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    A Serbian Film
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    A Serbian Film
    Von Jan Hamm

    Im Februar 2011 veröffentlichte die Bostoner Time Out eine Rangliste der 50 wildesten Filmkontroversen seit der Geburt des Kinos. Dass Srdjan Spasojevics Psychothriller „A Serbian Film" nicht auf dieser Liste zu finden ist, lässt sich leicht erklären: Der Film ist bislang nur auf Festivals gelaufen, eine breite Debatte konnte deshalb noch nicht stattfinden. Aber das wird sie, sollte „A Serbian Film" je einen Weg ins Licht der Öffentlichkeit finden. Mit der Erzählung über einen Ex-Porno-Star, der unter den Einflüsterungen eines diabolischen Produzenten zum Schlächter degeneriert, hat Debütregisseur Spasojevic den wahren Erben von Pier Paolo Pasolinis Skandalfilm „Die 120 Tage von Sodom" geschaffen - einen Horrorfilm, der so atemberaubend brutal ist, dass man ihn unmöglich empfehlen kann; ebenso aber einen Politfilm, dessen direkter Bezug zum Genozid-Trauma der blutjungen Republika Srpska zu keinem Zeitpunkt eine Frage der Interpretation ist. Ob Spasojevics herzzerreißender Klagegesang durch den Orkan der Gewalt auch beim unvorbereiteten DVD-Publikum ankommt, muss die Zeit zeigen. Eines hingegen steht fest: „A Serbian Film" ist ein unvergesslicher Albtraum.

    Der serbische Ex-Pornostar Milos (mitreißend: Srdan Todorovic) ist fast im Ruhestand angekommen. Nur gelegentlich greift zu seinen letzten Filmen aus dem Schrank und ergibt sich dem Whisky. Und dann sind da noch zwei Unannehmlichkeiten: sein Bruder Marko (Slobodan Bestic), ein korrupter Cop, der ihm die Familie neidet; und eine leere Haushaltskasse, die sich aber durchaus wieder füllen ließe. Milos' ehemalige Co-Aktrice Lejla (Katarina Zutic) vermittelt den abgebrannten Familienvater an den mysteriösen Vukmir (Sergej Trifunovic), einen selbsternannten Kunstproduzenten. Hypnotisiert von seiner enormen Gage kehrt Milos zurück ans Werk. Als die Dreharbeiten immer gewalttätiger werden, will er aussteigen. Doch als Vukmir seinen Monolog zum nationalen Befinden und zur Ästhetik der Marter beendet hat, ist es bereits zu spät. Tage später erwacht Milos in seinem Bett. Sein Gedächtnisverlust wird nicht von langer Dauer sein...

    In Australien wurde „A Serbian Film" mit einer sogenannten Refused Classification belegt – das kommt einem Bann gleich. Auch die Vorführung auf dem Londoner Horror-Event FrightFest 2010 wurde durch einen staatlichen Eingriff verhindert. Das benachbarte Raindance projizierte den Film zwar, musste die Veranstaltung aber zuvor als Privatvorführung deklarieren. Auf US-Screenings wurden explizite Vorwarnungen ausgesprochen. Und nur mit einer Kürzung von weit über vier Minuten konnte „A Serbian Film" einen internationalen DVD-Start ergattern. Ja, die Frage ist gestattet: Wie schrecklich kann der Film schon sein, jetzt, nachdem der US-Torture-Porn und die französische Nouvelle Vague des Horrors („Martyrs", „Inside (A l'intérieur)", „High Tension") durch sind? Jetzt, da wir vermeintlich alles gesehen haben? Hätten wir doch besser nicht gefragt!

    Regisseur und Co-Autor Srdjan Spasojevic hat sich den Vorwürfen selbstzweckhafter Gewaltdarstellung auf dem SXSW-Festival in Austin gestellt: „Das ist ein Tagebuch zum Missbrauch, den wir in Serbien durch unsere Regierung erlitten haben. Es geht um die monolithische Kraft der Führer und ihre hypnotisierten Erfüllungsgehilfen. Wer nicht hinschaut, kann diese Brutalität nicht ansatzweise verstehen." Spasojevic wäre bei weitem nicht der Erste, der voyeuristische Exzesse mit ergiebiger Auseinandersetzung verwechselt. Doch der Serbe spielt in einer anderen Liga. „A Serbian Film" erschöpft sich niemals in der bloßen Feststellung, dass Menschen zu Grausamkeiten fähig sind. Über die Parabel vom Handlanger wider Willen und seinem mephistophelischen Verführer, dessen Ähnlichkeit mit Robert De Niros Louis Cyphre aus „Angel Heart" nicht bloß optischer Natur ist, skizziert Spasojevic die Mechanik von Verheißung und Vereinnahmung.

    Verheißung, das bedeutet hier Absicherung des Lebensstandards. Das Ersparte geht zur Neige, Milos' kleiner Familie droht der Abstieg und der sexuelle Spott seiner Ex-Kollegin Lejla will einfach nicht verhallen - soziale Angst, Impotenz, Scham; das sind Emotionen, die Vukmir leicht ausnutzen kann, um Milos zum Teufelspakt zu bewegen. Der ist dabei eigentlich kein Unmensch und erst recht kein Ideologe. Im Gegenteil: Milos hat sich den zweifelhaften Ruf als einzig wahrer Frauenversteher seiner Zunft erarbeitet. Daran knüpft Vukmir mit giftiger Bewunderung an: Jemanden zu erniedrigen, um ihn dann spielend zurückzugewinnen, das sei wahre Kunst – und Serbien das falsche Land dafür. Spasojevics Dialoge sind reich an Verweisen auf die Leidensgeschichte der Region, bis hin zur subversiven Verbannung von Den Haag in einen Nebensatz.

    Vukmir, dessen eigene Vorgeschichte als Staatsdiener im unmittelbaren Bezug zum Milosevic-Regime steht, bewirbt seine Snuff-Produktion, qualitätsbewusst mit bester SONY-Technologie aufgenommen, als wirtschaftliches Rückgrat eines kranken Landes. Seine ausländischen Kunden wissen, was sie wollen; seine Opfer sind Frauen, deren Marter mit sexistischer Fiktion gerechtfertigt wird: Sie seien Huren und hätten ihre heldenhaften Männer an der Front betrogen. Auch unabhängig von Vukmirs Industrie der Entwürdigung hat Spasojevics Abrechnung mit sexueller Ausbeutung scharfe Konturen. Komplimente gegenüber Frauen gehen hier direkt an unsichtbare Schönheitschirurgen. Dass die weiblichen Darsteller durchweg Modelmaße haben, ist Spasojevics vielleicht subtilste Pointe. Deswegen funktioniert der Film: Diese Details gehen nicht einmal dann unter, wenn der zornige Regisseur mit dem letzten Akt der Tragödie zum ohrenbetäubenden Artillerie-Beschuss auf die Seelen seines Publikums anlegt. „A Serbian Film" ist furchtloses Kino – ganz und gar unzumutbar, relevant und nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

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