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    Nanga Parbat
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Nanga Parbat
    Von Carsten Baumgardt

    Was am 29. Juli 1970 am Nanga Parbat, dem neunhöchsten Berg der Welt, wirklich geschah, werden wir wohl niemals mit Sicherheit erfahren. Fakt ist, dass an diesem Tag der Südtiroler Günther Messner im Alter von nur 23 Jahren zu Tode kam. Wie, wo genau und warum der Extrembergsteiger verstarb, darüber tobt schon seit Jahren ein erbitterter Kleinkrieg zwischen Bergsteiger-Legende Reinhold Messner, der mit seinem Bruder damals gemeinsam unterwegs war, und seinen getrennt von ihm operierenden Bergkameraden. Doch diese spannende und elektrisierende Diskussion um Wahrheit, Ehre und Moral lässt Regisseur Joseph Vilsmaier in seinem Bergsteiger-Drama „Nanga Parbat“ außen vor. Stattdessen schildert er lediglich eine Seite der Medaille – nämlich die von Reinhold Messner, der dem Film als technischer Berater diente. Und so bleibt die Nachbereitung einer Tragödie in ihrer Limitierung des Blickwinkels zu klinisch, um zu begeistern.

    Die Südtiroler Brüder Reinhold (Florian Stetter) und Günther Messner (Andreas Tobias) haben sich in der Bergsteigerszene bereits in jungen Jahren einen Namen gemacht, indem sie die Alpen auf den schwierigsten Routen durchquerten. Reinhold, der ältere der beiden, erhält 1970 eine Einladung des erfahrenen Expeditionsleiters Karl Herrligkoffer (Karl Markovics), den Nanga Parbat im Himalaya über die bisher unbezwungene Rupalwand zu besteigen. Günther Messner, der zunächst schwer enttäuscht ist, dass sein Bruder ihn wieder einmal ausgestochen hat, bekommt auch noch seine Chance. Als ein Bergsteiger aus dem Team ausfällt, schlägt Reinhold seinen Bruder als Ersatzmann vor. Herrligkoffer akzeptiert. Leider verläuft die Expedition in Pakistan alles andere als harmonisch. Die Truppe, in der es zu Reibereien und Eifersüchteleien kommt, hat zusätzlich damit zu kämpfen, dass das Wetter am Berg nicht mitspielt. Die Aussicht, den Nanga Parbat tatsächlich über die Rupalwand zu bezwingen, schwindet von Tag zu Tag. Reinhold Messner, der stärkste Mann am Berg, setzt kurz vor Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung trotz schlechten Wetters alles auf eine Karte und versucht den Aufstieg durch die lebensgefährliche Merkl-Rinne im Alleingang. Sein Bruder Günther steigt ihm Stunden später nach. Als er Reinhold tatsächlich erreicht, ist er bereits zu Tode erschöpft…

    Wie sehr sich das Extrembergsteigen doch seit den Tagen von Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay, die am 29. Mai 1953 als erste Menschen den 8.848 Meter hohen Mount Everest bezwungen haben, verändert hat. Heutzutage wird der höchste Gipfel der Erde von Hobbysportlern bestiegen, die von geschäftstüchtigen Profi-Bergführern den Everest raufgehievt werden. Der Andrang ist mittlerweile so groß, dass sich zur günstigsten Aufstiegszeit im Mai lange Schlangen bilden. Der Everest ist zwar allein aufgrund seines Nimbus als höchster Berg der Welt ein Mythos, aber die großen Geschichten des Bergsteigens werden nicht zwangsläufig nur dort geschrieben. Der Nanga Parbat ist mit seinen 8.125 Metern zwar nur die Nummer neun unter den 14 Achttausendern, gilt aber als der am schwierigsten zu bezwingende Gipfel. Vor allem die 4.500 Meter hohe Rupalwand, die größte Steilwand der Welt, begründet die enorme Anziehungskraft des Nanga Parbat.

