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    The Man from Nowhere
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Man from Nowhere
    Von Robert Cherkowski

    Das Kinoland Südkorea ist auf dem Vormarsch. Im Monatstakt erscheinen dort gefühlt zahllose packende Generefilme, die nicht nur mit scheppernden Actionszenen aufwarten, sondern auch noch von vorbildlich-dramaturgischem Aufbau, erlesener Bildsprache und inszenatorischem Einfallsreichtum geprägt und durchsetzt sind. Die zahlreichen Vertreter des grimmigen Spannungskinos made in South Korea glänzen in Form und Inhalt und unterschreiten so gut wie nie ein gewisses Niveau. Seit dem Erfolg von Chan-Wook Parks Rache-Trilogie („Sympathy For Mr. Vengeance", „Oldboy", „Lady Vengeance") ist das Feld dicht mit hochprofessionellen Genre-Filmemachern besetzt, zu dicht für ein westliches Publikum, das da schonmal den Überblick verlieren kann. So wird jeder Stoff, der irgendetwas mit Rache-Themen zu schaffen hat, von findigen DVD-Verleihern zum neuen „Oldboy" hochgejazzt; dabei trifft dieser Vergleich überhaupt nur selten zu. Derweil gewöhnt sich das Publikum an die hohen Standards des südkoreanischen Kinos – selten gelingt es den Regisseuren da noch, in der Masse an starken Genre-Produktionen aufzutrumpfen und eine eigene, unverwechselbare Bildsprache zu etablieren. Mit seinem furios inszenierten Actiondrama „The Man from Nowhere" nimmt Lee Jeong-beom die Herausforderung an.

    Vor Jahren war Cha Tae-sik (Won Bin) einer der fähigsten Agenten im südkoreanischen Geheimdienst. Als jedoch seine schwangere Frau bei einem Anschlag, der eigentlich ihm galt, ihre Leben verlor, zog er sich verbittert und desillusioniert aus dem Agentengeschäft zurück. Jetzt fristet er sein vereinsamtes Dasein als Pfandleiher. Annäherungsversuche von allen Seiten werden ebenso wortkarg wie bestimmt abgeschmettert. Einzig die neunjährige So-Mi (Sae-Ron Kim), deren Mutter in einem kriminellen Teufelskreis gefangen ist, dringt zu ihm durch. Als So-Mi und ihre Mutter eines Tages ins Visier raffgieriger Drogenhändler geraten, eilt Tae-sik zur Hilfe und vertrimmt die kriminellen Schergen nach allen Regeln der Agentenkunst. Mit seinem Eingreifen jedoch hat er in ein Wespennest gestochen, das nun auf ihn und seine kleine Welt aufmerksam wird. Neben den Kleinganoven tritt nun nämlich auch eine gnadenlose Organhandelmafia auf den Plan, die So-Mi entführt und ihre Mutter ermordet. Was zuviel ist, ist zuviel – Tae-Sik legt den Rächer-Gang ein und zieht auf der Suche nach So-Mi eine Blutspur durch die Unterwelt...

    Mit den Meistern des koreanischen Gegenwartskinos kann Regisseur Lee Jeong-beom (noch) nicht mithalten. Es fehlt der überbordende Gestaltungswille eines Chan-Wook Park („Durst"), die erzählerische Finesse Bong Joon-hos („Memories Of Murder", „Mother") oder die wilde stilistische Entschlossenheit eines Kim Jee-woon („I Saw the Devil", „Bittersweet Life"). Ein Bilderstürmer für die A-Festivals wird er so schnell nicht werden. Das dürfte er jedoch verkraften, schließlich ist ihm mit seiner zweiten Regiearbeit nach dem Gangsterdrama „Cruel Winter Blues" der größte inländische Hit 2010 gelungen. „The Man From Nowhere" ist auf Hochglanz gestyltes populäres Blockbusterkino, das nicht vor offener Manipulation des Publikums zurückschreckt. Schutzbedürftige kleine Mädchen mit waidwunden Kulleraugen ziehen einfach immer, ebenso wie ein gutaussehender, athletischer Hauptdarsteller. Die Zutaten mögen altbekannt sein. Wenn sie aber zu einem so schmackhaften Mahl führen, vergisst man gerne, wie abgedroschen das Rezept ist.

    Die Action ist das große Plus, mit dem Lee und sein Stab hier auftrumpfen, unterstreicht sie doch ein weiteres Mal den Status Südkoreas als derzeitige Hochburg filmischer Urkraft und als legitimer Erbe des 80er-Hong-Kong-Kinos: die gleiche Energie, die gleiche Dynamik, die gleiche Bereitschaft zum Pathos, doch zu jedem Zeitpunkt einer eigenen Filmsprache verpflichtet. Die enorme Wucht, kompromisslose Härte und grazile Schönheit mit der hier hier per Schusswaffe, scharfer Klinge oder geballter Faust zu Werke gegangen wird, verweist nicht nur das stagnierende und auf Effekt- und Schnittgewitter heruntergekommene US-Kino auf seine Plätze.

    Auch darf Lee Jeong-beoms Skript nicht unerwähnt bleiben. Eine neue Geschichte erzählt er nicht, wohl aber baut er gekonnt Spannung auf, gestaltet wahrlich abstoßende Antagonisten und beschwört großes Drama herauf, das sich in kathartischen Actionszenen entlädt. Sei es mit wüsten Keilereien auf einer Club-Toilette, rasanten Verfolgungsjagden zu Fuß, abrupt ausbrechenden Shoot-Outs oder einem Showdown, der zügellos wirkt und doch mit höchster inszenatorischer Konzentration glänzt: Via „The Man From Nowhere" hat sich Lee Jeong-beom quasi aus dem Stand einen Logenplatz im Action-Pantheon gesichert. Nach zwei Stunden Kino auf und über der südkoreanischen Höhe der Zeit herrschen wohlige Erschöpfung und Freude vor; vor allem darüber, wie populäres Actionkino heute aussehen kann, wenn es von seinen Machern ernst genommen und aufrichtig geliebt wird.

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