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    Tatort: Der Fall Holdt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Der Fall Holdt
    Von Lars-Christian Daniels

    Ich kann Ihnen gerade mal eine Handvoll Schauspielerinnen in meinem Alter nennen, die noch gut zu tun haben. Eine Handvoll!“ – Im Juli 2017 platzte der 50-jährigen Maria Furtwängler der Kragen: In einem Spiegel-Interview ereiferte sich die Schauspielerin über den ungerechten Umgang mit Frauen im deutschen Fernsehen und beklagte, dass es viel weniger weibliche Hauptfiguren gebe als männliche. In der Krimireihe „Tatort“, für die Furtwängler seit 2002 in Hannover für den NDR im Einsatz ist, halten sich die Geschlechter aber in etwa die Waage: 26 männlichen stehen derzeitig 19 weibliche Kommissare gegenüber – außerdem durfte sich 2016 mit Ellen Berlinger (Heike Makatsch) in Freiburg eine weitere Solo-Kommissarin versuchen und im „Tatort“ aus Dresden gibt es seit einem Jahr erstmalig ein rein weibliches Ermittlerduo. Auch der „Tatort: Der Fall Holdt“ liefert geballte Frauenpower: Regie führt mit Anne Zohra Berrached („Zwei Mütter“) eine der hoffnungsvollsten deutschen Nachwuchsfilmemacherinnen und Furtwängler bekommt für diesen Fall ihre jüngere Kollegin Susanne Bormann („Amelie rennt“) zur Seite gestellt. Das Ergebnis ist ein strukturell etwas ungewöhnliches, aber überzeugendes Krimidrama, dem ein etwas geringerer Fokus auf die Gefühlswelt seiner Hauptkommissarin allerdings gutgetan hätte.

    LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) wollte eigentlich nur einen netten Abend mit ihrem neuen Lover Henning (Adam Bousdoukos) verbringen. Als sie sich für einen Augenblick aus seinen Armen löst und im Hinterhof eines Lokals zwischen zwei geparkten Autos eine Toilettenpause einlegt, wird sie jedoch von drei unbekannten Männern dabei gefilmt und anschließend brutal niedergeschlagen. Obwohl Lindholm sich krankschreiben lässt, beordert ihr Chef Marc Kohlund (Stephan Grossmann) sie in die niedersächsische Provinz: Bei Walsrode haben zwei unbekannte Täter Julia Holdt (Annika Martens) entführt. Die Kidnapper fordern von ihrem Mann Frank (Aljoscha Stadelmann) ein Lösegeld in Höhe von 300.000 Euro. Weil er die Summe als Filialleiter der ortsansässigen Volksbank nicht selbst aufbringen kann, kontaktiert er seine Schwiegereltern Christian (Ernst Stötzner) und Gudrun Rebenow (Hedi Kriegeskotte), die gegen seinen Willen die Polizei einschalten. Bei der Suche nach der entführten Frau unterstützt wird die angeschlagene Lindholm von der ortsansässigen Polizistin Frauke Schäfer (Susanne Bormann), deren Ermittlungsmethoden der LKA-Kommissarin schon bald sauer aufstoßen...

    Wer sich nicht einen Großteil der Freude an diesem Sonntagskrimi nehmen möchte, sollte das Lesen der ARD-Inhaltsangabe tunlichst vermeiden: Auf der offiziellen „Tatort“-Website wird neben der Ausgangslage nämlich auch der weitere Verlauf und sogar das Ende des Falls gespoilert – was gleich doppelt ärgerlich ist, weil der Schlussakkord diesmal sehr ungewöhnlich ausfällt (und hier natürlich nicht verraten wird). Festgehalten sei lediglich, dass der reale Kriminalfall um die entführte Maria Bögerl aus Heidenheim den Anstoß für die (deutlich abgeänderte) Geschichte gab und sich die 1034. Ausgabe der Krimireihe erzählerisch nicht immer an die „Tatort“-Normen hält: Da gibt es statt des gewohnten Mordes zum Auftakt ein spektakuläres Kidnapping und auch die lange Vorgeschichte in Abwesenheit der Kommissarin ist für „Tatort“-Verhältnisse alles andere als gewöhnlich. Und doch fällt der 25. Einsatz von Charlotte Lindholm eine ganze Ecke bodenständiger aus als seine direkten Vorgänger: Nach dem amüsanten Münchner Porno-Tatort „Hardcore“, dem anstrengenden Bremer Psycho-Tatort „Zurück ins Licht“ und dem schwachen Frankfurter Horror-Tatort „Fürchte dich“ besinnt sich die ARD, die sich gerade erst eine jährliche Obergrenze von zwei „Tatort“-Experimenten auferlegt hat, wieder stärker auf das, was ihre Krimireihe seit Jahrzehnten ausmacht.

