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    Perfect Sense
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Perfect Sense
    Von Björn Helbig

    Wer schon einmal unter einer heftigen Erkältung gelitten hat, weiß wie es ist, wenn man sich auf seinen Geruchssinn nicht mehr verlassen kann – alles schmeckt fad, die Welt scheint an Farbe zu verlieren. In David MacKenzies sechstem Langfilm „Perfect Sense" verlieren die Menschen allerdings nicht nur ihren Geschmack, sondern büßen nach und nach auch alle anderen Sinne ein. Auf den ersten Blick scheint der Titel für einen Film über eine Epidemie, die den Menschen die Sinne raubt, wahlweise besonders unpassend oder ausgesprochen schwarzhumorig. Warum „Perfect Sense" Mackenzies romantisches Drama dennoch wunderbar zusammenfasst, klärt sich in der letzten Einstellung. Sein Film beschäftigt sich nämlich nur vordergründig mit der geheimnisvollen Krankheit und ihren Konsequenzen.

    Die Epidemiologin Susan (Eva Green) wird zu einem seltsamen Fall hinzugezogen: Ein LKW-Fahrer leidet an unkontrollierbaren Gefühlsausbrüchen und verliert kurz darauf seinen Geruchssinn. Es folgen mehrere derartige Fälle, die Susan und ihre Kollegen vor Rätsel stellen. Weltweit häufen sich plötzlich Vorkommnisse, bei denen Menschen – nach einer Welle großer Traurigkeit – plötzlich die Fähigkeit zu riechen einbüßen. Doch das ist nur die erste Phase einer noch nie dagewesenen Epidemie, die die Welt verändern wird. In dieser Zeit begegnet Susan dem Koch Michael (Ewan McGregor). Nach anfänglicher Zurückhaltung lässt sie sich auf eine Beziehung mit ihm ein. Aber die Uhr tickt, denn durch die geheimnisvolle Krankheit durchläuft die Welt eine rasante Veränderung...

    Wie macht man einen Film über Menschen, die nach und nach ihre Sinne verlieren? Kino ist ein audiovisuelles Medium, die Tast-, Riech-, und Geschmackserfahrungen der Filmfiguren bleiben – auch, wenn immer wieder ohne nennenswerten Effekt mit Geruchskarten für sogenannte 4D-Vorstellungen experimentiert wird – unvermittelbar. Doch Mackenzie („Young Adam", „Stellas Versuchung", „Hallam Foe") findet Mittel und Wege und kreiert eindrucksvolle Szenen, die dem Publikum den Verlust der Sinneswahrnehmung zumindest näherungsweise vermitteln. Dabei geht er sowohl formal als auch inhaltlich ganz andere Wege als beispielsweise Fernando Meirelles mit der „Die Stadt der Blinden" – und mit Filmen wie dem Folterfilm „Senseless" von Simon Hynd oder der gleichnamigen Komödie von Penelope Spheeris hat er schon gar nichts zu tun.

    Interessierte Meirelles vor allem der Zerfall der Gesellschaft und gab er sich besondere Mühe, für das Erblinden der Menschen eine visuell adäquate Form zu finden, schenkt Mackenzie beiden Aspekten verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit. Den Schotten interessiert nicht so sehr, was durch das Verschwinden der Sinne verloren geht – sondern was bleibt. Das Drehbuch stammt von dem hierzulande noch wenig bekannten Kim Fupz Aakeson Aakeson, der auch das Skript für „Ein Mann von Welt" und die Vorlage für „Eine Familie" geschrieben hat. Präzise werden die verschiedenen Stadien der Krankheit in ihrer Bedeutung für den Menschen aufgezeigt. Mackenzie inszeniert die Geschichte mit der für ihn typischen kühlen Distanz. Er wollte es seinem Publikum noch nie besonders leicht machen, es mithilfe von Identifikationsfiguren durch seine – oft düsteren und mitunter traurigen – Geschichten leiten.

    Dass „Perfect Sense" trotzdem fesselt wie kein anderer Film aus dem bisherigen Schaffen des Regisseurs, liegt vor allem an den Hauptdarstellern Ewan McGregor und Eva Green. Was die beiden hier solo und im Zusammenspiel leisten, ist schlichtweg großartig. Zwar sind beide Figuren nicht unbedingt Sympathieträger, aber McGregor und Green spielen ihre Rollen so sinnlich, so aufopferungsvoll und voller Leidenschaft, dass man zugleich strahlen und weinen möchte, wenn am Ende des Films alle Rädchen ineinander greifen und sich das große Gesamtbild offenbart. „Perfect Sense" ist eine apokalyptische Love Story, wenngleich nicht die spezifische Liebe zweier Menschen im Vordergrund steht. Die beiden Protagonisten fungieren hier eher als Ideenträger in einer parabelhaften Erzählung.

    Mit „Perfect Sense" schafft David Mackenzie endlich Klarheit: Er dreht Filme über die Liebe - Liebe in all ihren Ausprägungen. Und er hat auch nie etwas anderes getan. „Perfect Sense" ist ein Versuch der filmischen Annäherung an das Fragile, das Übermächtige, das Essentielle, das wir mit dem Begriff Liebe nur andeuten können. Einer, der etwas Substanzielles zutage fördert, etwas, das noch kein anderer Filmemacher zuvor und auf diese Weise so entdeckt hat. Und so gewinnt die Welt mit der cineastischen Perspektive Mackenzies auf einmal wieder an Farbe – selbst für diejenigen, die mit einer heftigen Erkältung zu kämpfen haben!

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