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    Mademoiselle Populaire
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mademoiselle Populaire
    Von Andreas Staben

    Wer einen Film „Populaire" nennt (die davorgesetzte „Mademoiselle" gibt es nur in Deutschland), der riskiert für den Fall, dass das fertige Werk dem Titel nicht gerecht wird, durchaus einige schnippische Bemerkungen. Wenn der verantwortliche Autor und Regisseur damit auch noch sein Langfilmdebüt gibt, dann mag das manchen im ersten Moment sogar als ein wenig blauäugig erscheinen. Doch diese sympathische Kombination aus Retro-Komödie und Sportfilm der etwas anderen Art hat den Erfolg, den ihr Name gleichsam beschwört, allemal verdient. Wie es sich für einen Filmschulabsolventen gehört, hat der Franzose Régis Roinsard für seinen Einstand die Kinogeschichte geplündert, aber er hat neben Referenzen an „Vertigo" und Doris Day, an Douglas Sirk und „Rocky" vor allem ein originelles Setting gefunden: die Welt der Wettbewerbe im schnellen Schreibmaschinenschreiben der 1950er und 1960er Jahre (in der übrigens der Filmtitel eine naheliegende Erklärung findet, denn „Populaire" heißt auch ein beliebtes Schreibmaschinenmodell). Herausgekommen ist eine im wahren Wortsinne bunte Mischung voller Schwung, hübscher Einfälle und nicht zuletzt charmanter Darsteller und Darstellerinnen.

    1958: Die Zukunft der 21-jährigen Rose Pamphyle (Déborah François) scheint festzustehen – jedenfalls in den Augen ihres Vaters Jean (Frédéric Pierrot). Geht es nach dem alten Herrn, der in ihrem Heimatdorf in der Normandie einen Krämerladen betreibt, dann wird Rose den Sohn des örtlichen Automechanikers heiraten und anschließend ein beschauliches Leben als Haus- und Ehefrau führen. Doch die junge Dame hat andere Träume: Sie will Sekretärin werden und bewirbt sich im nächstgelegenen Städtchen in einem kleinen Versicherungsbüro. Dabei stellt sie sich recht ungeschickt an, aber ihr nächtliches Schreibmaschinenüben macht sich bezahlt und der Leiter des Ein-Mann-Betriebs, Louis Echard (Romain Duris), stellt sie unter der Bedingung ein, dass sie an den regionalen Meisterschaften im Schnellschreiben teilnimmt. Die Vorbereitung übernimmt Louis persönlich, er lässt Rose in seinem Haus wohnen und drillt sie an der Schreibmaschine: Er will sie zur schnellsten Frau Frankreichs machen - mindestens. Zwischen Lehrer und Schülerin fliegen dabei ordentlich die Fetzen und bald stellen sich auch romantische Gefühle ein...

    Schon der animierte Vorspann mit der passenden schwungvoll-jazzigen Musik versetzt den Zuschauer in die Welt der 60er Jahre. Liebevoll und mit einigem Aufwand (bei Außenaufnahmen am Eiffelturm und anderswo wurden Dutzende Oldtimer eingesetzt, auch in Kostüme, Dekors und andere Details ist erkennbar viel Mühe geflossen) wird in der Folge ein Phantasie-Bild der Handlungszeit gemalt, wobei sich insbesondere Kameramann Guillaume Schiffman (der schon bei „The Artist" gezeigt hat, wie gut er sich darauf versteht, in die Vergangenheit des Kinos einzutauchen und sie dem heutigen Publikum nahezubringen) mit leuchtend-künstlichen Farben und exquisiter Lichtsetzung hervortut. Das Prunkstück ist in dieser Hinsicht eine Szene, in der Rose wie einst Kim Novak in „Vertigo" aus dem Badezimmer kommt. Aber Regisseur Roinsard gibt sich nicht mit einer reinen Rekonstruktion und Nachschöpfung zufrieden. Die Retro-Elemente – mal fühlt sich der cinephile Zuschauer an ein Jacques-Demy-Musical erinnert, dann wieder eher an ein Minnelli-Melodram wie „Verdammt sind sie alle", während einige formale Spielereien auf die Bilderstürmereien der 60er verweisen – bettet er stets sinnvoll in seine romantische Sportfilm-Komödie ein und präsentiert das Ganze immer wieder mit einem wissenden kleinen Augenzwinkern (was auch kleine „Anachronismen" wie ein ausgestreckter Mittelfinger oder eine recht freizügige Liebesszene umfasst).

    Das schicke Retro-Gewand von „Mademoiselle Populaire" ist ein optischer und durch die flotte Musikuntermalung auch ein akustischer Genuss, aber es ist kein Selbstzweck. So wirken die Figuren auf den ersten Blick wie aus einer Komödie mit Doris Day und Rock Hudson (wie etwa „Bettgeflüster") entsprungen, aber die Schauspieler emanzipieren sich deutlich von diesen Vorbildern. So steckt in Déborah François‘ („Das Mädchen, das die Seiten umblättert") Rose ein bisschen was von Audrey Hepburn und von Marilyn Monroe, aber in den Schreibmaschinen-Turnieren zeigt sie eine Entschlossenheit, wie man sie sonst eher von Rocky Balboa und anderen Kampfsportrecken kennt. Diese Auseinandersetzungen sind nicht zufällig inszeniert wie eine Mischung aus Boxfight und Western-Duell. Wenn dann zwischen der aufstrebenden Provinzlerin Rose und der arroganten französischen Meisterin Annie Leprince-Ringuet (Mélanie Bernier) böse Blicke ausgetauscht werden, die vom „Rumms" des Rüberschiebens des Schreibmaschinenwagens und vom „Ratsch" der aus der Maschine gezogenen Seiten akzentuiert werden, dann mausert sich die exotische Sportart zu einem überaus spannenden Wettbewerb.

    Die gute alte mechanische Schreibmaschine ist der heimliche Star des Films (das dürfte ihr größter Auftritt seit Jerry Lewis‘ Luft-Tipperei in „Der Ladenhüter" im Jahr 1963 sein), doch in der Handlung sind es die Virtuosinnen der Tastatur, die wie Pop-Idole oder eben berühmte Sportler gefeiert werden (genialer Einfall: die maschinengetippte Autogrammkarte). Hier wirft Regisseur Roinsard nicht nur nebenbei einen Blick in die amüsante Medienwelt der 50er (mit zeittypischer Werbung und Radioübertragungen), sondern macht auch die französische Nachkriegsfaszination für alles Amerikanische zum Thema (ironisch heißt es im Dialog „America for business and France for love"). Auch aus diesem Gegensatz von europäischer und US-Kultur schlägt er erfolgreich komisches Kapital, einzig der Versuch, über das Weltkriegstrauma des Veteranen Louis sowie das Liebesdreieck mit seinem amerikanischen Kameraden Bob (Shaun Benson) und dessen französischer Frau Marie (Bérénice Bejo) gleichsam nebenbei auch noch ein Mini-Melodram zu erzählen, gelingt nicht ganz. Aber das tut dem Sehvergnügen bei diesem wirklich erstaunlichen Film kaum Abbruch.

    Fazit: „Mademoiselle Populaire" ist Gute-Laune-Kino auf die französische Art: ein charmant-nostalgischer Ausflug in die (Film-)Welt der 1950er- und 1960er Jahre mit einer zauberhaften Hauptdarstellerin und einer exotischen Sportart, die es in dieser Form nicht mehr gibt.

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