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    Happy People: Ein Jahr in der Taiga
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Happy People: Ein Jahr in der Taiga
    Von Jan Hamm

    Lange Jahre schien das internationale Interesse an der deutschen Autorenfilmerlegende Werner Herzog erloschen zu sein. Nach „Lektionen in Finsternis", seinem Doku-Essay über die brennenden Ölfelder von Kuwait, war es 1992 zum letzten großen Zusammenprall zwischen Herzog und einer aggressiv politisch ausgerichteten Kritik gekommen; sein Werk der Neunziger und frühen Nullerjahre blieb danach weitgehend unbeachtet. Mit der gefeierten Kino-Dokumentation „Grizzly Man" über den Filmemacher und selbsternannten Bären-Patron Timothy Treadwell, der zum tragischen Opfer seiner Schützlinge wurde, kehrte Herzog schließlich 2005 ins Rampenlicht zurück. Nach einer Oscar-Nominierung für den Besten Dokumentarfilm („Begegnungen am Ende der Welt", 2008), dem Jury-Vorsitz bei der Berlinale 2010 und zahlreichen Retrospektiven darf Herzog endlich als wiederentdeckt gelten. Mit „Happy People – A Year In The Taiga" präsentiert der Exil-Bayer nun einen Gegenentwurf zum Comeback-Film „Grizzly Man": Einmal mehr greift er die Bilder eines anderen Filmemachers auf, hier die des russischen Regisseurs Dmitry Vasyukov. Und einmal mehr spielt das Zusammenleben von Menschen und wilden Tieren eine zentrale Rolle – der naiv-verträumten Aussteiger-Perspektive Treadwells steht nun der Pragmatismus sibirischer Trapper entgegen.

    Für seine über vier Stunden lange TV-Dokumentation „Happy People" hat Vasyukov die Bewohner des Dörfchens Bakhta durch ihren Alltag in der sibirischen Taiga begleitet. Während Herzog in „Grizzly Man" noch selbst als Protagonist auftrat und den Weg Treadwells nachvollzog, verlässt er sich hier ganz auf fremdes Material. Mit seinem Stamm-Cutter Joe Bini kürzte er Vasyukovs Doku-Epos auf 90 Minuten, dazu schrieb er mit seinem Sohn Rudolph einen Text, den er in bewährter und unverwechselbarer Weise selbst aus dem Off eingesprochen hat. Herausgekommen ist ein neuer Film mit dem Untertitel „A Year In The Taiga". Ein Jahr in der Taiga – damit ist eine klare Erzählstruktur vorgegeben. Vom Frühling ausgehend kommentiert Herzog Vasyukovs Bilder und die Herausforderungen, denen sich die Bakhtaner im Verlauf der vier Jahreszeiten stellen müssen. Gleich zu Beginn wird ersichtlich, was den Autorenfilmer am Stoff seines russischen Kollegen gereizt hat: Im Winter ist der monströse Fluss Yenisei, an dessen Ufer Bakhta erbaut wurde, zugefroren und passierbar – mit steigenden Temperaturen aber zersplittert die Eiswüste und wälzt sich wie ein Gletscher den Flusslauf hinab.

    Hier ist „Happy People – A Year In The Taiga" ganz Herzogs Film; ein magischer Bilderbogen einer nicht bloß erwachten, sondern in Ekstase versunkenen Landschaft. Auch für Herzogs trockenen Humor bietet Vasyukovs Material Spielräume: Im Sommer legt das Schiff eines russischen Politikers am Ufer des Yenisei an. Von dessen Wahlkampfversprechen zeigt sich die Dorfbevölkerung jedoch so unbeeindruckt, dass er kurzerhand ein traditionelles Ständchen schmettert und Wodka ausschenkt – was die Bakhtaner gleich noch befremdeter und belustigter dreinblicken lässt. In Vasyukovs Gesprächen mit den Trappern findet Herzog schließlich eine Antithese zum entrückten Naturverständnis des „Grizzly Man" Treadwell, der die Bären Alaskas so manisch vermenschlichte, bis ihn dieser Irrtum das Leben kostete. Die sympathischen Vollbartträger Bakhtas wissen um die Undurchschaubarkeit ihrer wilden Nachbarn; einer erzählt dann auch nachdenklich von einer Begegnung mit einem hungrigen Bären, bei der sein Hund getötet wurde und er selbst nur um Haaresbreite überlebte.

    Dann wieder gibt es lange Passagen, in denen Herzog sich ganz zurückhält und Vasyukovs Material für sich sprechen lässt. In wunderschönen Sequenzen wird die Herstellung von Kanus und Skiern gezeigt und die Trapper werden auf ihren einsamen Reisen zu Jagdhütten und Fallen begleitet. Vasyukov zeigt ein Leben fernab der Zivilisation, das abgesehen von Kettensägen und Schneemobilen ganz ohne Technik funktioniert. Ja, diese Menschen sind frei und scheinen dabei tatsächlich so glücklich zu sein wie es der Filmtitel behauptet. Nein, romantisiert wird der harte Alltag in der Taiga von Herzog und Vasyukov damit noch lange nicht – obgleich die schwelgerischen Folklore-Klänge des Hollywood-Komponisten Klaus Badelt („Rescue Dawn") leider doch phasenweise eine Spur von Ethno-Kitsch in den sonst so fein ausbalancierten Film bringen.

    Fazit: „Happy People – A Year In The Taiga" ist nicht nur für die Fans der Regielegende Werner Herzog sehenswert – vielmehr finden sich hier die Talente zweier ganz unterschiedlicher Filmemacher kombiniert, die mit einem starken Dokumentarfilm sensibel, aber nicht sentimental vom Leben am äußersten Rand der Zivilisation erzählen.

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