    Aber der Berg ist auch Gegenstand des größten und hässlichsten Streits, der jemals über die Gemeinde der Alpinisten hereingebrochen ist. Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner, der als einziger Mensch alle 14 Achttausender ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen hat, kämpft seit der 1970er Expedition um seinen guten Ruf. Die Kernpunkte: Der Südtiroler sagt aus, er hat mit seinem Bruder den Gipfel erklommen und sie sind anschließend - entgegen der Planung - über die Diamirwand abgestiegen, wo der von der Höhenkrankheit stark geschwächte Günther später von einer Lawine erfasst worden ist. Messner, der schwere Erfrierungen an den Zehen erlitt, hat sich mit letzter Kraft ins Tal geschleppt. Seit 2001 liefert sich Messner mit seinen damaligen Teammitgliedern Gerhard Baur, Hans Saler und Max von Kienlin nun eine erbitterte mediale Schlammschlacht, die die Parteien über Interviews und Bücher austragen. Messner beschuldigt seine Mitstreiter der unterlassenen Hilfeleistung, die drei hegen andererseits erhebliche Zweifel an der Version des Südtirolers. Sie vertreten die Theorie auf, dass Messner aus übermäßigem Ehrgeiz den Tod seines Bruders provoziert habe.

    Interview

    Filmstarts trifft...:

    Reinhold Messner im Gespräch mit Filmstarts

    Die entscheidende Frage: Wo trennten sich die Wege der Messners? Seine alten Kameraden denken, dass Messner seinen Bruder irgendwo auf dem Weg im Stich gelassen und zurückgeschickt habe, um mit dem Abstieg über den Diamirwand den Ruhm der ersten Überschreitung des Nanga Parbat einzuheimsen. Nachdem 2005 die mutmaßlichen Überreste Günther Messners in 4.300 Meter Höhe auf der Diamirseite gefunden wurden, sieht sich Reinhold Messner in seiner Version bestätigt und rehabilitiert. Doch die Zweifel der Gegenseite bleiben. Warum hat Messner damals, als seine Kollegen Felix Kuen und Peter Scholz in Rufnähe waren und Hilfe anboten, diese mit einem „Alles ist in Ordnung!“ fortgeschickt? Oder warum fragte er als Erstes, nachdem er völlig entkräftet später wieder auf seine Kameraden traf: „Wo ist Günther?“

    Und was hat diese ganze Vorgeschichte mit Joseph Vilsmaiers „Nanga Parbat“ zu tun? Nicht viel, worin auch das eigentliche Problem des Films begründet liegt. Vilsmaier, der seine größten Erfolge mit Werken wie „Herbstmilch“ (1989), „Stalingrad“ (1993), „Schlafes Bruder“ (1995) und „The Comedian Harmonists“ (1997) feierte, stützt sich ganz allein auf Messners Version der Geschichte, die er nach eigener Angabe eindringlich geprüft hat. Die mag stimmen, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht liegt die „Wahrheit“ aber auch irgendwo zwischen beiden Versionen. Aber diese Unstimmigkeiten greift Vilsmaier nicht auf, sondern stellt sich in „Nanga Parbat“ voll hinter Messner. Seinen Gegenspieler, den deutschen Arzt und Expeditionsleiter Karl Herrligkoffer, verteufelt er gar als Dämon, der am Berg die falschen Entscheidungen trifft und anschließend charakterlich aus der Rolle fällt, als er Messner für dessen wenig ausgeprägtes Teamplay kritisiert und ihm den Schuld für den Tod seines Bruders Günther aufbürdet.

