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    Take This Waltz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Take This Waltz
    Von Robert Cherkowski

    Erwachsene Liebe ist Gift für die Traumfabrik. Während Glück und Unglück verliebter Teenager mit allen dazugehörigen romantischen Flausen in zahllosen Filmen ausgelotet wurden, sind Normalität und Alltäglichkeit einer längerfristigen Beziehung viel schwerer zu durchdringen. Zumindest im Hollywood-Kino ist und bleibt die weite Welt der Zwischenmenschlichkeit in großen Teilen unerforscht, fremd und mysteriös. Mit „Take this Waltz" geht die Jungregisseurin Sarah Polley das kommerzielle Risiko ein, von den Nöten, Zwängen, dem leisen Glück und den Fluchtfantasien längerfristiger Beziehungen zu berichten und sich diesen Themen so aufrichtig, ernst und auch so schonungslos wie möglich zu nähern. Mutig und nonchalant bringt die sonst eher als Schauspielerin bekannte Polley („Dawn of the Dead") hier Drama und Komödie in Einklang – dass sie dabei so konsequent sowohl auf Sentimentalitäten, als auch auf Albernheiten verzichtet, ist nur eine der vielen Qualitäten ihrer anspruchsvollen Regiearbeit.

    Seit einigen Jahren leben Margot (Michelle Williams) und Lou (Seth Rogen) in einer glücklichen Ehe, die vielleicht nicht mehr so spannend oder reich an Überraschungen ist, dafür jedoch voller Vertrauen und Geborgenheit. Doch kann das wirklich alles gewesen sein? Besonders Margot zweifelt immer wieder leise in sich hinein, ob es wirklich das Ziel ihres Lebens sein soll, „eigentlich ganz glücklich" zu sein. Auf einer Reise lernt die verhinderte Schriftstellerin den Lebenskünstler und Rikschafahrer Daniel (Luke Kirby) kennen, dem die gemütliche Solidität Lous abgeht und der Margot in romantische Wallungen versetzt. Als sich herausstellt, dass der sympathisch-verschrobene Daniel nicht nur in der gleichen Stadt, sondern direkt auf der anderen Straßenseite wohnt, sieht Margot ein, dass sich ihr Problem nicht in Wohlgefallen auflösen wird...

    Gerade für die Ausformulierung der sogenannten kleinen Geschichten zu großem Kino wird ein enormes inszenatorisches Fingerspitzengefühl gebraucht. Dass Sarah Polley darüber verfügt, hat sie bereits mit ihrem Alzheimer-Drama „An ihrer Seite" eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Obwohl „Take this Waltz" leichtfüßiger daherkommt und vordergründig als Tragikomödie beschrieben werden kann, sind die humorigen Szenen auch hier äußerst rar. Polley nimmt ihre Protagonisten dabei stets ernst, das heißt freilich nicht, dass immer nur Trauermienen gezogen werden. Regelmäßig gibt es Anlass zum Schmunzeln und auch die Darsteller sparen sich alle prätentiösen Gesten – sie treffen stets die richtigen, die leisen Töne. Schon Polleys sorgfältige und differenzierte Charakterzeichnung hebt sich spürbar vom Gros vergleichbarer Werke ab, deren Figurenarsenal allzu oft eher aus Stereotypen denn aus greifbaren Menschen besteht.

    Die Protagonisten in „Take this Waltz" wirken lebensecht, ungeschliffen, manchmal sogar ein wenig dröge, doch nie langweilig. Seth Rogen, der schon in Judd-Apatow-Produktionen wie „Beim ersten Mal" als groß gewordener Jugendlicher mit der Herausforderung der Normalität zu ringen hatte, verzichtet auf seine Comedy-Manierismen und glänzt in der Rolle des gemütlichen Typs, der zwar nicht mehr irre spannend sein mag, seiner Partnerin jedoch Halt und Zuversicht gibt. Anderswo wäre sein Lou wohl als langweiliger Klotz am Bein angelegt gewesen – hier ist er eine facettenreiche Persönlichkeit, durch die Margots Konflikt Gewicht und Fallhöhe erhält. Daniel dagegen ist wiederum keineswegs ein Märchenprinz in glänzender Rüstung. Vielmehr ist er verunsichert, ob und was er von Margot eigentlich will. Luke Kirby („(K)Ein bisschen schwanger") gibt ihn als stillen Schwärmer, der nach einem ersten forschen Auftritt durchaus sensible Seiten offenbart.

    Schnell wird verständlich, warum Margot ausgerechnet für Daniel ihr solides Glück aufs Spiel setzen könnte. Dafür sorgt freilich auch Michelle Williams, die eben noch als aparte Sexbombe Marilyn Monroe in „My Week with Marilyn" begeisterte und nun eine schauspielerische 180-Grad-Wendung vollführt. Ihre Margot ist flapsig, verschüchtert, immer ein wenig neben der Spur und selten wirklich Herrin der Situation – kurz: eine angenehm normale Person. Polley widersteht dabei sämtlichen Verlockungen eines schnellen Lachers oder emotionaler Achterbahnfahrten samt tränenreichen Zusammenbrüchen. So ist dann auch diese neue Liebelei kein Rausch polygamer Gelüste, sondern ein stilles, manchmal verstocktes, gegenseitiges Umkreisen und Abtasten.

    Das Ideal einer Liebe auf den ersten Blick wird auf den Prüfstand gestellt und der Liebe der vielen Blicke gegenübergestellt. Hier wird niemandem der Schwarze Peter zugeschoben, stattdessen werden schwierige Fragen aufgeworfen. Dass „Take this Waltz" so integer wirkt, ist nicht zuletzt auch Polleys Kameramann zu verdanken. Luc Montpellier hüllt das Drama in warme Farben, ohne jemals auf bedeutungsschwangere Bilder abzuzielen. Nicht selten wirken die in jeder Hinsicht stilsicher gestalteten Szenen wie schmerzhaft-schöne Erinnerungen. Angesichts solcher Qualitäten ist es nur eine Randnotiz, dass sich Polley mit zwei Stunden recht viel Zeit für eine eigentlich sehr überschaubare Geschichte lässt und dass der indielastige Soundtrack ein wenig zu selbstreferenziell melancholisch klingt.

    Fazit: Ein kluges Drehbuch, eine formschöne Inszenierung und ein überaus fähiges Darstellerensemble: Sarah Polleys „Take this Waltz" ist einer der stärksten Liebesfilme seit langer Zeit – bei diesem liebenswerten Kino-Kleinod stimmt fast alles.

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