiert.

    Die hässliche Fratze der Menschheit, präsentiert mit einem galligen Humor - „Der Hauptmann“ macht es seinem Publikum nicht leicht, bietet aber einige geschickt eingearbeitete Denkanstöße: Hier geht es weniger um die Besonderheiten des historisch verbürgten Falls des hochstapelnden Deserteurs Herold, als um ein Schicksal unter vielen. Vor dem Lager etwa ist ein kleiner Leichenberg zur Schau gestellt mit einem Schild daneben: „Hurra, wir sind wieder da!“ - ein Hinweis auf zwischenzeitlich entkommene Gefangene, die wieder eingefangen wurden und nun als abschreckendes Beispiel dienen sollen. Mehrfach werden in Dialogen Deserteure als das Verwerflichste und Menschenunwürdigste überhaupt dargestellt - dabei passen die Beschreibungen ihrer angeblichen Verfehlungen (stehlen, plündern, vergewaltigen) genau auf das Verhalten der „regulären“ Soldaten und Offiziere. Hier sind alle Uniformierten schuldig: sowohl Herold und seine Gefolgsleute als auch die Soldaten im Lager.

    Einen großen Anteil an der ungewöhnlichen Wirkung des Films hat die Besetzung. Ob Milan Peschel („Unter deutschen Betten“), Waldemar Kobus („Das Pubertier“), Samuel Finzi („Kokowääh“) oder Britta Hammelstein („Ferien“) als durchtriebene Geliebte des Lagerleiters: Bekannte Gesichter aus der deutschen Filmkomödien-Landschaft wirken hier im anderen Umfeld umso erschreckender, allen voran Frederick Lau („Simpel“, „SMS für Dich“) als gemeingefährlicher, komplett ungehemmter Triebtäter Kipinski (wobei Schwentke Vergewaltigungen nur vage andeutet). So erschreckend intensiv sah man Lau zuvor nie. Und Max Hubacher („Der Verdingbub“) meistert als Herold die schwierige Aufgabe, den Film als Identifikationsfigur zu eröffnen und ihn als etwas ganz anderes zu beenden.

    Bis zur überzogenen Abspannsequenz, in der die anklagende Aussage des Films über das historische Beispiel hinaus erweitert wird, ist „Der Hauptmann“ ein unerschrockener, böser Antikriegsfilm, der sich durch seine Grenzüberschreitungen (etwa wenn im Gefechtsfeuer mal ein menschlicher Körper in Monty-Python-Manier platzt wie ein mit dunkler Flüssigkeit gefüllter Ballon) von üblichen historischen Erzählungen und Kriegsdramen abhebt. Dass Schwentke dabei auch manchmal über das Ziel hinausschießt, liegt geradezu in der Natur der Sache.

    Fazit: „Der Hauptmann“ ist eine bittere Pille: ein verstörender Film, aus dem jede Menschlichkeit verbannt scheint und ein kraftvoll inszenierter Blick in dunkle Abgründe.

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