    Interview

    Filmstarts trifft...:

    Joseph Vilsmaier im Gespräch mit Filmstarts

    Abgesehen davon bietet der nur sieben Millionen Euro teure „Nanga Parbat“ auf der Habenseite phantastische Landschaftaufnahmen, die zum Teil an Originalschauplätzen im Himalaya gedreht wurden – flankiert von gewöhnungsbedürftigen, aber durchaus interessanten Klängen, die auch aus einem Italo-Western stammen könnten. Das führt aber direkt zu einem weiteren Schwachpunkt des Films. So spektakulär die On-Location-Impressionen auch sind: Es fällt deshalb umso mehr auf, dass die Aufnahmen mit den Schauspielern und Stuntleuten in Süd- und Osttirol (am Ortler und am Großvenediger) nachgestellt wurden. Die Szenen wirken in ihrer Anordnung merkwürdig isoliert. Das Prinzip, die ausgiebigen Close-Ups gegen Panoramen zu schneiden, funktioniert nicht wie gewünscht, dynamische Schnittfolgen sind Mangelware. Deshalb sticht eine Aufnahme besonders positiv hervor, in der Kameramann Vilsmaier und sein Co Helmfried Kober in einer Totalen über ein riesiges Eisfeld fahren, auf dem zwei einsame Gestalten ins Ungewisse wandern. Hier entsteht ein plastisches Gefühl von Weite, das sich ansonsten nur spärlich einstellen will. Im Vergleich zu Philipp Stölzls artverwandtem Nordwand fallen die intimen Bergszenen insgesamt ab. Zwar weicht die anfängliche Pfadfinderatmosphäre im Basislager bald ernsteren Tönen, aber das volle dramatische Potenzial der Tragödie kommt nicht zur Entfaltung. Wie man es besser macht, zeigt Kevin Macdonalds beklemmendes Doku-Drama Sturz ins Leere.

    Die Aufgabe für die Schauspieler wird dadurch nicht leichter. Florian Stetter (Sophie Scholl, Napola) gibt den jungen Reinhold Messner als verwegenen Spitzbuben, der am liebsten seine eigenen Wege geht. Auch wenn der vom Theater stammende Stetter rollenbedingt mehr Charisma in die Waagschale werfen kann als sein Kompagnon Andreas Tobias (Der Baader Meinhof Komplex) als Günther Messner, reicht die Intensität seiner Darstellung nicht an die realen Auftritte eines Reinhold Messner heran, der seine Zuhörer und Zuschauer mit seiner Präsenz förmlich in Ehrfurcht erstarren lässt. Leichter hat es da Karl Markovics (Die Fälscher, Komm, süßer Tod), der seinem Expeditionsleiter Herrligkoffer die nötigen Ecken und Kanten verleiht. Für die viel zu seltenen leisen Zwischentöne zeichnen Horst Kummeth („Forsthaus Falkenau“) und Lena Stolze (Vision, Am Ende kommen die Touristen) als Messner-Eltern verantwortlich, die in der kurz angerissenen Kindheitsgeschichte auftreten.

    Obwohl Vilsmaier durch den Berater Messner in bergsteigerischer Hinsicht Wert auf größte Authentizität legt, lässt er diese Sorgfalt bei der Umsetzung der Dialekte schleifen. Meistens parlieren die beiden Messners feinstes Hochdeutsch mit minimalem, gekünstelt wirkendem Einschlag. Da spricht der Pfarrer daheim in Südtirol auch einwandfrei, während Messners Eltern eher bayerisch reden. Dieser Mix wirkt unausgegoren und wenig authentisch.

    „Es geht nicht, diesen Mann [Messner] einfach so und ohne jegliche Beweise moralisch zu verurteilen“, bekundet Vilsmaier. Nichtsdestotrotz ist dem Filmemacher anzukreiden, dass er sich bei seiner Schilderung nur auf eine Person fixiert und die Argumente der Gegenseite konsequent ausklammert. Dadurch verengt sich die Perspektive unnötig. In Werner Herzogs Dokumentation Gasherbrum – Der leuchtende Berg gibt es einen markerschütternden Moment. „Wie bist du deiner Mutter vor’s Angesicht getreten?“, bohrt Herzog. Daraufhin kollabiert der stets eloquente Souverän Messner emotional und bricht unter Tränen zusammen. Solch epochale Momente fehlen „Nanga Parbat“, der brav an der Oberfläche bleibt, ohne allzu tief in die Seelen der Protagonisten hinabzusteigen.

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