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    Black Mass
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Black Mass
    Von Carsten Baumgardt

    Fast 17 Jahre lang war er untergetaucht, ganze zwölf Jahre stand James „Whitey“ Bulger auf der berüchtigten FBI-Fahndungsliste der zehn meistgesuchten Verbrecher. Am 22. Juni 2011 ging der ehemalige Kopf der Bostoner Mafia der Polizei nach einem Hinweis doch noch ins Netz: Im kalifornischen Santa Monica lebte der inzwischen 81-jährige Bulger unter dem Namen Charles Gasko in einer 75-Quadratmeter-Wohnung unbemerkt von der Meute der Strafverfolger und Geheimdienstler, die ihn rund um den Erdball suchte. Wie der spät Gefasste zum gefürchteten Unterweltboss aufstieg, davon erzählt Regisseur Scott Cooper („Crazy Heart“, „Auge um Auge“) in seinem Gangster-Drama „Black Mass“. Der beim Filmfestival in Venedig 2015 uraufgeführte Film ist solide inszeniert und ist vor allem für seine ausgezeichneten Darsteller sehenswert. Bemerkenswert ist in erster Linie die ebenso faszinierende wie konzentrierte Darbietung von Johnny Depp, der seine beste Leistung seit langem zeigt.

    1975: Der irischstämmige Gangster James „Whitey“ Bulger (Johnny Depp) aus dem Bostoner Süden mischt die Nachbarschaft auf und versucht die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen. Um die verfeindete italienische Mafia loszuwerden, geht Bulger eine Allianz mit dem FBI ein, wo sein Jugendfreund John Connolly (Joel Edgerton) zum Agenten aufgestiegen ist. Doch Bulger nutzt den Deal nur zum eigenen Vorteil, liefert die Konkurrenz ans Messer und nützt der Bundespolizei, die ihn gewähren lässt, sonst nicht viel. Vor allem hält er sich nicht an die Abmachung, keine Menschen umzubringen. Drogenhandel, Erpressung, Geldwäsche - skrupellos verfolgt er seine Ziele und kontrolliert mit seiner Winter-Hill-Gang in den 80er Jahren das kriminelle Geschäft in Boston. Als Bulgers Sohn Douglas (Luke Ryan) plötzlich am Reye-Syndrom stirbt und anschließend darüber James' Beziehung mit Lindsey (Dakota Johnson) in die Brüche geht, verbittert der Gangster zunehmend. Connollys Vorgesetzter Charles McGuire (Kevin Bacon) wird unterdessen ungeduldig und fordert endlich bessere Ergebnisse aus der Bulger-Verbindung …

    Der Mob fasziniert Filmemacher schon seit Ewigkeiten: Von den Gangsterfilmklassikern der 30er und 40er Jahre über „Der Pate“ und „Es war einmal in Amerika“ bis zu „GoodFellas“ und „Casino“ – das organisierte Verbrechen und seine Protagonisten wurden immer wieder mit großer Ernsthaftigkeit und Energie ins künstlerische Visier genommen. Scott Cooper stößt mit seinem auf dem Bestseller „Black Mass: The True Story of an Unholy Alliance Between The FBI And The Irish Mob” von Dick Lehr und Gerard O'Neill basierenden Film nicht in die Liga von Coppola, Leone und Scorsese vor, dafür fehlt ihm der visionäre Blick fürs Ganze. In „Black Mass“ sind sowohl die mafiösen Strukturen als auch das Innenleben des Protagonisten nur schemenhaft zu erkennen. Wenn ehemalige Mitglieder der Winter-Hill-Gang sich redselig zeigen und Bulgers Geschichte im Verhörraum aufrollen, dann sehen wir in den dazugehörigen Rückblenden ein mit perfekter Ausstattung detailgetreu rekonstruiertes Unterweltmilieu, aber wie und womit Bulger und seine Organisation tatsächlich ihr Geld verdienen bleibt eher vage, genauso wie der innere Antrieb des Protagonisten, der nicht wirklich greifbar wird. Letztlich überzeugt Coopers Film mehr mit den konsequent düster-verwaschenen Grautönen von Kameramann Masanobu Takayanagi („Silver Linings“, „The Grey“) als mit erzählerischer Raffinesse.

    Johnny Depp verzichtet nach seinem Flop-Trio „Mortdecai“, „Transcendence“ und „Lone Ranger“ endlich wieder einmal auf seine „Fluch der Karibik“-Manierismen, die sich im Laufe der Jahre verselbstständigt haben. Mit aufgeklebter Halbglatze und stechend blauen Augen verleiht er James „Whitey“ Bulger, der auch Jack Nicholsons Figur in Martin Scorseses „The Departed“ als loses Vorbild diente, eine psychopathische, eiskalte Gefährlichkeit, ohne ihn zum typischen Film-Gangsterboss zu machen. Sein Bulger ist eher so etwas wie ein extrem skrupelloser Geschäftsmann. Joel Edgerton („Der große Gatsby“, „Warrior“) als jovialer FBI-Agent Connolly ist der Gegenpol zum unnahbaren Verbrecher. Er laviert sich sehenden Auges in immer größere Schwierigkeiten und sorgt in dem sonst recht unterkühlten Film für ein wenig Emotionalität. Sprengkraft steckt auch in der Rolle von Benedict Cumberbatch („The Imitation Game“, „Der Hobbit: Smaugs Einöde), der sich als Whiteys jüngerer Bruder Billy allerdings eher im Hintergrund hält. Auch er steht als demokratischer Senator von Massachusetts auf der anderen Seite des Gesetzes, dieser Konflikt wird nur ansatzweise ausgelotet, aber sie verleiht den gemeinsamen Szenen der Brüder eine reizvolle Doppelbödigkeit. Frauen wiederum bekommen in dieser Männerwelt keine größere Beachtung, trotz guter Darstellerinnen wie Julianne Nicholson, die als Connollys Frau Marianne noch am meisten zu tun bekommt.

    Fazit: Scott Cooper erweist sich einmal mehr als hervorragender Schauspieler-Regisseur, aber der ganz große erzählerische Glanz fehlt auch seinem gefälligen Old-School-Gangster-Drama „Black Mass“.

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