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    Der Mohnblumenberg
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Mohnblumenberg
    Von Ulf Lepelmeier

    Auf dem Filmfestival von Venedig 2013 gab Regielegende Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“, „Prinzessin Mononoke“) bekannt, dass es sich bei seinem jüngsten Film „The Wind Rises“ um seine letzte Regiearbeit handeln wird. Seinem Sohn Goro Miyazaki obliegt es nun, in die übergroßen Fußstapfen seines Vaters zu  treten. Ob ihm diese, fast schon unmögliche Nachfolge gelingen kann, wird die Zukunft offenbaren. Nach seinem optisch beeindruckenden, aber etwas zu überladen und gehetzt wirkenden Debütfilm „Die Chroniken von Erdsee“, ist Goro Miyazakis zweiter Versuch das Erbe seines Vaters anzutreten weitaus ruhiger und beschaulicher geraten. Basierend auf einem Drehbuch seines Vaters erweist sich „Der Mohnblumenberg“ so als liebeswerter Animationsfilm um Familiensinn und Einsatzbereitschaft – von der Klasse seines alten Herren ist Goro Miyazaki aber noch ein gutes Stück entfernt.

    Yokohama, 1963: Die 16-jährige Umi Matsuzuka ist ein verantwortungsbewusstes Mädchen, das sich so sehr nach ihrem im Koreakrieg gefallen Vater sehnt, dass sie tagtäglich eine Signalflagge zum Gedenken an ihn hisst. Da ihre Mutter als Ärztin oft unterwegs ist und zur Zeit in Amerika weilt, lebt Umi im großen Haus ihrer Großmutter und bekocht ihre Familie sowie die Untermieter. In ihrer Schule trifft sie auf den mutigen Shun Kazama, der sich für den Erhalt des heruntergekommenen "Quartier Latin"-Clubhauses der Schülerschaft einsetzt. Beim gemeinsamen Engagement gegen den Abriss kommen sich die beiden aufgeweckten Jugendlichen näher. Doch als Shun bei Umi ein Foto sieht, dass ihren Vater zeigt, verhält er sich ihr gegenüber merkwürdig und scheint auf Distanz gehen zu wollen.

    Basierend auf dem gleichnamigen Shojo-Manga von Tetsuro Sayama und Chizuru Takahashi lässt Regisseur Goro Miyazaki mit – wie man es von der Ghibli-Schmiede kennt - tadellosen Animationen ein nostalgisches Bild Japans kurz vor Ausrichtung der Olympischen Spiele in Tokio 1964 entstehen. Besonders die detailreichen Hintergründe erzeugen viel nostalgisches Flair und fangen in liebevollen Details die Anfang der 60er Jahre herrschende Aufbruchstimmung Japans gelungen ein. Ähnlich altmodisch bzw. traditionell entwickeln sich auch die beiden parallel ablaufenden Geschichten, die sich zum eine um die zarte erste Liebe drehen, zum anderen um die Rettung des Clubhauses. Das gemächliche Tempo nutzt Miyazaki, um sich viel Zeit für die Darstellung alltäglicher Aufgaben und Rituale zwischen Schulbesuchen und Haushaltstätigkeiten zu nehmen. Mit feinfühliger Hand inszeniert er die zarten Liebesbande, die sich zwischen Umi und Shun entwickeln, und ihren Umgang mit dem großen Hindernis, das sich ihrem Glück in den Weg stellt. Die verschlungene Vergangenheit der Figuren steht dabei stellvertretend für die Nachkriegsgeneration Japans, die noch dabei ist sich vom Trauma des Kriegs zu befreien, aber noch viel aufzuarbeiten hat.

    Dass auf mystisch-magische Elemente komplett verzichtet wurde und stattdessen ein realistischer Ansatz gewählt wurde, weckt Erinnerungen an Studio Ghibli-Produktionen wie „Stimme des Herzens – Whisper Of The Heart“ oder „Tränen der Erinnerung - Only Yesterday“. Wenn Umi mit ihrer kleinen Schwester das erste Mal das heruntergekommene, verwinkelte Clubhaus mit seiner eigenwilligen Atmosphäre und den vielen unterschiedlichen Clubs und deren sonderbaren Mitgliedern erkundet, entfaltet sich hier trotzdem immer wieder jene Magie, die die Werke von Hayo Miyazaki ausgezeichnet haben. Auch eines der zentralen Motive im Werk des Seniors findet sich beim Filius wieder: der Versuch, die Zeugnisse der Vergangenheit trotz rapiden Wandels zu bewahren und die eigene Identität nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dieses Anliegen, Zukunftsvisionen und Vergangenheitsbewusstsein möglichst in Einklang zu bringen, vertreten nun auch die hoch engagierten Schüler, die den Abriss des traditionsreichen Schulclubhauses zu verhindern versuchen. So gliedert sich der Film in den Kanon des Animationsstudios Ghibli ein, auf dem Weg zu einer eigenen Handschrift ist Goyo Miyazaki mit „Der Mohnblumenberg“ aber nicht weitergekommen – zumal er es mit seiner gemächlich entwickelten Geschichte nie schafft, den Zuschauer vollends zu packen.

    Fazit: Auch wenn beim betulichen Dahintreiben der Handlung von „Der Mohnblumenberg“ der letzte sprühende Funken fehlt, der für große Begeisterung sorgt, gelingt Goro Miyazaki ein überzeugender, sympathischer Film.

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