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    Jung & schön
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Jung & schön
    Von Lars-Christian Daniels

    Der französische Filmemacher François Ozon legt in seinen Filmen häufig einen speziellen Fokus auf weibliche Figuren – man denke nur an seine köstlich-schrille Musical-Farce „8 Frauen“, in der er eben jene in einem eingeschneiten Haus aufeinander los und nach einer vermeintlichen Mörderin suchen ließ. Neben der Vorliebe für charismatische Protagonistinnen kennzeichnet Ozons Schaffen auch der offene Umgang mit Sexualität: Exemplarisch dafür steht sein doppelbödiger Psychothriller „Swimming Pool“, in dem Kriminalautorin Sarah (Charlotte Rampling) in einem Landhaus unerwartet Gesellschaft von der umtriebigen Julie (Ludivine Sagnier) bekommt. Auch in Ozons Erotikdrama „Jung & schön“, das bei den Filmfestspielen in Cannes 2013 Premiere feierte, ist Rampling in einer Nebenrolle mit von der Partie, doch das Rampenlicht gehört diesmal einer deutlich jüngeren Kollegin. Die bis dato unbekannte Jungschauspielerin Marine Vacth stiehlt dem Rest der Besetzung im gänzlich auf sie zugeschnittenen Film, der inhaltlich an Luis Buñuels Klassiker „Belle de Jour“ erinnert, mit einer hinreißenden Performance die Schau und dürfte sich mit ihrem grandiosen Hauptrollendebüt ganz nach oben auf die Notizzettel vieler Filmemacher katapultieren.

    Die hübsche Isabelle (Marine Vacth) schläft kurz vor ihrem 17. Geburtstag in den Sommerferien zum ersten Mal mit einem Jungen. Die Rahmenbedingungen sind perfekt: Der Himmel am Strand ist sternenklar und ihr deutscher Freund Felix (Lucas Prisor) gibt sich redlich Mühe, den Abend für die jungfräuliche Schülerin perfekt zu machen. Obwohl Isabelle diese erste sexuelle Erfahrung völlig kalt lässt, erkennt die 17-jährige fortan die Möglichkeiten, die ihr makelloser Körper ihr bietet: Mit Beginn des neuen Schuljahres verabredet sie sich über ein Online-Portal regelmäßig mit älteren Männern und lässt sich von ihnen teuer für Sex bezahlen – 300 Euro kostet ein Date mit ihr. Ihre Mutter Sylvie (Géraldine Pailhas) ahnt von dieser lukrativen Nebentätigkeit ebenso wenig wie ihr Stiefvater Patrick (Frédéric Pierrot), und ihr kleiner Bruder Victor (Fantin Ravat) ist viel zu sehr damit beschäftigt, seinen eigenen pubertierenden Körper zu erkunden. Doch Isabelles Doppelleben als Nachmittagsprostituierte fliegt auf: Nach einem tragischen Ereignis in einem Hotelzimmer steht plötzlich die Polizei vor der Tür ihrer Eltern…

     „Deine Tochter ist eben ein hübsches Mädchen.“, antwortet Isabelles Stiefvater seiner Frau trocken auf die Frage, wie es mit ihrer Tochter nur so weit kommen konnte. Und er hat Recht: Keine halbe Minute dauert es, bis sich Marine Vacth in „Jung & schön“ zum ersten Mal barbusig am Strand räkelt, ihren perfekten Körper zur Schau stellt und dabei heimlich durch ein Fernglas beobachtet wird. Die Nähe zu Ozons „Swimming Pool“, in dem die oft nur mit einem knappen Bikinihöschen bekleidete Julie (Ludivine Sagnier) die Männer um den Verstand bringt und dabei kritisch von ihrer deutlich älteren, unfreiwilligen Mitbewohnerin Sarah (Charlotte Rampling) beäugt wird, offenbart sich schon in diesen voyeuristisch geprägten Anfangsminuten. Doch anders als in seinem Psychothriller verzichtet Ozon diesmal auf doppelte Böden und eine verblüffende Schlusspointe: Er schlägt keine unnötigen Haken und konzentriert sich ganz auf seine jugendliche Protagonistin. Die Gefühle von Isabelles Mutter zum verheirateten Peter (Djedje Apali, „35 Rum“), einem Freund der Familie, deutet Ozon beispielsweise nur an, statt einen unnötigen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen.

