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    Geh und lebe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Geh und lebe
    Von Martin Thoma

    Ein Film, der auf diversen internationalen Filmfestivals bisher insgesamt 15 Preise einheimsen konnte (darunter auch 2005 auf der Berlinale den Panorama-Publikumspreis und den Preis der Ökumenischen Jury), wird natürlich zwangsläufig etwas genauer in Augenschein genommen. Hat ein solcher Film die zahlreichen Auszeichnungen tatsächlich verdient? Und wenn ja: Warum? Im Falle von Radu Mihaileanus „Geh und Lebe“ bleibt am Ende vor allem eines übrig: absolutes Unverständnis…

    Ausgangspunkt des Films ist die „Operation Moses“, die der israelische Geheimdienst Mitte der 80er Jahre durchführte. Damals wurden (mit Hilfe der USA) tausende äthiopische Juden heimlich aus dem verfeindeten Sudan nach Israel ausgeflogen und gerettet. Sie hatten wegen ihres Glaubens aus ihrer Heimat fliehen müssen (die kommunistische Militärregierung in Äthiopien verfolgte religiöse Menschen jeden Glaubens, auch Christen und Moslems). Im „gelobten Land“ waren sie zwar vor Verfolgung sicher, hatten es aber sehr schwer anerkannt zu werden. Denn die äthiopischen Juden sind Schwarze und nicht wenige Israelis stritten ab, dass ein Schwarzer auch ein Jude sein könne. Zudem versuchten natürlich auch nichtjüdische Flüchtlinge aus den sudanesischen Lagern im Rahmen der „Operation Moses“ nach Israel zu gelangen. Diese „Illegalen“ waren keineswegs erwünscht und wurden (wenn man sie erwischte) sofort wieder abgeschoben. Regisseur Radu Mihaileanu („Zug des Lebens“) erzählt die Geschichte eines solchen falschen äthiopischen Judens, der in Wahrheit Christ ist

    Ein kleiner Junge (Moshe Agazai) muss mit neun Jahren seine Mutter im sudanesischen Flüchtlingscamp zurücklassen, sich von nun an Schlomo (Salomon) nennen und darf das Geheimnis seiner nicht-jüdischen Abstammung keinem Menschen auf der Welt verraten. Auch nicht der linken, kaum religiösen israelischen Familie, die ihn bald adoptiert. Schlomo wächst auf, wird immer mal wieder mit dem (teilweise heftigen) Rassismus seiner Umgebung konfrontiert und glaubt deshalb, sich ganz besonders musterhaft „jüdisch“ verhalten zu müssen, um akzeptiert zu werden. Der äthiopische Rabbi Le Qès Amhra (Yitzhak Edgar) wird sein väterlicher Freund und Lehrer in Sachen Judentum. Er hilft ihm auch mit den Briefen, die er seiner Mutter heimlich schreibt. Dennoch entwickelt Schlomo zu seiner Adoptivmutter (Yaël Abecassis) und auch zu seinem Adoptivopa (Rami Danon) ein herzliches Verhältnis. Mit dem Adoptivvater läuft es dagegen nicht so gut. Als Teenager (Mosche Abebe) verliebt sich seine Klassenkameradin Sarah (Roni Hadar) in ihn und lässt sich auch von ihrer rassistischen Familie nicht davon abbringen. Als junge Erwachsene (Schlomo 3: Sirak M. Sabahat; Sarah: dieselbe) schließlich heiraten die beiden. Nur von seinem Geheimnis weiß Sarah auch nach zehn Jahren Freundschaft genauso wenig, wie irgendjemand anderes auf der Welt.

