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    Southpaw
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Southpaw
    Von Carsten Baumgardt

    Unangenehm zu boxen sind sie, die Rechtsausleger (rechte Führhand, linke Schlaghand), in früheren Zeiten wurden sie in der Szene als defensiv blockende „Stinker“ diskriminiert, was den großen Jake LaMotta (der in Martin Scorseses Meisterwerk „Wie ein wilder Stier“ porträtiert wurde) als Linkshänder dazu trieb, entgegen aller körperlichen Logik in der mehrheitlich üblichen Linksauslage zu kämpfen. Ein solcher verhinderter Rechtsausleger (englisch: Southpaw) ist auch der von Jake Gyllenhaal gespielte Billy Hope in Antoine Fuquas „Southpaw“: ein Außenseiter, der von ganz unten kommt, zum Gipfel aufsteigt, fällt und wieder aufsteht! Das energiegeladene Boxer-Melodram strotzt nur so vor Kraft und ist dabei trotz zahlreicher Klischees auch immer wieder berührend.

    Der New Yorker Boxer Billy Hope (Jake Gyllenhaal) verbrachte seine schwere Jugend im Waisenhaus. Inzwischen hat sich das Blatt für ihn und seine Frau Maureen (Rachel McAdams), die ebenfalls im Heim aufgewachsen ist, jedoch längst gewendet: Billy verteidigt gerade zum vierten Mal den Weltmeistertitel im Halbschwergewicht, die zehnjährige Tochter Leila (Oona Laurence) ist ein Goldstück, das Riesenhaus eine Pracht und Geld bis zum Abwinken da… alles könnte perfekt sein. Doch Maureen hat Angst um ihren Mann, der mehr und mehr harte Schläge einstecken muss. Sie verordnet ihm gegen den Willen seines Managers Jordan Mains (Curtis „50 Cent“ Jackson) eine einjährige Kampfpause und lässt ein 30-Millionen-Dollar-Angebot sausen. Als Maureen bei einem tragischen Zwischenfall in einem Handgemenge erschossen wird, stürzt für Billy die Welt ein. Er fällt ins Bodenlose, verliert seinen Titel, sein Geld und nach diversen Drogeneskapaden auch seine Tochter…

    Die Story klingt, als hätte Drehbuchautor Kurt Sutter (Schöpfer von „Sons Of Anarchy“) jedes Klischee verwendet, das ihm nach gründlicher Überlegung eingefallen ist: Da gibt es den plötzlich versiegenden Reichtum eines sozialen Emporkömmlings (wobei nicht ganz klar wird, wie der Multimillionär plötzlich zum Sozialfall mutiert), die Gier der Geschäftemacher und die unerwartete familiäre Tragödie, die alles auf den Kopf stellt; dazu kommen Holzschnitt-Figuren wie der knorrige, altersweise Trainerfuchs (Forest Whitaker), der großmäulige Herausforderer (Miguel Gomez), die warmherzige Sozialarbeiterin (Naomie Harris) und viele mehr. Aber auch wenn die Anzahl der Stereotypen hier überdurchschnittlich hoch ausfällt, wirken sie sich nicht allzu nachteilig auf die Überzeugungskraft der Erzählung aus. Das ist in erster Linie Jake Gyllenhaal („Nightcrawler“, „Zodiac“) zu verdanken, der sich über die Jahre zu einem großartigen Schauspieler entwickelt hat. Er stürzt sich mit vollem Engagement in seine Rolle und ist dabei auch als muskelbepackter Athlet glaubwürdig. Er spielt den zu Beginn in mehr als 40 Kämpfen unbesiegten Box-Weltmeister als rauen, aber im Herzen guten Gossenjungen, der seine Herkunft nicht verleugnen und seine herben Manieren nie ganz ablegen kann.

    Gyllenhaal reißt den Film förmlich an sich und macht aus einer Allerweltsfigur ein faszinierendes Wesen mit Herz und Seele, dabei war er gar nicht die erste Wahl für die Rolle. Ursprünglich hat Drehbuchautor Sutter „Southpaw“ nämlich für Rapper Eminem geschrieben, nachdem dieser ihn in seiner bisher einzigen Hauptrolle in Curtis Hansons „8 Mile“ (2002) stark beeindruckt hatte. Doch letztlich kam es nach diversen Terminproblemen nicht zu einem Engagement des Musikers, der dem Projekt aber verbunden blieb und den Song „Phenomenal“ beisteuerte (der auch im Trailer zu hören ist). Mit Gyllenhaal wurde schließlich mehr als gleichwertiger Ersatz gefunden. An seiner Seite überzeugt auch Rachel McAdams („Alles eine Frage der Zeit“, „Midnight In Paris“), die als Billys Ehefrau eine ähnlich vermurkste Jugend hinter sich hat wie er. Gemeinsam zeichnen sie das reizvolle Porträt einer Kleinfamilie: Er ist das Aufsteiger-Arbeitstier, das die Ernte einfährt, während sie im anrüchigen „Pretty Woman“-Gedächtnislook als bauernschlau-kompromisslose Macherin mit dem Argwohn der in ärmlichen Verhältnissen Aufgewachsenen über den neugewonnenen Luxus wacht, in dem das Ehepaar ein gut behütetes und verwöhntes Kind aufzieht.

    Atmosphärisch besonders interessant ist das erste Drittel des Films, in dem Regisseur Antoine Fuqua („Training Day“, „The Equalizer“) die Konstellation etabliert und zeigt, wieviel Billy Hope (der buchstäblich hoffnungsvolle Nachname gehört zu den Überdeutlichkeiten dieses mit groben Pinselstrichen erzählten Melodrams) körperlich und seelisch einsetzen muss, um die Millionen-Maschinerie, die von dem Faustkämpfer abhängig ist, am Laufen zu halten. Dabei besitzt der Film auch außerhalb des Boxrings, wo der Schwerpunkt der Geschichte liegt, eine mitreißende Energie. In den Kampfszenen selbst setzt Fuqua auf maximale Dynamik, sehr viel Blut (ja, Boxen ist tatsächlich eine brutale Sportart) und noch mehr Schweiß. Im Verlauf des Films gibt es vier Kämpfe, die Fuqua mit schnellen Schnitten und einer enormen Wucht serviert. Erzählerisch handelt er sie allerdings eher im Nachrichtenstil ab, ohne daraus etwas Episches zu machen wie zum Beispiel in den „Rocky“-Filmen, wo sich im Ringviereck ganze Dramen abspielen.

    Fazit: Im Boxring nichts Neues! Und trotzdem ist Antoine Fuquas enorm kraftvolles Sportler-Drama „Southpaw“ ein guter Film mit hohem Unterhaltungswert.

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