    Der französische Regisseur und Drehbuchautor gliedert sein Erotikdrama in die vier Kapitel Sommer, Herbst, Winter und Frühling – passend zur dramaturgischen Grundausrichtung des Films, in dem das tragische dritte Kapitel in einen hoffnungsvollen Schlussakt übergeht. Zudem implementiert er vier verträumte Songs der französischen Schlagerlegende Françoise Hardy in die Geschichte, die für einen kurzen Moment die Dialoge ablösen und Isabelles Gedanken musikalisch in Worte fassen, ohne den Erzählrhythmus damit aus dem Tritt zu bringen. Präzise, schnörkellos und emotional zurückhaltend zeichnet der Filmemacher nach, wie sich Isabelle von einer zerbrechlich wirkenden Jungfrau, die in der Originalfassung des Films einleitend ein paar Brocken gebrochenes Deutsch spricht, zu einer professionellen Hure entwickelt, um die sich die zahlungskräftigen Männer förmlich reißen. Und gerade in dem Moment, in dem sich erste Längen einzuschleichen drohen und das Sex-Geschäft nicht nur für Isabelle, sondern auch für das Publikum zur Routine wird, platziert Ozon den entscheidenden Wendepunkt und lässt das Versteckspiel durch das Schicksal ihres herzkranken Lieblingsfreiers Georges (Johan Leysen, „The American“) urplötzlich auffliegen. Isabelles Beweggründe für die Prostitution bleiben bis zu diesem Moment nebulös: Zwischen dem ersten und dem zweiten Kapitel liegt ein mehrwöchiger Zeitsprung, in der sich der Teenager schon rein optisch von der personifizierten Unschuld vom Lande in eine professionelle Edelhure verwandelt. Erst im dritten Kapitel, in dem sich Isabelle ihren Eltern erklären muss, werden ihre Motive für den Zuschauer deutlich.

    Den beißenden Kontrast zwischen der erotischen Ekstase und dem schmutzigen Verkauf ihres jungen Körpers arbeitet Ozon auch dank der starken Bilder von Kameramann Pascal Marti („Ein besseres Leben“) gekonnt heraus: Oft wird der leidenschaftliche Liebesakt, bei dem sich Isabelle nach anfänglicher Zurückhaltung immer stärker der eigenen Lust hingibt, abrupt von Bildern abgelöst, in denen sich das Mädchen in der Duschkabine ihres Elternhauses akribisch den zurückliegenden Tag vom Leib wäscht. Bei der familiären Aufarbeitung der Ereignisse findet Ozon trotz aller Kontroversen auch Zeit für amüsante Neckereien und humorvolle Zwischentöne: Ein Besuch beim studierten Psychologen ist für Isabelle zum Beispiel deutlich preiswerter als eine Hotelzimmerstunde für ihre Freier, während minderjährige Babysitter eindeutig unterbezahlt zu sein scheinen. Auch bei diesen kleineren amüsanten Einschüben kann sich Ozon auf die hinreißende Marine Vacth, die bis dato lediglich durch eine Nebenrolle in Cédric Klapischs „Mein Stück vom Kuchen“ einem größeren Kinopublikum bekannt geworden ist, verlassen: Ob als sexuell unerfahrene Debütantin im horizontalen Gewerbe, unterkühlt-distanzierte Professionelle, liebevolle große Schwester oder geduldig zuhörende beste Freundin – Vacth meistert alle Facetten ihrer vielschichtigen „Lolita“-Figur mit Bravour und gibt eine eindrucksvolle Visitenkarte für weitere Leinwandprojekte ab, die nach diesem glänzenden Auftritt nicht lange auf sich warten lassen dürften.

    Fazit: Marine Vacth ist als verführerische Lolita der unumstrittene Star in François Ozons knisterndem Erotikdrama „Jung & schön“, mit dem der französische Filmemacher nahtlos an starke frühere Filme anknüpft.

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