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    Winged Creatures
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Winged Creatures
    Von Julian Unkel

    Nach Amokläufen konzentriert sich die mediale Berichterstattung zumeist auf den Täter und dessen Motive. So geschehen auch nach dem Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009, als sich die Medien auf der Suche nach dem „Warum?“ gegenseitig zu zahllosen Schnellschuss-Erklärungen für die Tat anstachelten und es letztlich sogar der renommierte Spiegel war, der die Täterzentrierung am eindrucksvollsten zur Schau stellte, indem er den Schützen Tim K. auf sein Cover hievte. Auch wenn sich dem Thema Amoklauf fiktiv genähert wird – beispielsweise in Filmen wie Falling Down, oder aktuell Amok - He Was A Quiet Man – ist es in erster Linie die Psyche des Täters, die im Mittelpunkt steht. Einen anderen Weg wählt nun Rowan Woods mit seinem Episoden-Drama „Winged Creatures“. Er lässt den Täter und seine Beweggründe komplett außen vor und konzentriert sich stattdessen völlig auf die Auswirkungen der Tat, also auf Überlebende und Angehörige der Opfer. Leider schafft es Woods dabei zu keinem Zeitpunkt, das Potenzial der interessanten Ausgangslage auch nur annähernd auszuschöpfen.

    Völlig unvermittelt stürmt ein Mann in ein Diner in Los Angeles, erschießt wahllos Gäste und Angestellte und richtet sich anschließend selbst. Fünf anwesende Personen überleben den Amoklauf und stoßen beim Versuch, die Ereignisse zu verarbeiten und ihr Leben wieder in geregelte Bahnen zu lenken, auf gänzlich unterschiedliche Schwierigkeiten: Die Kellnerin und alleinerziehende Mutter Carla (Kate Beckinsale, Underworld, Aviator, Motel) ist nicht mehr im Stande, sich um ihr Baby zu kümmern und flüchtet sich in eine Fantasiebeziehung zu ihrem Arzt Dr. Laraby (Guy Pearce, Memento, L.A. Confidential). Dieser hatte dem Amokläufer nicht nur die Tür aufgehalten, sondern konnte im OP auch zwei der Opfer nicht mehr retten und fühlt sich daher mitschuldig. Die junge Anne (Dakota Fanning, Mann unter Feuer, Die Bienenhüterin) musste mit ansehen, wie ihr Vater erschossen wurde, und gibt sich seither stark religiös. Ihr bester Freund Jimmy (Josh Hutcherson, Die Reise zum Mittelpunkt der Erde), der mit Anne und ihrem Vater im Diner war, zieht sich vollkommen in sich zurück und spricht kein Wort mehr. Der krebskranke Charlie (Forest Whitaker, Der letzte König von Schottland, Powder Blue) überlebt trotz schwerer Schusswunde, wähnt sich als vom Glück geküsst und stellt dies im Casino sofort auf die Probe – mit fatalen Folgen…

    Ähnlich unvorbereitet wie die Charaktere ist auch der Zuschauer, als Regisseur Rowan Woods den Amoklauf gleich zu Beginn plötzlich und dennoch ohne große Effekthascherei ablaufen lässt. Nach dem intensiven Einstieg geht es mit „Winged Creatures“, der in Deutschland mit dem grotesk-sperrigen Untertitel „Um dein Leben neu zu beginnen, musst du es erst fast verlieren“ vertrieben wird, jedoch steil bergab. Episodenfilm-untypisch steht das Ereignis, das alle Charaktere miteinander verbindet, direkt am Anfang und dient als Auslöser für die Entwicklung der verschiedenen Handlungsstränge. Doch genau hier liegt das entscheidende Problem des Films: Eine wirkliche Entwicklung sieht das von Roy Freirich auf Basis seines eigenen, gleichnamigen Romans geschriebene Drehbuch nicht vor. Was in den verbleibenden 80 Minuten folgt, ist daher mehr oder minder eine starre Zustandsbeschreibung der fünf Protagonisten, die anfänglich aufgrund der individuellen Verarbeitungsmethoden zwar ein gewisses Interesse hervorruft, dieses durch das Ausbleiben jeglichen Fortschritts aber bald wieder verspielt.

    Exemplarisch hierfür sei die Episode um Dr. Laraby erwähnt, der sich verantwortlich für den Tod der Opfer fühlt und daher nun täglich Leben retten will. Dazu beginnt er seiner Frau (Embeth Davidtz, Junebug) Medikamente ins Essen zu mischen, um anschließend Erste Hilfe gegen die Überdosen zu leisten. Diese Situation wird mehrfach wiederholt, bis es dann kommt, wie es kommen muss: Laraby ist einmal nicht rechtzeitig zur Stelle und verliert seine Frau fast – Ende. Ähnlich nichtssagend, leer und stellenweise sehr unglaubwürdig (etwa wenn der gemeinsame Grund für Annes Religiosität und Jimmys Schweigen enthüllt wird) geben sich auch die anderen Episoden. Am ehesten sticht noch die Geschichte um den spielsüchtigen Charlie heraus, was auch an der wieder einmal starken Leistung von Forest Whittaker liegt, der zusammen mit der erneut erstaunlich reifen Dakota Fanning zu den Höhepunkten der zwar namhaften - in den Nebenrollen gesellen sich unter anderem noch Jackie Earle Haley (Little Children, Watchmen), Jennifer Hudson (Dreamgirls) und Jeanne Tripplehorn (Die Firma) hinzu - , aber gerade deshalb enttäuschenden Besetzung zählt. Besonders Kate Beckinsale, die nach ihrer eindrucksvollen Darbietung in Engel im Schnee eine sehr ähnliche Rolle (alleinerziehende Mutter; frustrierte, in der Liebe glücklose Kellnerin) spielt, bleibt erschreckend blass.

    Erschwerend hinzu kommt die äußerst behäbige und langwierige Inszenierung. Woods findet zwar zweifellos einige ansprechende Bilder, verwendet jedoch ein viel zu zähes Erzähltempo, um über die Drehbuchschwächen hinwegtäuschen zu können. Außerdem verliert er sich immer wieder in prätentiös-metaphorischen Einstellungen, die letztlich ebenso kalt lassen wie das Schicksal der Hauptpersonen. Wenn sich am Ende nahezu alle Charaktere in tränenreichen Umarmungen ihre Fehler eingestehen, bleibt eine vergleichbare emotionale Reaktion beim Zuschauer daher gänzlich aus.

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