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    Mr. Nice
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mr. Nice
    Von Christian Horn

    Die Lebensgeschichte des charismatischen Drogenschmugglers Howard Marks ist ganz fraglos spannend und auf jeden Fall filmreif. Dementsprechend gut hat sich Marks' Autobiografie „Mr. Nice" aus dem Jahr 1996 verkauft, die Regisseur Bernard Rose („Candymans Fluch") nun mit Rhys Ifans in der Titelrolle verfilmt hat. Dass nicht alle Stationen aus der Biografie des Drogenhändlers und nicht alle Zusammenhänge seiner Laufbahn adäquat in einem zweistündigen Film auserzählt werden können, liegt in der Natur der Vorlage. Daher führt es in eine Sackgasse, den Film peinlich genau mit den Informationen aus dem Buch abzugleichen, auch wenn sich das anbieten mag. Bernard Rose raubt der Biografie von Howard Marks vielleicht ein wenig Originalität, wenn er dieselbe in ein beinahe klassisches Drogenhändler-Biopic der Marke „Blow" packt – andererseits fasst er den ungewöhnlichen Werdegang Marks' in starke Bilder und hat jederzeit den begeisternden Ryan Ifans sowie die nicht minder auftrumpfenden Nebendarsteller (besonders gut: Chloë Sevigny) auf der Habenseite.

    Howard Marks (Rhys Ifans) stolpert regelrecht ins Drogengeschäft: Während des Physik- und Philosophie-Studiums in Oxford öffnet er eine Tür, hinter der eine dauerkiffende Hippie-WG weilt, die ihn erstmals mit Marihuana in Kontakt bringt. Nach dem abgeschlossenen Studium springt Marks spontan für einen Freund bei einem Haschisch-Transport ein, erkennt die Vorzüge des schnellen Geldes und entschließt sich, selbst ins Geschäft einzusteigen. Unter anderem mit der Hilfe des IRA-Anführers Jim McCann (David Thewlis) und Kontakten nach Afghanistan läuft sein Großhandel mit Haschisch und Marihuana ganz hervorragend: Zeitweise soll „Mr. Nice" in den Siebzigern und Achtzigern satte zehn Prozent des weltweiten Verkaufs der weichen Droge organisiert haben. Natürlich bringt ihn das zunehmend auf die Fahndungslisten, so dass ein normales Familienleben mit seiner Frau Judy (Chloë Sevigny) kaum möglich ist.

    Regisseur Bernard Rose liefert ästhetisch eine Mischung aus stilisierten Bildern, die teilweise in Schwarzweiß gehalten sind oder mit Zeitlupen arbeiten, und einer dem Biopic-Thema entsprechend dokumentarisch wirkenden Handkamera. So entsteht ein überzeichnetes Zeitgeistporträt der Siebziger und Achtziger, das die charakteristische Musik, die Kleidung und die Übersetzung des Lebensgefühls der 1968er umfasst, dabei aber immer nebenbei stattfindet. Mit zeitlichen Sprüngen unternimmt Rose den Versuch, die Erfolgsgeschichte des anfänglich so naiv wirkenden Marks in eine runde Erzählung zu formen – was ihm nicht immer gelingt, da einige der Zusammenhänge untergehen.

    Marks' Kontakte zum MI6 und die Organisation seines Marihuana-Handels via Afghanistan erfahren eine nur oberflächliche Klärung, während auch des Privatleben des Schmugglers mehr oder minder eine Skizze bleibt. Phasenweise zerfällt „Mr. Nice" in seine Einzelteile – und macht den Kult-Drogenhändler Howard Marks dennoch greifbar. Wie die Autobiographie von Howard Marks, der ein bekennender Befürworter der Legalisierung von Marihuana ist, erscheint auch der gleichnamige Film tendenziell wie eine Hymne aufs Kiffen: „Warum soll etwas schlecht sein, dass dein Bewusstsein erweitert und Lust auf Sex macht?", fragt einmal Marks' Frau und stellt damit eine im Grunde gerechtfertigte Frage.

    Selbst der amerikanische Richter, der Marks zu einer Haftstrafe verurteilt, verweist vorsichtig darauf, dass ihm die aktuelle Gesetzeslage leider keine andere Wahl lässt; die Bilder vom Abspann, die in elegischen Schwarzweißaufnahmen den dicken Qualm eines Joints zelebrieren, unterstreichen diesen Blickwinkel mit Nachdruck und der Zuschauer fragt sich, warum dieser liebe Drogendealer, der nie harte Drogen verkauft hat, überhaupt vom Rechtssystem behelligt wurde. Vielleicht ist gerade diese Aussage das Hauptanliegen von „Mr. Nice" und eben nicht die minutiöse Nacherzählung einer bemerkenswerten Drogenhändler-Karriere. Letztere zerfasert zwar gelegentlich, funktioniert mit der genialen Darbietung von Rhys Ifans, der Howard Marks auch physiognomisch auffällig ähnelt, aber dennoch.

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