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    Kumbh Mela - Shortcut To Nirvana
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Kumbh Mela - Shortcut To Nirvana
    Von Christoph Petersen

    Einst stritten Devas (Halbgötter und Engel) und Asuras (Dämonen) um einen Honigtopf, der ewiges Leben versprach. Die Devas flüchteten zwölf Tage lang mit dem Pott in Richtung Himmel. Dabei schwappte vier Mal etwas von dem Nektar über, die Tropfen landeten allesamt in Indien. An diesen gesegneten Stellen wuchsen vier Städte, in denen heute im Drei-Jahres-Rhythmus das hinduistische Fest Kumbh Mela stattfindet. Alle 144 Jahre (12 x 12 Jahre) kommt zu der Heiligkeit des Festes noch eine Planetenkonstellation hinzu, die die Pilger zusätzlich segnet. Dieses so genannte Maha Kumbh Mela wurde zuletzt im Jahr 2001 in Allahabad abgehalten. Die Filmemacher Maurizio Benazzo und Nick Day haben die Festivitäten für die Dokumentation „Kumbh Mela – Shortcut To Nirvana“ begleitet und ermöglichen so einen tiefen Einblick in das für westliche Gewohnheiten exotische Treiben zwischen Gottesdienst, Meditation, Oktoberfest und einem Zirkus.

    Die Schätzungen über die Besucherzahlen dieses angeblich ältesten religiösen Festes der Menschheit liegen zwischen sagenhaften 30 und 70 Mio. Hinduisten. Jeder Guru, jede Sekte und jeder Yogi baut dabei sein eigenes Zelt auf, wo auch die jeweiligen Anhänger unterkommen. Aber nur Wenigen reicht ein schlichter Platz zur Meditation, vielmehr erinnern die unzähligen, bunt blinkenden Lichtern und die ungeheuerliche Geräuschkulisse an ein gigantisches Volksfest. Die hektische, ruhelose Stimmung des Kumbh Mela fängt der Film wunderbar ein, der Zuschauer ist nach den 87 Minuten der Erschöpfung nahe.

    Zunächst ist man skeptisch, beginnt der Besuch auf dem Kumbh Mela doch gleich mit esoterischen Bildern und einer passenden Musikuntermalung. Aber schnell merkt man, dass der Film einen durchaus kritischen Weg einschlägt. Im Laufe der Jahre haben sich die Pfade zur Erleuchtung immer weiter voneinander entfernt. Es gibt immer mehr religiöse Führer, denen es nur um Ansehen oder einen Mercedes, das Statussymbol in Indien überhaupt, geht, für die der Glaube nur ein Mittel zum Zweck ist. Auch gibt es viele, die Gott näher kommen und Anhänger sammeln wollen, indem sie bestimmte Tricks vollführen. Neben den herkömmlichen Fakiren, die auf Nagelbetten schlafen oder über glühende Kohlen gehen, gibt es noch viel „kreativere“ Absurditäten. So bindet eine Gruppe von Gläubigen ihren Penis um einen Stab und zieht damit dann Lastwagen, eine japanische Frau lässt sich für mehrere Tage lebendig begraben und ein alter Yogi, der in einem zusammengeschusterten Bretterverschlag sitzt, macht Geräusche, die an A-Capella-Techno erinnern und zu denen sich die Zuhörer in Trance tanzen.

    An anderer Stelle ist der Film dafür umso unkritischer. Er zeigt zwar, dass mit der Religion an vielen Stellen Schindluder getrieben wird, möchte dann aber doch eine gemeinsame Aussage aller Beteiligten, sprich Toleranz und das Zusammenrücken der Weltreligionen, in das Fest hineininterpretieren. Zu diesem Zweck wird auch die Episode um den Besuch des Dalai Lama unnötig ausgewalzt. Er übergeht dabei aber zum Beispiel die hinduistischen Fundamentalisten, die immer wieder für die blutigen Auseinandersetzungen mit Pakistan verantwortlich sind. Diese Zurückhaltung in Bezug auf dieses ungemütliche Thema ist aber zu verstehen, ist „Kumbh Mela“ doch trotz allem Tiefgangs auch ungemein unterhaltsam.

    „Jedes Land hat seine Spezialisierung. Indien ist Erster, wenn es um Spiritualität geht. Dafür Japan, wenn es um Technik geht . Und die USA ist Erster beim Reichtum.“ Eine „Wahrheit“, die sich auf nervige Weise auch bei „Kumbh Mela“ wieder zeigt. Da es sich um eine amerikanische Dokumentation handelt, wurden auch verschiedene US-Besucher begleitet, um so dem Publikum die Identifikation zu erleichtern. Leider zeugen die Aussagen der „Hauptdarstellerin“, ihr würde es ja nur um die wirkliche spirituelle Erfahrung gehen und nicht um die Showanteile, von einer solchen Ignoranz und Arroganz gegenüber den „dummen“ Indern, die ja nur ihr ganzes Leben mit dieser Kultur verbracht haben, dass diese Dreistigkeit den Zuschauer wirklich stört. Auch wenn ein Dokumentarfilm natürlich nicht für die Ansichten der von ihm gezeigten Personen verantwortlich ist, hätte man diese US-Episoden lieber weggelassen. Dafür wird man zumindest ein wenig durch den niedlichen Hindu-Mönch Swami Krishnanand entschädigt, der von spiritueller Selbstfindung spricht, nachdem er sich in die blonde Amerikanerin verknallt hat.

    Trotz seiner kleineren Schwächen bleibt „Kumbh Mela“ aber eine gelungene Dokumentation, die vor allem dadurch überzeugt, dass sie die unterschiedlichsten Seiten hinterfragt, ohne dabei selbst Stellung zu beziehen. Mit vielen DV-Handkameras gelingt es durchaus, dieses auf den ersten Blick undurchschaubare Geschehen so zu zeigen, dass man es zumindest in Grundzügen verstehen kann und dabei auch noch gut unterhalten wird. Und wenn der Film zum Schluss beim Badetag, für den noch einmal riesige Massen extra anreisen, von einer schon so unfassbaren Menschenmenge zu einem Satellitenbild zurückzoomt, fängt man erst an, die wirklichen Ausmaße zu begreifen. Aber auch wenn die verschiedensten Aspekte beleuchtet werden, wird die für amerikanische und deutsche Zuschauer wohl wichtigste Frage leider nicht aufgeklärt: „Wo gehen diese Menschenmassen eigentlich auf Toilette?“

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