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    The Smell Of Us
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    The Smell Of Us
    Von Lutz Granert

    Wie denkt, redet, fühlt und lebt die Jugend in den 90er Jahren? Wohl kein anderer unabhängiger US-Filmemacher hat das Lebensgefühl dieser oberflächlich sorglosen, aber durch AIDS und Perspektivlosigkeit tief verunsicherten Generation treffender eingefangen als Larry Clark. In seinem semidokumentarischen Regiedebüt „Kids“ aus dem Jahr 1995 folgt er einer Gruppe Teenager aus dem Skater-Milieu, deren Leben vor allem von der ständigen Jagd nach dem Exzess bestimmt wird. Immer geht es den halbwüchsigen Protagonisten um den nächsten (ungeschützten) Sex mit einer Jungfrau oder um den nächsten Alkohol- und Drogenrausch. „Kids“ und andere Filme Clarks aus jener Phase atmen förmlich den Geist ihrer Zeit – insofern sind sie zugleich Kunstwerke und historische Dokumente. Nun spürt der Regisseur knapp 20 Jahre später mit „The Smell Of Us“ dem Lebensgefühl der Jugend in Frankreich nach – doch von der unvergleichlichen Wahrhaftigkeit seines früheren Schaffens ist kaum etwas geblieben, vielmehr wirkt sein Coming-of-Age-Drama regelrecht lebensfremd.

    JP (Hugo Behar-Thinières), Math (Lukas Ionesco) und Pacman (Théo Cholbi) scheinen auf den ersten Blick normale Pariser Teenager zu sein. Sie gehen zur Schule, hängen in ihrer Freizeit mit ihren Freunden beim Skaten ab und gehen abends auf Elektro-Partys. Doch um sich Klamotten und hin und wieder Drogen leisten zu können, verkaufen sie ihre Körper. Math hat gegen Geld Sex mit alten Männern, JP verdient sich mit Cam-Sex etwas dazu und Pacman arbeitet als Callboy für ältere Damen. Die Drei verlieren zunehmend ihre Selbstachtung – mit fatalen Folgen.

    In Interviews berichtet Larry Clark immer wieder darüber, dass er als 15-Jähriger selbst Erfahrungen mit Drogen und dem Leben in der Gosse gesammelt hat, die er als Fotograf zunächst in seinen Bildbänden, später als Regisseur in seinen Filmen verarbeitete. In „The Smell Of Us“ zeigt er nun, was aus ihm hätte werden können, wenn er nicht seine Erfüllung in der Inszenierung von (bewegten) Bildern gefunden hätte: Clark schrieb sich die kleine Rolle von Rockstar auf den Leib, eines ärmlichen alten Mannes, der in der Eröffnungsszene auftaucht. Er liegt schlafend auf einem betonierten Platz, heranfahrende Teenager auf Skateboards setzen vor ihm an zum Sprung, ein Straßenmusiker (gespielt von Michael Pitt, den Clark schon in seinem Mobbing-Drama „Bully“ besetzte) begleitet die absurde Szenerie mit der Gitarre. Unfreiwillig sagt Clark damit viel über sich und sein inzwischen angestaubtes filmisches Thema aus: Die von der Skaterszene geprägte Jugendkultur der 1990er Jahre hat ihn, obwohl er damals schon über 50 war, auch anno 2014 nicht losgelassen. Doch der Zeitenwandel ist an seinem Film scheinbar spurlos vorübergegangen. Denn er erzählt in sexuell ähnlich expliziten Bildern wie in seinem Skandalfilm „Ken Park“ schon wieder dieselbe Geschichte vom fatalen Kampf gegen die Leere und Langeweile im Teenagerleben durch den nächsten Sex- und Drogen-Kick, die inzwischen reichlich abgegriffen wirkt.

    Kamerafrau Hélène Louvart filmte bereits Wim Wenders‘ 3D-Tanzfilm „Pina“ und verleiht auch „The Smell Of Us“ mit einigen verrauschten Schnipseln von Handyvideos sowie Aufnahmen mit GoPro-Kameras aus der Halfpipe einen modernen Look. Doch abseits der zeitgemäßen Bilder fehlt dem Alltag von JP, Math und Pacman jeglicher Anschein von Lebensnähe. Nur selten sind die drei Teenager draußen auf der Straße unterwegs, viel häufiger befinden sie sich in präparierten Innenräumen, in denen die Halbwüchsigen gegen Geld frustrierenden Sex mit alten, verzweifelten Menschen haben oder bei einem zugedröhnten Freier eine Abriss-Party mit Graffiti-Schmierereien feiern. Trotz eines wilden Soundtracks der Pogo-Band „Revolt“ wirkt „The Smell Of Us“ so die meiste Zeit über künstlich kalkuliert, entrückt von echten Orten und trotz des Gegenwartssettings versunken in unbestimmter Vergangenheit. Die reißbrettartig gezeichneten Figuren verstärken diesen Eindruck von Leblosigkeit noch. Lukas Ionesco verkörpert den gefühlskalten „Pay For Gay“-Stricher Math mit starrer Regungslosigkeit, während Hugo Behar-Thinières in seiner Rolle als JP und wahrhaft liebender bester Kumpel von Math zumindest in Ansätzen Emotionen zeigt, aber letztlich auch an der Eindimensionalität seiner Figur scheitert.

    Einzelne eigenwillig-absurde Szenen wie jener Moment, als Maths Mutter vor ihrem Sprößling ihren abgemagerten Körper entblößt und ihn zum Sex auffordert, sorgen durch fehlende Nachvollziehbarkeit für Irritation und verpuffen im Einerlei des traurigen Sittengemäldes. Wenn Rockstar neben einem teilnahmslos starrenden Math auf der Straße sitzt und einen wehmütigen Blues singt, wird die Botschaft von Larry Clark klar: Die guten alten Zeiten sind vorbei – was aber eben auch bedeutet, dass aus dem Regisseur lebensnaher, oft auch sozialkritischer Milieustudien, ein nostalgischer Filmemacher geworden ist, der sich in der Gegenwart offenkundig nicht mehr wohlfühlt.

    Fazit: Das Teenager-Drama „The Smell Of Us“ erzählt weniger über die heutige Jugend von Paris als über den Regisseur und Co-Autor Larry Clark, der fast 20 Jahre nach seinem Debüt „Kids“ die Tuchfühlung zum Lebensgefühl der Gegenwart verloren zu haben scheint.

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