    Dazu zählt auch eine in der Realität geerdete Geschichte, die wir uns auch in unserer Nachbarschaft vorstellen könnten: Drehbuchautor Jan Braren („Homevideo“) und Regisseurin Anne Zohra Berrached, die für ihr aufwühlendes Schwangerschaftsdrama „24 Wochen“ viele Filmpreise erhielt, arrangieren eine atmosphärisch dichte und durchweg spannende Kreuzung aus klassischem Krimi und emotionalen Familiendrama. Dessen Herz schlägt im Hause Holdt, in dem sich der undurchsichtige Ehemann der Entführten, dessen besorgte Schwiegereltern und auch die Polizei über weite Strecken des Films aufhalten. Durch dieses budgetschonende Setting aus Wohnhaus und direkter Umgebung erinnert der Film nicht nur ästhetisch an den vier Wochen zurückliegenden Schwarzwald-Tatort „Goldbach“: Auch hier wurde fast ausschließlich im Wald und in einem direkt angrenzenden Dörfchen ermittelt. Die Anzahl der Verdächtigen fällt im „Tatort: Der Fall Holdt“ aber deutlich geringer aus: Dem Zuschauer stellt sich eigentlich nur die Frage, ob der Ehemann selbst seine Frau hat entführen lassen oder ob es ein unbekannter Dritter war. Eine gewisse Vorhersehbarkeit ist durch diesen reduzierten Personenkreis vorprogrammiert, was den Unterhaltungswert aber kaum schmälert.

    Etwas ärgerlich ist da schon der für den „Tatort“ aus Niedersachsen typische Fokus auf die Gefühlswelt der Kommissarin: Reizvoller als die Aufarbeitung des Gewalttraumas, das man der sonst so toughen Lindholm angesichts ihrer jahrelangen Erfahrung an vorderster Front ohnehin kaum abkauft, wäre wohl die konsequentere Zuspitzung des Konflikts zwischen ihr und der egoistischen Kollegin Frauke Schäfer gewesen. Schäfer entspricht nämlich erfreulicherweise mal nicht dem im Hannover-„Tatort“ oft vorherrschenden Klischee vom überforderten Landei, das von der scharfsinnigen LKA-Kommissarin auf links gebügelt wird – dafür bekommt diesmal ein Spurensicherer einen Einlauf. Das regelmäßige Tadeln des unter Druck stehenden Vorgesetzten Marc Kohlund (Stephan Grossmann, „Vorwärts immer!“) hingegen wurde schon zu häufig erzählt und bringt daher kaum zusätzliche Brisanz in die Ermittlungsarbeit. Anders als Ehemann Frank kommt außerdem der Sohn der Entführten bei der Charakterzeichnung zu kurz: Jonas Holdt (Moritz Jahn) reist mit Verspätung an und darf lediglich ein paar Krokodilstränen in einer Videobotschaft an die Entführer verdrücken. Unter dem Strich ist der „Tatort: Der Fall Holdt“ dennoch ein gelungener und – nach den wilden letzten „Tatort“-Wochen – angenehm bodenständiger Beitrag mit überzeugenden Darstellern.

    Fazit: Anne Zohra Berracheds „Tatort: Der Fall Holdt“ ist ein strukturell eher ungewohntes, aber überzeugendes Krimidrama, dessen kleine Drehbuchschwächen den Unterhaltungswert nur geringfügig schmälern.

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