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    Erbarmen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Erbarmen
    Von Lars-Christian Daniels

    Skandinavien-Krimis haben Hochkonjunktur – das gilt sowohl für den Buchhandel als auch für die öffentlich-rechtliche Fernsehlandschaft. Deutschland schmökert Thriller von Hakan Nesser, Henning Mankell oder Jo Nesbo, schaut am Wochenende „Wallander“ oder „Kommissarin Lund“ und stürmte auch ins Kino, als mit Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie eine der populärsten skandinavischen Thriller-Reihen für die Leinwand adaptiert wurde. Nun schafft es eine weitere Bestseller-Reihe aus dem hohen Norden ins Kino: „Erbarmen“ ist der erste Teil der erfolgreichen Carl-Mørck-Romane des dänischen Schriftstellers Jussi Adler-Olsen, von denen seit 2007 bereits fünf Bände erschienen sind. Die Verfilmung seines Landsmannes Mikkel Nørgaard („Klown“) schlug an den dänischen Kinokassen am Startwochenende sofort ein und blieb nur minimal hinter den Zahlen von „Verblendung“ zurück. Die Klasse des Auftakts der „Millennium“-Trilogie wird allerdings genauso wenig erreicht wie die der eigenen literarischen Vorlage: Regisseur Nørgaard bringt nicht alle Stärken des Romans auf die Leinwand und liefert unter dem Strich „nur“ solide Thriller-Kost.

    Ein Einsatz des Kopenhagener Kommissars Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) gerät zum Desaster: Ein Kollege wird tödlich getroffen, ein zweiter so schwer verletzt, dass er vom Hals abwärts gelähmt ist. Mørck hingegen trägt nur eine Schramme davon. Als er mental halbwegs wiederhergestellt ist, steht er vor den Scherben seiner beruflichen Laufbahn, denn sein Chef Marcus Jacobsen (Søren Pilmark) hat sich etwas einfallen lassen, um den ungeliebten Ermittler kaltzustellen: Mørck wird in den Keller des Präsidiums abgeschoben und soll als Leiter der neu gegründeten Sonderabteilung Q ungelöste Kriminalfälle geräuschlos zum Abschluss bringen. Doch das ist mit Mørck nicht zu machen: Der sture Kommissar lässt sich den syrischen Assistenten Assad (Fares Fares) zur Seite stellen und rollt den Fall der seit einem halben Jahrzehnt spurlos verschwundenen Merete Lynggaard (Sonja Richter) komplett neu auf. Schnell erhärtet sich der Verdacht, dass die Star-Politikerin noch am Leben sein könne – doch dass Lynggaard seit fünf Jahren von einem Unbekannten in einer stockfinsteren Druckkammer gefangen gehalten wird, können Mørck und Assad anfangs nicht einmal erahnen…

    Ein über 400 Seiten langes Buch in ein gut eineinhalbstündiges filmisches Korsett zu quetschen, ist naturgemäß kein leichtes Unterfangen. Drehbuchautor Nikolaj Arcel, der auch am Skript zu „Verblendung“ mitschrieb, kürzt die Handlung radikal und verzichtet auf Nebenkriegsschauplätze aus der Vorlage wie die Suche nach dem Fahrradmörder, Mørcks Besuche bei Psychologin Monika Ibsen oder Assads heimliche Alleingänge. Zudem streicht er zahlreiche Nebenfiguren, die den Ermittlern in Jussi Adler Olsens Roman begegnen. Der Großteil dieser notwendigen Kürzungen ist sinnvoll, die Handlung ist so gestrafft und zielgerichtet, und der subtile Humor der Buchvorlage bleibt trotzdem erhalten: Mørcks Diskussionen mit Assad, der seinen Chef mit schlechtem Kaffee (im Buch: zu süßer Pfefferminztee) zur Verzweiflung bringt, sorgen immer wieder für Lacher. Die hollywooderprobten Darsteller Fares Fares („Safe House“, „Zero Dark Thirty“) und Nikolaj Lie Kaas („Illuminati“, „Dänische Delikatessen“) harmonieren bei ihrem ersten Einsatz prächtig. Als Volltreffer erweist sich auch Mikkel Boe Følsgaard („Die Königin und der Leibarzt“), der die anspruchsvolle Rolle des geistig behinderten Uffe Lynggaard mit Bravour meistert.

    Die Atmosphäre und die Charakterzeichnung sind aber – nicht nur wegen der Kürzungen – das große Problem der Bestseller-Krimi-Adaption: Anders als in der „Millennium“-Trilogie oder vielen „Wallander“-Folgen will selten echte Skandinavien-Stimmung aufkommen, was auch daran liegt, dass ein Großteil des Films in Hamburg gedreht wurde, weil dadurch deutsche Fördergelder eingestrichen werden konnten, wie Regisseur Nørgaard bei der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest Hamburg 2013 offen zugab. Die Schauplätze sind so austauschbar belanglos und dänisches Lokalkolorit sucht man über weite Strecken vergebens. Zudem ist Nørgaard weit davon entfernt, die drastischen Folgen von Isolationshaft für Körper und Psyche, wie sie zum Beispiel in den Gefängnisfilmen „Die Verurteilten“ oder „Murder In The First“ illustriert werden, angemessen auszuarbeiten. Statt auf spannungsaufbauende Atmosphäre setzt er hier auf oberflächliche Schockmomente. Das grausam-klaustrophobische Schicksal der in der dunklen Druckkammer vor sich hin vegetierenden Merete Lynggaard wird in wenigen Minuten abgebarbeitet. Ihr Leiden wird wenig subtil vor allem durch eine besonders blutige Szene verdeutlicht, in der sich Lynggaard mit einer rostigen Zange ohne Betäubung einen vereiterten Zahn zieht - „Cast Away“ und „Saw“ lassen grüßen.

    Fazit: Der dänische Regisseur Mikkel Nørgaard liefert mit „Erbarmen“ einen soliden, durchaus sehenswerten und über weite Strecken auch spannenden Skandinavien-Thriller.

    Fans von Carl Mørck dürfen sich übrigens freuen: Im Oktober 2013 starteten bereits die Dreharbeiten zu „Schändung“, dem zweiten Teil der Bestseller-Reihe. Nikolaj Lie Kaas und Fares Fares übernehmen erneut die Hauptrollen.

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