    Zweifellos hat sich Mihaileanu einen spannenden Stoff ausgesucht, von dem viele potenzielle Zuschauer noch nie etwas gehört haben dürften. Es nervt nur über die Maßen, wie er ihn präsentiert. Mihaileanu traut seinem Publikum viel zu wenig zu und genauso wenig vertraut er seiner Geschichte. Er misstraut nicht nur der Intelligenz seiner Zuschauer, was schlimm genug wäre, er misstraut auch ihrer Emotionalität. Den Abschied von Mutter und Sohn in einem Flüchtlingslager unterlegt er mit einem schrecklichen kitschigen Panflötensoundtrack (Musik: Armand Amar). Das weinende Kindergesicht zeigt er dazu so lange in Großaufnahme, bis auch noch ein männliches Nil-Krokodil vor lauter Mutterinstinkt Tränen der Rührung vergießen müsste. Für wie abgestumpft muss sein Publikum eigentlich halten, wer so eine Inszenierung für eine gute Idee hält? Und wenn der inzwischen zum jugendlichen jüdischen Theologen herangereifte Schlomo seine überlegene Thorakenntnis in einer öffentlichen Debatte vor der Gemeinde unter Beweis stellt, muss dann das Thema ausgerechnet „Hat Gott Adam mit schwarzer oder weißer Hautfarbe geschaffen“ lauten? Und muss man die Schlichtheit der Fragestellung noch durch die Schlichtheit seines ultra-orthodoxen Opponenten überbieten und ihm folgendes Argument in den Mund legen: „Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild. Daher war Adam weiß“? Muss man, um ganz sicher zu gehen, dass die Sympathien jedes einzelnen Zuschauers auf der richtigen Seite sind, den armen Schlomo zu dem diplomatischen Schluss kommen lassen, der erste Mensch müsse eine Rothaut gewesen sein? Wen haben die politisch korrekten Filmemacher hier am Ende eigentlich der Lächerlichkeit preisgegeben: die verbohrten Rassisten oder doch eher sich selbst und ihr grenzenloses Gutmeinen?

    Solange die Tonlage des Films eher leicht bis komödiantisch ist, lässt sich die stetige Unterforderung ertragen. Die satirischen Spitzen gegen die linke Familie aus der ersten Welt, die viel guten Willen aber wenig Ahnung hat, waren wahrscheinlich als Brüller gemeint, können einem aber immerhin sogar ein Schmunzeln entlocken. Im Mittelteil plätschert das so einigermaßen schmerzfrei seicht unterhaltend dahin. Wenn es dramatisch wird, wenn die ganz großen Emotionen transportiert werden sollen, dann allerdings wird die Schmerzgrenze überschritten und es wird peinlich. Schlomo, der eigentlich nur mit friedlichen Mitteln für das Land kämpfen wollte, das ihn aufgenommen hat, wird schließlich doch noch erwischt und muss zur Armee. Er gerät in einen Straßenkampf. Ein palästinensisches Kind liegt verletzt auf dem Boden. Schlomo riskiert sein Leben, um es zu retten, aber der palästinensische Vater verjagt ihn mit gezogener Pistole. Prompt wird Schlomo dann auch noch vom vorgesetzten Militär zusammengefaltet, dass zuerst die eigenen Leute zu retten seien. Der gute Mensch Schlomo lässt verzweifelt den Kopf hängen und kriegt in dem Moment eine Kugel in den Arm. Wenn das kein ausgewogener Blick auf den Nah-Ost-Konflikt ist!

    Wenn mittelmäßige Schauspieler (nur Yaël Abecassis, die die Adoptivmutter spielt, ragt heraus) holprige Dialoge aufsagen und flache Charaktere verkörpern müssen, wenn mit dem Holzhammer Emotionen erzeugt und Inhalte transportiert werden sollen, dann rettet in aller Regel auch das spannendste Thema den Film nicht mehr. Bei diesem Film kommt erschwerend hinzu, dass sich die Geschichte zwar über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren hinzieht, aber dennoch niemals richtig in die Gänge kommt. Spannungsbogen: Fehlanzeige. 15 Jahre sind hier auch einfach zuviel Stoff, es franst aus und geht nicht tief genug.

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